laut.de-Kritik
Kammerpop mit Fehdehandschuh vom Zeremonienmeister.
Review von Markus BrandstetterRomantisch und in Moll-Kadenzen steht er zu Beginn im Flur und bittet uns in den Salon – Chilly Gonzales, der Entertainer mit seinem untrüglichen Gespür für Melodramatik und Moment. Pathos und Augenzwinkern tanzen im edlen Zwirn durch den goldenen Saal, und Gonzales, der Zeremonienmeister mit dem Schalk im Nacken: er lädt zu diesem Tanz und wirft gleichzeitig mit abfälliger Geste den Fehdehandschuh vor den Lackschuh. "Prelude To A Feud" heißt das erste Stück, was für ein grandioser Songtitel – hier wird keiner Fuge ein Präludium vorgestellt sondern gleich mal Beef angekündigt, wie das unter Rappern so heißt. Beef mit sich selbst nämlich: der Kampf zwischen Künstler und Entertainer, wie Gonzales selbst in den Linernotes erläutert.
Aber nein, es geht dennoch mitnichten um reine Ironie auf "Chambers". Gemeinsam mit dem Kaiser Quartett hat Gonzales elf Stücke aufgenommen, in denen er die Schnittmenge zwischen Kammermusik, Romantik und Pop sucht. Und es wäre nicht Gonzales, wenn er die nicht finden würde.
Der Trickster bleibt am Ball: "Advantage Point" ist dem früher als etwas cholerisch geltenden Tennis-Crack John McEnroe gewidmet und thematisiert das Wimbledon-Turnier im Jahre 1980. "Try to imagine the waltzing B-section as the endorphins kicking in after a marathon - the transcendence of physical technique (using a racquet or a piano) into pure bliss", erklärt der Maestro – und erklärt, dass das Stück genau so gut Bobby Fischer oder Jackos Moonwalk gewidmet sein könnte. Alles eine Frage des Blickwinkels.
Andere Songs sind dann wiederum King Henry VIII, Juicy J, Rick Ross (schließlich verdient auch HipHop eine kammermusikalische Bearbeitung!) oder dem Unterbewussten zugedacht – die fantastischen Erklärungen machen das ohnehin exzellente Machwerk noch mal besser. Auf "Chambers" geht es keineswegs um Adaptionen, E-musikalische Highbrow-Eitelkeiten von U-Künstlern oder um die Bearbeitung und Rekontexualisierung bestehender Stücke. "Chambers" ist Kammerpop im eigentlichen Sinne: Elf Kompositionen für Klavier und Streicher, fast wie ein Leitfaden des Gonzales-Kosmos, nur eben gänzlich ohne Gesang.
Dieser Kosmos funktioniert eben als Schnittmenge von Klassik, Entertainment und großem Pop. Gonzales macht, worauf er Lust hat, seit jeher. Und seit jeher hat Gonzales auf viel Lust.
Elf Stücke später verbeugt sich der Maestro ein letztes Mal – "Chapeau, Bester" möchten wir ihm zurufen, immer wieder. Dieser Teufelskerl.
2 Kommentare mit 4 Antworten
Auf die Rezension habe ich schon länger gewartet, leider finde ich sie nicht sonderlich aufschlussreich. Hat schon jemand reingehört?
Ja. Es ist reine Kammermusik. Ich finde das Album toll! Es ist die Fortführung der Solo Piano Platten, erweitert um ein Streichquartett. Sehr entspannt ohne langweilig zu werden.
Für mich war Chilly Gonzales irgendwie eh schon immer mehr ein Live-Musiker als ein Album-Musiker. Das Album hier habe ich mir zwar angehört und fand es auch ganz gut (aber irgendwie meistens auch nicht so gut, dass ich mir die allzu oft anhören würde), aber schon lange vor dem Release habe ich mir Karten für die dazugehörige Tour dieses Jahr geholt. Da kann man einfach nichts falsch machen, egal wie man das Album dazu findet
Danke, wenn du es als "Fortführung der Solo Piano Platten" bezeichnest bin ich schon mal sehr optimistisch
...und ich weiß, dass ich es auf der Prioritätenliste ein bisschen nach unten schieben kann.
Danke also auch von mir.
Gut für das was es ist. Chilly hat´s echt drauf!