laut.de-Kritik

Orchestraler Hip Hop mit Liebe zum Detail.

Review von

Die Kokarde in den panafrikanischen Farben Rot, Schwarz und Grün ist omnipräsent – als Logo eines Projektes, das gerade viele andere in den Schatten stellt. Danger Mouse, einer der wohl prägendsten Produzenten und genreübergreifenden Künstler überhaupt (Arbeit u. a. mit CeeLo Green, den Gorillaz, den Black Keys, Beck, den Red Hot Chili Peppers, Norah Jones, Portugal. The Man, Adele, U2 und Iggy Pop) hat sich mit Black Thought zusammengetan, MC von The Roots und einer der wohl begabtesten (und unterschätztesten) Rapper. Das Ergebnis heißt "Cheat Codes" – und dürfte eines der besten Releases des Jahres sein.

Der Eröffnungstrack "Sometimes" nutzt ein souliges Sample des Liedes "Love Without Sex", um eine nachdenklich-schwermütige Stimmung zu erzeugen: "Sometimes, sometimes, it gets real dangerous, y’all!" singt Gwen McCrae, begleitet von Gitarre, Klavier und Streichern. Der titelgebende Track "Cheat Codes" ist als nächstes dran: Auf einem Sample-Bett des Liedes "Vanilla Fudge" der Ebony Rythm Band nimmt ein sperriges Lied mit schwer deutbarer Stimmung seinen Lauf, das fast so schnell wie das erste wieder vorbei ist.

Mit beschleunigtem Klavier des Kiki-Dee-Lieds "Rest My Head" und einer Hommage an das Album-Cover von "Underground" des großen Thelonious Monk setzt das Duo zu einem emotionalen Track an, bei dem ihm Kid Sister und Wu-Tang-Legende Raekwon zur Seite stehen – von der grausamen Verschleppung schwarzer Sklaven über das Meer zum bewaffneten Alltag in amerikanischen Ghettos erlebt man auf "The Darkest Part (feat. Raekwon and Kid Sister)" umwerfendes, sozialkritisches Storytelling von Black Thought ("In America, the rich love to wear it on they wrist / They call the shots, they don't wear it on they lip / Jinglin' of the chains, I can still hear it on the ship / One hand loads the clip, feel the rubber on the grip."), bevor Raekwon einen Part aus dem Ärmel schüttelt, der "Cuban Linx" wieder aktuell macht. Grandios.

Als nächstes hat sich Danger Mouse beim monumentalen Werk des 2018 verstorbenen Hugh Masekela bedient und das Lied "Stop" des Südafrikaners gesamplet: Funky und jazzig, verwinkelt und angeberisch kommt "No Gold Teeth" auch noch mit einem künstlerisch-abstrakten Musikvideo in schwarz-weiß daher – so sieht gute Arbeit aus. Auf "Because (feat. Joey Bada$$, Russ, and Dylan Cartlidge)" verschmilzt das Ursprungssample von "You Don't Have To Worry", einem Lied von Doris & Kelley, mit der Hook zu einer meditativen Einheit, begleitet von gelungenen Rap-Parts. Auch hier ist ein Video erschienen, das als einziges in Farbe gehalten ist.

Dann, mitten im Album, ist der Mann mit der Maske wieder da. "Belize (feat. MF DOOM)" hat seinen Feature-Part vermutlich aus den unveröffentlichten Dachboden-Aufnahmen für das 2005er-DangerDoom-Kollaboalbum "The Mouse and The Mask" bezogen – und wirft einen um. Es ist, als wäre der verstorbene Supervillain auferstanden, um die Welt noch einmal heimzusuchen: Der geheimnisvoll-zurückgelehnte Sound des Samples von "Peace in My Mind" der Band Federal Duck kreiert einen Hauch des Comic-Schurken-Klangs, der DOOMs Musik immer geprägt hat – genialer Part auf einem genialen Beat, einer der Höhepunkte des Albums.

Mit den Übergangsklängen eines sich einstimmenden Orchesters beginnt "Aquamarine (feat. Michael Kiwanuka)", bevor der Beat einsetzt und Michael Kiwanuka zusammen mit kosmischen Samples eine Tür in eine andere Welt öffnet. Black Thoughts endlose Reime ziehen einen genau wie das hypnotische Musikvideo zum Track minutenlang magisch an – bevor der Staffelstab mit perfektem Übergang zu "Identical Deaths" wechselt: Gott und die Welt, Identität, Angewohnheiten. Guter Sound.

Das energetische "Strangers (feat. A$AP Rocky and Run The Jewels)" erscheint gehetzt und dennoch cool auf der Bildfläche des Albums: Die Feature-Parts von Rocky, El-P, Killer Mike sowie Sample-Interludes wie "Are you serious with this? Is this, is this, this is what it's come to? We're gonna have to walk around outside like we're fuckin' gangsters? – I am, and it is" aus dem Film "A Most Violent Year" passen hervorragend zum Vibe des Tracks, ebenso wie das schwarz-weiße Musikvideo, bei dem sich alle Beteiligten für ihre Parts mit dem Handy in Spiegeln filmen.

Nach "Close to Famous", einem schweren, fast monotonen Track, geht es weiter mit "Saltwater (feat. Conway the Machine)": Fantastische Beat-Switches zwischen überlebensgroßem, orchestralem Sound und einem verschwörerisch-nächtlichen Beat. Danger Mouse samplet das Lied "L'amico Suicida" der italienischen Band Biglietto per l'Inferno, Conways Feature liefert zielsicher ab – und dann sind wir auch schon beim letzten Track des Albums.

Mit einem Sample eines Monologs des verstorbenen Danny Aiello in der Rolle des Phil Cantone aus dem Film "Harlem Nights" ("[...] So when I see you guys with the, with the fancy suits and cars and nice houses, and I'm livin' in a fuckin hovel! I mean, that bothers me."), beginnt "Violas and Lupitas". "Ayo, juke joint party lights lit the Harlem nights / Peas and rice made a Judas out of Garveyites", spielt auch Black Thought auf den Filmtitel an und betrauert hungergetriebenen Verrat an der schwarzen Emanzipationsbewegung – dann Selbstbewusstsein und wohldosiertes Angebertum. Danger Mouse samplet "For Le Ann" von Tony Joe White, dessen weiche Klänge langsam verblassen, bis auf einmal das Album zu Ende ist. Was bleibt?

Auf "Cheat Codes" wird man zurückblicken, das ist sicher. Das Projekt lässt altehrwürdige Dinge frisch und unbekannt klingen, ist progressiv und sich dennoch der Geschichte und ihrer Musik bewusst, politisch und ambitioniert, zukünftiges kulturelles Erbe. Danger Mouses bahnbrechende Produktionstechnik und genial durchdachte Übergänge zwischen Tracks treffen auf lyrische Arbeit der ersten Güteklasse von Black Thought: Herausragendes Album eines Duos, das sich großartig ergänzt – und hoffentlich nicht das letzte gemeinsame der beiden Musiker.

Trackliste

  1. 1. Sometimes
  2. 2. Cheat Codes
  3. 3. The Darkest Part (feat. Raekwon and Kid Sister)
  4. 4. No Gold Teeth
  5. 5. Because (feat. Joey Bada$$, Russ, and Dylan Cartlidge)
  6. 6. Belize (feat. MF DOOM)
  7. 7. Aquamarine (feat. Michael Kiwanuka)
  8. 8. Identical Deaths
  9. 9. Strangers (feat. A$AP Rocky and Run The Jewels)
  10. 10. Close to Famous
  11. 11. Saltwater (feat. Conway the Machine)
  12. 12. Violas and Lupitas

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