laut.de-Kritik
Wild wuchernder und leidenschaftlicher Klezmer.
Review von Ulf KubankeDaniel Kahn ist ein künstlerischer Tausendsassa. Neben seinem Talent als Theaterschauspieler, Regisseur oder Dichter beschreitet der Wahlberliner mit seiner Band The Painted Bird einen musikalisch radikalen Weg, der den Hörer ebenso fordert wie unterhält.
Zunächst einmal: Kahn ist ein Klezmerteufel! Der gebürtige Detroiter rührt in seiner Giftküche einen Säurecocktail zusammen, der aggressiv im Ohr wütet, Traditionen ironisiert und eine tiefgehende Emotionalität verrät. Episches Theater für das moderne Gehör? Warum denn nicht! Aber nicht für das gelangweilte Bildungsbürgertum sondern für Deserteure, schnorrende Punks, zahnlose alte Seebären, verunstaltete Freaks, rebellische Arbeiter und alle anderen Partisanen des Lebens von der immerwährenden falschen Seite der Stadt.
"Yosl Ber" rockt die Bude gleich mit trunkenem Klezmer-Punk eines grölenden Haufens Fahnenflüchtiger. Mit Folk hat das nichts mehr zu tun. Die im Verlauf einsetzende Bratzgitarre zeigt, wo es lang geht. "Rosen Auf Den Weg Gestreut" lockt auf Tucholskys Spuren drohend, voller Grimm in den Kampf gegen Faschismus und Kleingeistigkeit. Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft. Doch die ironische Brechung ist nicht weit. Voller Woody Allen-Sarkasmus erzählt uns "Six Million Germans" die Geschichte eines jüdischen Freischärlerhaufens, der eigentlich Aug' um Aug jedes einzelne Holocaustopfer an Deutschen rächen möchte. Aus logistischen Gründen aber dann doch lieber ... nein, das selbstironische Ende sein hier nicht verraten.
Humor und Wut sind ohnehin die Waffen, derer die bunte Truppe sich abwechselnd bedient. "Vampirn" marschiert mit Akkordeon und brennenden Fackeln in den aussichtslosen Krieg gegen Ausbeutung und Unterdrückung. "A Rothschild In Your House" spielt fast schon niedlich gemein mit antisemitischen Vorurteilen und oft ebenso merkwürdiger Eigenwahrnehmung. Der ganze roh stampfende Klezmerklumpen kann - trotz aller Raserei - in keiner Sekunde verbergen, welch begnadete Instrumentalisten sich hier tummeln. Die Klarinette imitiert das menschliche Lachen und Weinen derart prägnant. Man glaubt fast, eine Art Freibeuter-Version von Giora Feidman vor sich zu haben. Die todtraurige Violine bündelt alle Gefühlsfetzen in ruhigen Momenten und geigt sie in ein Tränenmeer. Gegen Ende des Albums judifizieren die Berliner dann noch liebevoll den typischen New Orleans Dixieland.
Die wilde Bande zersägt auf "Partisans & Parasites" derart charmant jedes Tabu. Man muss sie einfach direkt ins Herz lassen. Mit der Kauzigkeit eines Tom Waits und dem radikal glühenden Zorn des von Kahn geschätzten frühen Rio Reiser ausgerüstet, stellen sie sich dem Kampf, ihr Publikum zu erobern. Wild wuchernd und leidenschaftlich; so muss Kunst sein. Das kann man kaum besser machen.
6 Kommentare
hat den irgend jemand von euch schon mal live gesehen?
Nette Review! Du hast den Spagat ganz gut hinbekommen, einerseits eine Review zu schreiben, die dem Leser einen Eindruck von der Musik verschafft, ihn die Musik hören wollen macht, und gleichzeitig schimmert deine Persönlichkeit in jeden Satz hindurch. Teil drei unserer Reihe "Die literarische Plattenbesprechung".
Die Review habe ich ja erst jetzt gesehen. Nach einem Tipp des sehr geschätzten Anwalts habe ich mir die Jungs angeschaut. Was soll man sagen? Ein Kurt Weill hätte verzückt diesem fast schon suspekten Treiben zugeschaut. Tanzbarer Klezmer, melancholischer Blues und bitterböse politische Kritik. Alles in einem. Und das für 5 Euro. So geht mir aus den Augen ihr "Konzertkarten sind zu teuer Rufer" Ein toller Abend. Die Juwelen liegen halt versteckt und kosten dem Finder fast nichts.
Ein riesiges Dankeschön an den Herrn Anwalt.
das freut mich ja sehr, nicht zu viel versprochen zu haben.
wie wäre es mit nem kleinen gig-bericht zur veranschaulichung?
Nach diesem unglaublich guten Konzert hab ich endlich mal die Zeit gefunden das Album mit der verdienten Aufmerksamkeit zu hören.
Wie kann man sowas beschreiben?
Die Lieder auf jiddisch, englisch und deutsch. Mal schnell und hemmungslos dann wieder todtraurig. Ein eiskalter Wind weht einem dann entgegen. Er zürnt da mit unglaublicher Präsenz. Es werden alle klezmerschen Grenzen eingerissen. Da treffen sich so ziemlich alle Stilrichtungen zu etwas ganz Neuem. Absolut mitreißend das vertonte Tucholski Gedicht. Und den letzten Song des Albums hält man sowieso fast nicht aus. Lange nicht so einen berührenden Song gehört. Ich versteige mich sogar darauf, dass ein Herr Kubanke hier völlig unnötig einen Punkt liegengelassen hat.
Was für eine Offenbarung. Und einer meiner Entdeckungen des Jahres!
@matze73 (« Ich versteige mich sogar darauf, dass ein Herr Kubanke hier völlig unnötig einen Punkt liegengelassen hat. »):
völlig richtig!
mir auch mittlerweile unverständlich.
was hat den kerl da nur geritten?