laut.de-Kritik
Hart und desillusioniert mit Tinnitus-Beats der 80er Jahre.
Review von Jeremias HeppelerMal ehrlich: Eigentlich wollen wir doch alle alles. Und am besten gleichzeitig. Alle Information, direkt aufs Smartphone. Immer. Im Stream. Pausenlos. Alle Gefühle. Alle Erfahrungen. Innen erleben und nach außen tragen. Die Idee eines neuen Nichts wirkt hier beinahe utopisch. Befreiung durch Sinnentleerung, weg mit dem Ballast. Endlich frei sein, auch wenn der Weg noch so lang und steinig ist. "Aus freien Stücken fällt es sich am Allerschönsten", diktiert Toby Hoffmann, Frontmann von Das Neue Nichts, auf dem titelgebenden Opener über einen surrenden Tinnitus von musikalischer Untermalung.
Das erinnert an Spoken Word-Konstruktionen oder den Neubauten-Song "Die Interimsliebenden". Hoffmann bestätigt gegenüber laut.de diesen Einfluss: "Es gibt auf dem Album ganz bewusste Verweise auf den kalten Sound der 80er, auch auf DAF, aber ich denke man hört auch Einflüsse zeitgenössischer elektronischer Musik, von Indie-Sound à la The Notwist bis zu einer Spur Hip Hop."
Die 80er sind omnipräsent auf diesem bemerkenswerten Debüt, nicht zuletzt in Form von "Wir Haben Es Uns In Einer Dunklen Ecke Schön Gemacht", dem vielleicht reinsten und wärmsten Song der Platte. Daran anknüpfend, zumindest in Sachen Stimmung "Ich Bin Echt". Kafkaesk. Shoegaze-esk. Alles-esk und Nichts-esk. Zum Glück. Jan Harder und Steve Hartmann schieben sich hier mehr und mehr in den Vordergrund. Krachen. Rauschen. Rumpeln.
Verhältnismäßig poppig klingt "99 Plagen", das in immer neuen Schüben über den Zuhörer rollt und die gewohnten Song-Aufbaupläne konsequent übersudelt. Man habe bewusst nicht die Herangehensweise einer Rockband gewählt, bestätigt Hoffmann: "Die Musik von '99 Plagen' haben Jan und Steve in einer Session eingehämmert. Ich hatte den Text gerade in Arbeit und es hat auf Anhieb gepasst. Quasi First Take. Das war schon außergewöhnlich."
So entspannt sich die süddeutsche Band zwischen 80er Jahre-Avantgarde und gegenwärtiger Popmusik. Nicht selten tänzelt man am Rande der Meta-Ebene, was auf die Herkunft des Texters schließen lässt: Hoffmann ist Autor und eine prägende Figur der Poetry Slam-Szene. Deutsche Bands mit bemüht kryptisch-verrätselten, nach Tiefgang schürfenden Texten sind ihm jedoch zuwider, "aber wenn jeder so texten könnte wie Andreas Spechtl, Jens Rachut oder Christiane Rösinger wäre es ja auch irgendwie langweilig."
Seine Texte auf "Die Hölle Ist Unter Uns" (Eigenvertrieb) wirken außergewöhnlich hart und desillusioniert, beinahe dystopisch. Trotzdem spürt man eine gewisse Leichtigkeit der Sprache, ein schallendes Auflachen im Angesicht der Apokalypse. In "La Deutsche Vita" heißt es: "Wir brauchen Würstchenbuden zum Pogrom, Deutschland ist Menschenrecht." Zu den hier bewusst parolenhaft vorgetragenen Textsalven hämmert ein mechanischer Beat und erzeugt einen kalten Schauer. Richtig "Fun!" macht das alles nicht. Im Gegenteil. Zum Glück.
"Die Hölle Ist Unter Uns" denkt auf differenzierten Zeitebenen gleichzeitig und lässt so manchen angedachten Gedanken auch mal unfertig und offen stehen. Das fordert und reizt den Rezipienten, der sich im gegenwärtigen Popdiskurs sowieso viel zu oft satt und faul zurück lehnen kann. Hier muss er selbst aktiv werden, mitdenken, weiter spinnen, diskutieren, schaben, arbeiten. So entsteht im Gleichschritt mit den literarischen und abstrakten Textblöcken im Zentrum eine anziehende Spannung.
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