laut.de-Kritik

Wo die echten Emotionen wohnen.

Review von

Sofort springen Cover und Booklet-Fotos ins Auge: die verführerische Pose erinnert sehr an die gleichfalls sinnliche Selbstdarstellung Melody Gardots für ihr Album "The Absence". Setzen die bislang seriösen Jazz-Ladies jetzt auf die Sex-Karte?

Musikalisch greift Krall für "Glad Rag Doll" zunächst tief in die Kiste des American Songbook. Neben einigen wenigen Kompositionen jüngeren Datums findet sich der Ursprung der meisten Tracks in den zwanziger und dreißiger Jahren des Vorjahrhunderts. Stilgerecht begleitet sich die Krall auf einem originalen Steinway-Flügel aus dem Jahr 1890. Diana und ihre Musiker verzichten auf verklärende Nostalgie und transferieren die ehrwürdigen Nummern ohne Zuckerguss, aber mit Leidenschaft in die Jetztzeit.

Ohnehin steht der Name T Bone Burnett (Plant/Krauss) als Produzent nicht für verstaubte Vorgehensweise. Hochkaräter wie Multi-Gitarrist Marc Ribot (Tom Waits), Keyboarder Keefus Green (Red Hot Chili Peppers), Bassist Dennis Crouch (Johnny Cash) sowie Jay Bellerose (Regina Spektor) an den Drums erschaffen für Diana ein musikalisches Umfeld, in dem sie sich ungewohnt relaxt und sogar lustvoll austobt. "Glad Rag Doll" überzeugt als konsequent gegen den bisherigen Stilstrich gebürstetes Album, über weite Strecken eine Hommage ans verruchte US-amerikanische Varieté der Roaring Twenties.

Von Beginn an legt die Krall ihre oft zelebrierte Kühle und Sprödigkeit im Vortrag ab und überrascht mit warmer, lockender Verspieltheit in der Stimme. "You Know - I Know Ev'rything's Made For Love" gefällt als rhythmischer, stompender Musikflirt. Doch trotz aller direkt - und dabei immer geschmackvoll - dargebotenen Verführungskünste bewahrt sich Diana eine spannungsvolle, selbstbewusste Distanz zum Zuhörer. Die alte Maxime "You can look / but you better not touch" platziert sie hier gekonnt und kunstvoll unausgesprochen zwischen jede Zeile.

Nach den gediegen gestalteten Jazz-Alben mit häufig einem Hauch Easy Listening zuviel, war für die Musikerin nach eigener Aussage die Zeit reif, sich anders auszuprobieren: "Wenn ich mir eine Ära aussuchen könnte, in die ich per Zeitmaschine zurückreisen könnte, dann wären das die 1920er Jahre. Und zwar allein wegen der wilden Ausgelassenheit, die damals herrschte." Eine vollends enthemmte Krall, auf den Tischen tanzend, findet hier zwar nicht statt. Dafür stets spür- und hörbar echter Spaß an der Sache.

Das 1956 durch Ray Charles 1956 zu Hitehren gelangte "Lonely Avenue" aus der Feder von Doc Pomus besticht in der Version der Kanadierin mit seiner düster inszenierten Umsetzung. Prägnante Gitarrentwangs in Verbund mit karg stampfenden Drums zelebrieren eine authentische Baratmosphäre weit, weit nach Mitternacht. Die rauchige und bewusst matte Intonation Dianas setzt das Sahnehäubchen auf einen Song, der prächtig Filme aus Hollywoods schwarzer Serie vor dem inneren Auge heraufbeschwört. Ein effektvoll missmutige Töne anschlagendes Piano rundet den großartigen Gesamteindruck der Nummer vollends ab.

Der jüngste Track, "Wide River To Cross" aus dem Jahr 2004, fügt sich mit seinem dezenten Country-Touch solide ins Gesamtwerk ein. Die stärksten Eindrücke hinterlassen jedoch Kralls Interpretationen der ganz frühen Song-Fundstücke. "I'm A Little Mixed Up", gesteht sie in einer zum Mitwippen animierenden Rhythm And Blues-Nummer, und das nimmt man ihr gern ab. Der Mix zwischen ruhigen und aufgedrehter angelegten Tracks stimmt. Das Entdecken so vieler hochklassiger und bislang nahezu unbekannter Titel sorgt für eine Menge Hörvergnügen.

Verortete man das bisherige Output der Künstlerin im Bereich gedimmten Lichts, alkoholarmen Cocktails und Nikotinabstinenz, lockt die "Glad Rag Doll" hinein in einen anrüchigen Nachtclub, der nach flackernden Kerzen, Whisky pur und exzessivem Zigarettenkonsum geradezu schreit. Diese Platte lebt, atmet und weckt Assoziationen unterschiedlichster Art. Raus aus dem Mainstream, hinein da, wo die echten Emotionen zu Hause sind.

Trackliste

  1. 1. We Just Couldn't Say Goodbye
  2. 2. There Ain't No Sweet Man That's Worth The Salt Of My Tears
  3. 3. Just Like A Butterfly That's Caught In The Rain
  4. 4. You Know - I Know Ev'rything's Made For Love
  5. 5. Glad Rag Doll
  6. 6. I'm A Little Mixed Up
  7. 7. Prairie Lullaby
  8. 8. Here Lies Love
  9. 9. I Used To Love You But It's All Over Now
  10. 10. Let It Rain
  11. 11. Lonely Avenue
  12. 12. Wide River To Cross
  13. 13. When The Curtain Comes Down

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