14. Oktober 2022

"Aus Trümmern erschaffen wir Konstruktives"

Interview geführt von

Julian Knoth, Bassist von Die Nerven, redet über den Einfluss von 1000 Robota, die Stuttgarter Musikszene und Uneindeutigkeiten in Texten.

Ein kleines Vorgespräch über Fußball. Die Meldung von der Amtsübernahme von Xabi Alonso bei Leverkusen dominiert an diesem Tag die Sportwelt. Julian Knoth, Bassist und Gesang bei Die Nerven und ich kommen schnell zur Übereinkunft, dass er zu den Trainern mit dem besten Musikgeschmack gehört. Wer es nicht glaubt, kann gerne dem Twitter-Profil des ehemaligen Weltklassespielers folgen. Hier teilt er seine Vorliebe für Shoegaze von My Blood Valentine oder den feinen Indie-Pop von Belle And Sebastian. Aber es soll natürlich in dem Interview nicht um die Fußball-Leidenschaft gehen, sondern um das zweite Großereignis in dieser Woche: Die Nerven veröffentlichen am nächsten Tag ihr fünftes Album.

Ich treffe dich gerade in Stuttgart an? Wenn ich das richtig im Kopf habe, bist du da auch Stadtbeirat?

Ich bin stellvertretender Bezirksbeirat und bin da auch nur so zweimal im Jahr. Ich war mal 2019 bei einer Gemeinderatswahl in einer Stuttgarter Wählergemeinschaft politisch aktiv. Aber ich habe schon währenddessen gemerkt, dass mein eigentliches Interesse der Musik gilt. Mein zukünftiges politisches Engagement wird sich auch nicht in so einem Gremium abspielen, sondern eher durch meine Arbeit als Musiker.

Deine Kollegen sind ja nach Berlin gegangen, weil Stuttgart ihnen zu wenig Möglichkeiten bot. Aber ich mag auch deinen Ansatz, dass du eben vor Ort die Dinge ändern möchtest.

Ich wollte anfangs auch gar nicht weg, weil ich dort durch meine Familie und Freunde verwurzelt bin. Da habe ich dann auch die Entscheidung getroffen, bewusst hier zu bleiben und mich nicht nur zu beschweren. In meinem Rahmen, wie ich eben Zeit habe, nehme ich dann auch ab und zu jüngere Bands hier vor Ort auf, die sich ansonsten keine Aufnahme leisten können. Auch wenn ich mich nicht gerade als Produzent sehe.

Max Rieger hat sich ja bereits einen Namen als Produzent von vielen Künstlern wie Casper, Ilgen-Nur oder eben euch gemacht. Tut das mal gut, ihn nicht im Rücken zu haben?

Das kann man kaum vergleichen und ich interessiere mich auch gar nicht so für Technik. Da ist Max auf einem ganzen anderen Level, und ich mache das eher aus Spaß. Das soll auch kein Wettbewerb sein. Ich mache das auf meine Art.

Ihr sprecht ja auch darüber, dass eure drei Egos nun ein Gemeinsames wurden.

Wenn man das auf die Band bezieht, ergänzt sich das mittlerweile alles sehr gut. Max macht die Produktion und das Design, ich bin in der Organisation tätig und Kevin kümmert sich viel um die Support-Bands. So eine Band funktioniert auch gar nicht, wenn es da nicht klare Aufgabenteilungen gibt.

Was waren denn überhaupt vorher die Reibungspunkte und was hat sich da verändert?

Wir haben praktisch von 2012 bis 2015 nur getourt und über 200 Konzerte gegeben. Das war alles sehr intensiv miteinander und wir waren am Ende erschöpft. Da wurden auch einfach viele Dinge einfach nie ausgesprochen, und in der Produktion zu "Fake" kam das dann heraus. Also eben aus dieser Erschöpfung heraus und wir mussten dann schauen, dass unsere Arbeit uns nicht kaputt macht. Ein anderer Punkt war auch, dass wir mitunter doch ziemlich eifersüchtig auf die Projekte des jeweils anderen waren.

Die größte Änderung kam dann, als wir merkten, dass wir dann am besten sind, wenn wir alle unsere Freiheiten haben und das letztendlich der Musik hilft. Die anderen Projekte fließen ja mit in Die Nerven ein. Eine Zeit lang haben wir eben gedacht, dass unsere anderen Bands wie All Diese Gewalt oder Peter Muffin Trio den Nerven Konkurrenz machen. Aber das sind ja alles wir, und wenn wir dann wieder als Die Nerven zusammen kommen, schmeißen wir alle diese Erfahrungen in einen Topf, ergänzen Dinge und es entsteht gemeinsam etwas absolut Magisches. Wir merkten dann, dass diese Bands überhaupt nichts Schlechtes sind, sondern uns gut tun und inspirierend sind. Aber die Nerven leben ja auch davon, dass wir so drei unterschiedliche Persönlichkeiten sind und auch andere Geschmäcker haben.

"Ein Problem ist, dass Schäferhunde selten ihre Zunge im Mund behalten"

Vor einer Woche kam ja das dritte Album von 1000 Robota raus. Ich möchte euch auch gar nicht in eine Schublade stecken, aber diese Dreier-Konstellation und die Situation zur der Doku "Utopia Ltd." fand ich dann ähnlich zu den Nerven. Oder siehst du das komplett anders?

Nee, ich bin ja auch großer 1000 Robota-Fan. Ich habe mir auch das neue Album schon gekauft und finde es toll, dass sie wieder was machen. Die Band war für mich damals auch so wichtig, weil sie auch in meinem Alter waren und etwas machten, was sehr anders als andere deutschsprachige Musik war. Gerade das Debüt war ja sehr wütend und hat mich in seinem Punk-Gedanken beeindruckt. Da habe ich gedacht: Hey, das kannst du auch, das hat mich motiviert. Auch wenn wir vielleicht musikalisch einen anderen Weg gehen.

Ich hatte immer das Gefühl, dass die gerade von der Musikpresse recht schroff angegangen wurden. Oder alles was bei euch geklappt hat, lief bei denen eher nicht so gut. Die haben sich mit Thees Uhlmann angelegt, der ja der Liebling und Buddy der deutschen Musikjournalisten gilt.

Ja, aber ich wollte mich damals auch von Thees Uhlmann distanzieren. Also ich fand das alles ganz gut und habe auch gar nichts gegen ihn persönlich, aber gerade so 2008 gab es überall diesen auserzählten Wohlfühl-Indie. Das hat mich überhaupt nicht mehr interessiert und ich wollte etwas anderes machen. Da waren 1000 Robota schon eher mein Geschenk. Wir hatten ja auch die gleichen Probleme, weil wir ja anfangs oder eigentlich immer noch in eine Schublade mit anderen Bands gesteckt werden. Also ich kann das nachvollziehen, dass man dagegen rebelliert.

Das sind ja gerade ältere Musikjournalisten, die solche Vergleiche ziehen und sich wünschen, dass eine neue Band ihnen ihre Jugend wieder zurückgibt.

Da hast du einen guten Punkt, es läuft auch bei älteren Musikjournalisten sehr distinktiv ab. Die wollen einen mit ihren Bands vergleichen und reagieren dann total beleidigt, wenn man die gar nicht kennt. Es ist zum Glück über die Jahre weniger geworden, aber kommt eben doch immer wieder vor.

Ihr habt diesbezüglich euren Standpunkt auch klargemacht. Max ist ja auch mal aus einem Interview gegangen, weil ihn das zu sehr nervte. Aber wir müssen uns auch jetzt nicht damit aufhalten. Mich fasziniert die Gestaltung von eurem Albumcover. Ich schaue nun schon zum wiederholten Male drauf und kann immer noch nicht einschätzen, ob dieser Hund neugierig, nervös oder sogar angriffsbereit wirkt ...

Das war auch unser Wunsch, dass es man es wie unsere Musik nicht so einfach deuten kann und nicht genau weiß, was sich da in dem Blick des Hundes abspielt. Schön, wenn das genauso ankommt.

Die haben da locker 2.000 Fotos geschossen und es gab am Ende nur eines, was dann genau passte. Das waren insgesamt drei Hunde, aber nur einer hat wirklich mitgespielt und nur dieser eine Shot ist wirklich passend. Ein Problem ist ja auch, dass Schäferhunde selten ihre Zunge im Mund behalten und es allein deswegen viel Ausschuss-Material gab. Da musste schon gut getrickst werden.

Viel Interpretations-Spielraum lässt für mich auch "Deutschland muss in Flammen stehen" aus "Ich sterbe jeden Tag in Deutschland" übrig. Da kann man so einen alten Punk-Schlachtruf rein deuten oder aber auch, dass viele ein Interesse verspüren, dass es brennt und das wie die AfD weiter befeuern. Die profitieren ja stark von einem Krisenmodus.

Ja, so kann man es auch deuten. Es ist natürlich nicht so gemeint, dass wir der AfD in die Karten spielen, und ist bestimmt auch so eine Art Persiflage auf diese Punk-Parole, aber spielt auch mit unserer Uneindeutigkeit. Der Song sagt ja gleichzeitig alles und nichts aus.

Blixa Bargeld hat mal einen "Einstürzende Neubauten"-Song namens "In Flammen Hoch" geschrieben. Konntet ihr euch mit dem bei eurem gemeinsamen Gig unterhalten?

Blixa haben wir an dem Abend gar nicht zu Gesicht bekommen und ich glaube auch, dass der in seiner eigenen Welt lebt und mit anderen abhängt. Das finde ich aber auch cool so und die anderen Bandmitglieder sind ja auch ganz nett. Alexander Hacke ist megacool und war schon früh auf unseren Konzerten, und auch mit N.U. Unruh hatten wir schon zu tun. Ich habe auch große Wertschätzung für Blixa in dem, was er ist und macht. Da habe ich auch gar keine Erwartung an ihn, dass er groß mit mir rumkumpelt, und Corona war ja auch ein Thema. Da war Kontakt allgemein auch nicht ganz so gut.

Wir haben uns ja auch mal kurz auf dem Maifeld getroffen, und da bin ich ehrlich gesagt froh, dass du nicht Blixa Bargeld bist. Ich war auch etwas breit in diesem Moment und habe dich da so forsch angelabert.

Haha, ich hoffe eher, dass ich wiederum normal rüberkam. Ich könnte natürlich auch so eine Rolle spielen oder exzentrisch wirken. Aber ich halte mich für bodenständig. Es gibt beruflich Kontakt mit anderen Musikern, von denen ich Fan war und bin, und die trotz Erfolg am Boden geblieben sind. Bei Jan Müller von Tocotronic hatte ich auch vorher so krasse Ehrfurcht, aber schnell gemerkt, dass er sich aus dem Drumherum gar nicht so viel macht. Das war dann für mich auch ein gutes Vorbild. Auf der Bühne darf man sich ja auch etwas abfeiern lassen, aber ansonsten bin ich lieber inkognito. Also für uns drei kann ich stellvertretend sagen, dass uns der ganze Zirkus nicht so interessiert und wir einfach unsere Musik machen.

"Bei unserer Musik hat man die Möglichkeit vieles heraus zu schreien"

Tocotronic haben ja Anfang des Jahres so eine Art Trost-Album mit Themen wie Gnade und Liebe veröffentlicht. Euer Album ist eher ein Protokoll eines Zerfalls und Beschreibungen von Endzuständen. Siehst du es auch so, dass ihr in der Hinsicht so eine Art Gegenentwurf zu Tocotronic geschrieben habt?

Ja, es wurde schon mit einem dunklen Raum verglichen. Es gibt aber auch Hoffnungsschimmer auf dem Album, die hoffentlich erkennbar sind, und die versöhnlichen Töne sind auch vorhanden, auch wenn sie nicht so einen großen Raum einnehmen. Es ist eine Art Dekonstruktivismus, weil wir etwas zerstören und neues aufbauen. Also klar ist da schon "Zerfall", aber aus den ganzen Trümmern erschaffen wir auch viel Konstruktives und wandeln Negativität in was Gutes um. Sachen wie Hoffnungslosigkeit in etwas Zuversichtliches und Positives.

Klar, so ganz resigniert klingt das Album nie. "Europa" finde ich aber schon sehr düster, das wirkt, als ob man mit Entsetzen auf eine Sache schaut, die man hätte verhindern können. Also auch eine Selbstanklage.

Ja, da muss man auch noch mal besonders West- oder in meinem Fall Süd-Deutschland hervorheben. Also wie ich hier in einem schwäbischen Dorf aufgewachsen bin, das ging ja kaum noch behüteter in seiner heilen Welt. Das Böse hat man ja dann irgendwann als Kind schon wahr genommen, und es war wie ein ungutes Erwachen. Das hat mich stark beschäftigt und tut es immer noch.

Eine Anklage schwebt da auch durch. Das soll nicht nur Vorwurf an meine Eltern sein, denn wir haben ja auch mitgemacht. Aber es ist auch für uns klar, dass wir eine privilegierte Sicht auf manche Dinge haben und das dann auch eine Selbstanklage ist. Wir sind in der Lage, so ein Album zu veröffentlichen, bei anderen Bands oder Ländern ist das überhaupt nicht möglich. Ich hoffe aber trotzdem, dass unser Album zum Nachdenken anregt. Wir wollen ja keine Antworten liefern, eher den Finger in die Wunde legen. Und wir bieten vielleicht auch keinen direkten Lösungsansatz, aber mit unserer Musik hat man die Möglichkeit, vieles heraus zu schreien und nicht allen Ballast mit sich herumzuschleppen.

Eher ruhig ist ja "Ein Influencer weint sich in den Schlaf". Ich habe aus Gesprächen mit anderen Musikjournalisten den Eindruck, dass viele das als Song-Favoriten auf eurem Album ausgemacht haben.

Haha, ich verbinde damit eher, dass es allein von seiner Entstehung der anstrengendste Song auf dem Album war. Da habe ich ehrlich gesagt andere Favoriten, aber die werde ich jetzt nicht nennen. Aber so positive Rückmeldungen versöhnen mich dann auch wieder mit diesem Song.

Ich war allein wegen des Titels anfangs skeptisch. Da hatte ich dann plakatives Social Media-Bashing erwartet und war dann aber sehr ergriffen.

Das freut mich sehr! Ich habe mich auch sehr dafür eingesetzt, dass er noch in die Session zur Produktion hinein kommt, gerade weil die Demo auch schon so gut war. Aber es hat dann im Studio lange gedauert, bis wir ihn endlich fertig bekommen haben. Ich mag den musikalisch sehr, auch weil er wie du schon sagst auch textlich überzeugt und nicht so platt daher kommt.

Wir sind ja gerade durch Facebook anfangs bekannt geworden. Wir haben da glaube immer noch viele Follower, aber für mich passiert auf dieser Plattform nichts mehr, und es ist auch schlichtweg kaum noch dieses Konstruktive dort. Aber es geht eben immer weiter, auf einer anderen Plattform.

Es wird ja von vielen Künstler:innen auch mittlerweile vom Label erwartet, dass sie sich auf TikTok sichtbar machen. Egal ob sie was wollen oder können, aber sie sollen dort Content liefern und ihre Musik anpreisen.

Ja voll. Ich erinnere mich da auch noch an MySpace, wo es mehr um die Musik als die Vermarktung ging. Aus der Zeit sind auch viele Freundschaften entstanden, die bis heute anhalten. Die größte Utopie war damals, dass MySpace die Schnittstelle zwischen Band und Fan sein kann. Dort konnte man auch sehr gut connecten und dann eine Tour buchen.

Berätst du denn deine Stuttgarter Bands in der Hinsicht? Wie sie mit den Medien und sozialen Medien umgehen?

Nee, was soll ich da auch großartig Tipps geben? Wir reden viel lieber über Musik. Also ich habe da gerade eine Band namens Zweilaster, und die fragen mich schon nach guten Ratschlägen, aber das ist dann eher auf Sachen bezogen, wie man zum Beispiel eine Tour bucht oder an ein Label kommt. Da habe ich dann auch mehr Kompetenz als in Social Media. Die kennen das schon selber ganz gut und wissen sich da zu helfen.

Eure Texte sind auch eher nicht so deutlich ironisch.

Ja, das ist eher so ein bandeigener Humor, den nur wir checken. Humor spielt dann auch tatsächlich eine nach außen nicht so wichtige Rolle auf unseren Alben. Für uns sind es dann auch musikalische Sachen, die wir einbauen und lustig finden. Wir als Typen sind auch durchaus Menschen, die Humor als wichtig erachten. Aber dann doch eher intern oder manchmal bei unseren Social Media-Auftritten.

Eure Tour steht ja schon bald an. Blickst du da noch wegen der steigenden Inzidenz-Werte optimistisch drauf oder hast Sorgen?

Ich versuche, mir da derzeit noch keine Gedanken zu machen und erstmal die schönen Momente mitzunehmen. Naja, und wenn es dann vielleicht zu einem Abbruch der Tour durch solche Umstände führt, dann nutzen wir die Zeit, um weiter Musik aufzunehmen. Also das ist dann auch schon der Plan B, bevor wir in ein Loch fallen. Wir sind dann zu sechst in einem Van, inklusive Technikern, die wir auch schon lange kennen. Das hat dann eher den Charakter einer Klassenfahrt und ist ja von der Anzahl der Konzerte her auch überschaubar. Wir kennen ja alle schon länger, aber es ist natürlich auch schön, dass noch andere zu uns dreien dazustoßen und wir nicht nur wir aufeinander herumhocken. Wenn dann ein Konflikt entsteht, müssen wir das nicht nur unter uns lösen, sondern die anderen helfen dann auch mit und lösen mit ihrer empathischen und feinfühligen Art die Situation auf. Früher haben wir auch viel Musik gehört, aber mittlerweile nicht mehr oder jeder hört seinen Kram auf den Kopfhörern.

Also siehst du für die Zukunft nicht schwarz?

Schwarz bedeutet eigentlich keine Farbe für mich. Ich trage es auch sehr gerne als Kleidung, es ist so zeitlos edel. Klar, da schwingt viel Melancholie und Düsternis mit. Aber letztendlich vertraue ich einfach darauf, dass es auch wieder gute Tage und einfachere Zeiten gibt.

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LAUT.DE-PORTRÄT Die Nerven

Ob man Die Nerven nun als Teil einer Bewegung oder einfach als eindrucksvolle Punkband plus x betrachtet, hat auf den Hörgenuss zwar keinen Einfluss.

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