laut.de-Kritik
In der Musik kann man schwimmen, ohne sich dafür umzuziehen.
Review von Philipp Kause"Battito Infinito", der unendliche Kampf des Eros Ramazzotti, fällt formal aus dem Rahmen. Selten hörte man in den letzten Jahren ein Album, das so massiv, laut und konsequent die Stimme in den Vordergrund mischt, sich aber auch instrumental nicht verstecken muss. Und selten erscheint eine Platte von Vornherein in zwei Sprachen, ohne dass die Fremdsprache wie ein billiger Abklatsch der Muttersprache wirkt. Die spanische Ausgabe "Latido Infinito" lebt von Ramazzottis gewachsener Begeisterung für Reggaeton-Pop, seiner lange währenden Beliebtheit auf dem Latin-Markt (wo er bald tourt) und seiner Vernetzung mit spanischen Künstlern.
Dabei vermittelt sich schon gefühlsmäßig, dass der Italo-Star zwischen mehreren Lebensgefühlen und Kulturkreisen tänzelt: Das italienische Feeling bevorzugt Seichtes im Rock-Ledermantel, wobei Eros hierfür 2022 mal ernstzunehmende Schnittmuster findet. Man hat die Softrock-Kompromisse und Pathos-Balladen alle schon peinlicher und übertriebener gehört, und man muss Ramazzotti generell auch eine Weiterentwicklung attestieren.
Jenseits der Mainstream-Hits, für die hier stellvertretend "Ama" antritt, pflegte Eros bereits auf den letzten Alben wunderschönes Liedgut (wie etwa das Duett mit Alessia Cara auf "Vita Ce N'è"), nur dass solche 'versteckteren' Album-Cuts an seinem Image als Stadien füllender Reibeisen-Schmalz-Onkel wenig ändern. Denn das ältere, Oldies-Radios hörende Publikum kennt oder mag ihn nur schnulzig und fragt in Wunschsendungen nach solcher Art Rockpop wie hier in "Magia": Fette, wulstig gespielte Klavier-Akkorde klettern auf hymnische Spitzen. Doch selbst dieser eher typische Tune hat in seinem non-stop-Wortfluss etwas Understatement und mehr Storyteller-Attitude als Stadion-Plakativität.
In der Kategorie der rau-dissonanten Gitarrenriffs Marke Héroes Del Silencio schlägt sich Eros dieses Mal sehr gut. Etwa "Gli Ultimi Romantici" a.k.a. "Los Últimos Románticos", über die letzten Romantiker, steigert sich in eine so smarte Saxophon-Ekstase, dass es spannend ist, dem Song bis an sein Ende zu folgen. "Ama" als eine Art Chris Rea in 'kantig' und 'knackig' funktioniert und überzeugt ebenfalls. Überhaupt verleiten selbst die an Italiens Charts-Geschmack angepasst(er)en Nummern eher zum Dranbleiben als zum Skippen, zumal die Melodien top sind und der Mann am Mikrofon gut bei Stimme klingt. Die Streicher-Ballade "Ogni Volta Che Respiro" (im Spanischen "Cada Vez Que Respiro"), das Klavierstück "Ti Dedico" a.k.a. "Es Para Ti", und der straighte, aber sanfte Softrock "Nessuno A Parte Noi" weisen allesamt kraftvolle Lebendigkeit, stimmige Arrangements und eine jeweils eigene Farbnote im Spektrum von "Battito Infinito"/"Latido Infinito" auf. Sie sind alle schön anzuhören, selbst wenn sie das Rad nicht neu erfinden.
Das zweite Lebensgefühl wird der guten Laune bei melancholischem Grundton im spanischsprachigen Kulturraum zuteil. Mit Zutaten aus Salsa platziert der Italiener die Trompete in gut orchestriertem Umfeld, inszeniert Party-Feurigkeit und beweist sich als Crooner in "Virgen De Guadalupe" (oder "Madonna De Guadalupe"). An den ganz eigenen Musikstilen Guadeloupes hat er ansteckenden Spaß: Auf ein Bläser-Intro pirscht sich lockerer Insel-Klischee-Vibe an, mit Akustikgitarre und durchdringender Percussion. Die saftigen Tuschs am Schlagzeug verleihen der Nummer exotischen Flair.
Mit dem etwa gleichaltrigen Spanier Alejandro Sanz tat sich Eros für die Single "Sono" bzw. "Soy" zusammen, die Lebenserinnerungen erzählt. Das Video zum Duett zeigt die beiden zwischen bolzenden Jungs auf einem semiprofessionellen Fußballfeld in einer armen Vorstadtgegend. Der Clip stellt dar, wie gemeinsame Aktivitäten Freundschaften fürs Leben begründen und zeigt Alejandro mit Trikotnummer "9" und Eros mit der "11". Autobiographisch daran ist, dass Ramazzotti tatsächlich im Fußball-Team italienischer Sänger mit kickte.
Ein dritter Strang und Bezugspunkt, für den Ramazzotti eher weniger bekannt ist, sind Disco und Hip Hop mit Eastcoast-Prägung. Doch mit einem in Jovanotti- und Mahmood-Manier gerappten Part in "Figli Della Terra", mit geschmeidigem Eighties-Synth-Funk in "Eccezionali" (oder "Extraordinarios") und dem an Nile Rodgers erinnernden "Ritornare A Ballare" a.k.a. "Volver A Bailar" halten diese Musikgenres Einzug. So kompromisshaft sie auch eingebunden sind und so cheesy sie dadurch anmuten, so fließend und bruchlos fügen sie sich in die Umgebung ein. Überhaupt erscheint die Platte recht natürlich wie aus einem Guss, ohne ein bestimmtes Schema zu reproduzieren. Hier emanzipiert sich der 58-Jährige von seinem Image.
Wie das Cover-Bild vorführt, kann man in diese Musik mühelos eintauchen und in ihr schwimmen, ohne sich dafür umzuziehen. Obwohl die Platte viele Pop-Konventionen in schnell zugänglicher Form bedient, tut sie es nicht in aufdringlicher Art und Weise, sondern sogar ein bisschen erfrischend. Etwas Innovation, ein Unplugged-Moment und mehr Variantenreichtum beim Singen wären trotz alledem toll und machen die CD nun nicht zum Non-Plus-Ultra, gleichwohl sie sehr gut unterhält.
2 Kommentare mit 2 Antworten
Das, was ich an Musik von Eros kenne, ist unhatebar.
Was ich nicht verstehe erst wurde das Album vom Rezensent mit 4 Sternen ???? jetzt auf einmal 3 Sterne ???? Bewertet.
weils scheiße ???? ist
Nein ist es absolut nicht. Habs mehrmals gehört und es ist überraschent gut bis sehr gut. Die 4 Sterne gehen schon klar. Weiss auch nicht warum plötzlich ein Stern fehlt. Ist aber auch nicht wichtig. Hauptsache es gefällt.