laut.de-Kritik
Erfrischender Alternative Rock vom Genfer See.
Review von Mathias MöllerAlso ehrlich, das hätte ich den Schweizern nicht so ohne weiteres zugetraut. Favez aus dem beschaulichen Lausanne am schönen Genfer See blasen mir mit ihrem fünften Album "Old And Strong In The Modern Times" ordentlich die Gehörgänge durch. Der Titel ist dabei Programm, denn Favez trotzen der New Rock-, Nu Metal-, Retro-und so weiter-Verwirrung und bieten eine packende Mischung aus straightem In-Your-Face-Rock, spannungsgeladenem Powerpop und good old Alternative Rock.
Schon der Opener langt mächtig hin und reißt vor allem wegen seines unbedingten Willens zur Melodie mit. Das ist sicher einer dieser Tracks, bei denen das Publikum auf Konzerten völlig durchdreht. Hier zeigt sich auch gleich, dass Favez das richtige Gefühl für's Gaspedal und die richtigen Gänge haben. Selten hat man das Gefühl, dass das jetzt gerade zu hart oder zu soft war. Der leidenschaftliche Gesang von Chris Wicky - auch bei "The Bigger The Clouds" der unumstrittene Star - tut sein Übriges.
Hin und wieder, wie zum Beispiel bei "The Colored Machines" fühlt man sich ein wenig an Bush erinnert, auch wenn eine direkte Seelenverwandschaft zu anderen Bands kaum auszumachen ist. Favez haben einen eigenständigen Sound gefunden, der sich durch supertightes Drumming, gefühlvollen Einsatz der Saiteninstrumente und nicht zuletzt durch den schon angesprochenen markanten Gesang auszeichnet. Bei Tracks wie "What Are You Going To Do With My Life" merkt man deutlich, wie das Motto "Old & Strong In The Modern Times" zu verstehen ist: die Platte hätte so auch schon vor einigen Jahren erscheinen können, biedert sich aber keinem Retro-Trend an, sondern wirkt bestenfalls zeitlos schön.
Erfrischend wirkt auch, dass Favez nicht einfach ihren Rockstiefel runterspielen, sondern es ihnen vielmehr gelingt, viele Stimmungslagen auf einer Langrille unterzubringen. Ob zynisch die "modern times" kommentierend wie in "Marlon Brando, Porsches, Hondas And Me", punkrockig wütend wie in "And The Ship Sails" oder gar Balladen-Anleihen bemühend wie in "Days Off The Hook". Dass der "Desolation Blues" nicht wirklich ein Bluesschieber im klassischen Sinne ist, sondern ein treibender Uptempo-Rocker, fällt nicht weiter ins Gewicht.
Alles in allem bleibt bei diesem Album unverständlich, warum Favez bis jetzt noch nicht Fame in größerem Rahmen ernten konnten. Sie haben durchaus das Zeug, dem alternden Alternative-/Indierock-Genre gehörig den Arsch zu versohlen. Die Band und "Old & Strong In The Modern Times" hätten es sicher verdient, dass die Alternative-Gemeinde hier mal genauer hinhört. Technisch hochwertige (was erwarte ich eigentlich anderes von Schweizern?) und überaus unterhaltsame Rockmusik schüttelt nicht jeder so einfach aus dem Ärmel, wie es Favez gelungen zu sein scheint.
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