30. November 2015

"Wir sind hier nicht die Hofnarren!"

Interview geführt von

Freunde sind Friends und Friends sind Freunde. Fraktus werden das in diesem Leben wohl nicht mehr. Zwischen Bernd Wand, Dickie Starshine (ehemals Schubert) und Torsten Bage sind die Wogen noch immer nicht geglättet. Das hat sie jedoch nicht davon abgehalten, ein weiteres Stück Musikgeschichte zu produzieren. Auch wenn ihre Meinungen bei quasi jedem Thema auseinander gehen und sie selbst für die Aufnahmen zum neuen Album "Welcome To The Internet" kaum zusammen Zeit in einem Raum verbringen wollten, geben sie gemeinsam in Berlin Interviews und gehen auf Tour. Fraktus will schließlich vermarket werden, solange das Eisen "sizzling hot" ist.

Sie wollen es noch mal wissen. Singen auch auf Englisch, lechzen nach dem Massenmarkt und lassen sich dafür von Rihanna inspirieren. Warum sich Dickie trotzdem nebenher im Bierbike-Geschäft versucht, Torsten den Flokati auskämmt und wie Bernds Tanz auf dem Vulkan aussieht, erklären die drei im Gespräch mit laut.de. Die schönste Beleidigung gleich vorweg: "Du blöder Bauerntrampel aus der Ostsee, aus dem Wrack da."

In einem Artikel über euch wurde diskutiert: Ist Fraktus überhaupt noch zeitgemäß? Diese Frage würde ich gerne an euch richten.

Bernd Wand: Ich fang' mal so an: Wir kommen aus den 80er Jahren und alle, die in den 80er Jahren Musik gemacht haben, sind per Definition nach vorne ausgerichtet. Bedingungslose Modernität. Wir können gar nicht anders als modern sein.

Torsten Bage: Wir können ja mal erklären, wie das Album entstanden ist. Die Vorproduktion hat jeder für sich alleine gemacht. Wir haben dazu jeweils die globalen Topsounds genommen.

Das heißt, ihr öffnet euch für neue Musik?

Bernd: Wir haben nach dem BoB-Prinzip gearbeitet. Best of the Best. Wir haben die besten Sounds der Welt benutzt, die alle anderen auch benutzen. Die haben sich schon bewährt.

Könnt ihr ein paar Songs oder Produzenten nennen, an denen ihr euch orientiert habt?

Torsten: Ich hab mich orientiert an Rihannas "Rude Boy" und Katy Perrys "Last Friday Night". Richtig modernes Zeug, das ist sizzling hot.

Dickie: Wenn man uns hört, hört man eigentlich Katy Perry und Rihanna, wenn man so will - nur anders angeordnet.

Torsten: Und dann muss man dazu sagen, dass jeder seine Ideen und Sounds in einen großen Mixer gepackt hat. Den haben wir ein Mal durchgeschüttelt und dann haben wir das an unser Produzententeam in Berlin gegeben, und die haben das auch noch mal durchgewirbelt.

Ich verstehe also richtig, dass ihr jetzt auf den breiten Markt abzielt?

Torsten: Das hört man doch wohl auch. Hoffentlich.

Mir ist das vor allem bei "Schuhe aus Glas" aufgefallen.

Torsten: Das ist mit sehr viel Gefühl entstanden.

Es kam mir sehr poetisch vor.

Dickie: Das ist schon unsere emotionalste Platte, würde ich sagen und
...

Torsten: ... auch unsere politischste Platte.

Dickie: Ich weiß jetzt nicht, was das bei dem Song zu suchen hat.

Bernd: Naja, es gibt ja auch eine Poesie des Zufalls.

Dickie: Darf ich da direkt anschließen? Die Grabbelkiste "Schuhe aus Glas" besteht aus Ersatzstücken anderer Songs. Wir haben unsere ganzen Vocallines auf den Tisch gelegt und wirklich die Schlagsätze genommen. Den ganzen Müll haben wir runtergeschnitten und der ist vom Tisch gefallen.

Bernd: Und den Flokati hat er noch mal ausgekämmt. Deswegen macht das Lied auch keinen Sinn.

Torsten: Ich lasse das unwidersprochen stehen und bitte den Zuhörer, sich ein eigenes Bild zu machen, ob an der von den beiden Kollegen geäußerten Polemik irgendwas dran ist. "White Dinner" ist auch ein schönes Stück. Erzähl doch mal was darüber.

Dickie: Ich glaube, wenn man die Leute visionär zusammenbringen will, muss man ihnen die Möglichkeit geben, sich nicht unterscheiden zu können. Wenn zum Beispiel zum Barbecueessen der eine in Jeans und der andere im Anzug kommt, dann gibt es Tote, die gibt es dann. Aber wenn du denen allen sagst, dass die sich gleich anziehen sollen ...

Torsten: Weiße Jeans, weißer Anzug.

Dickie: Alle kommen in weißen Sachen und essen weiße Sachen und trinken weiße Sachen. Und wenn das gelingen würde auf der Welt, das Leute solche Feste machen, dann würde es keine Probleme und keine Kriege mehr geben.

Torsten: Also, unsere politischste Platte!

Wo ordnet ihr euch denn politisch ein?

Torsten: Ich weiß jetzt nicht, ob dir der 1992 verstorbene, als CDU-Liedermacher diskreditierte Knesel was sagt. Der hat Lieder gegen links gemacht und war Initiator der Bürgerinitiative für Energiesicherung und Kerntechnik. Und der wurde verlacht. Die linke Szene hatte damals so einen Sog, dass es um Gerd Knesel ganz still wurde, obwohl er von der CDU supportet wurde. Er ist vergessen und verarmt und verspottet am Ende in Geesthacht gestorben. Für mich ist "Welcome To The Internet" seinem Andenken gewidmet.

Bernd: Du merkst, dass Torsten bei Fraktus so weit an den rechten Rand gerückt ist, dass er schon fast runterfällt. Und dass wir uns wahrscheinlich bald von ihm trennen müssen.

Dabei kam es mir gerade ganz friedlich zwischen euch vor.

Torsten: Was sollen wir denn jetzt hier in Gegenwart dritter oder vierter die Konflikte austragen? Das wäre unprofessionell.

Wie hab ich mir bei solchen Differenzen den Aufnahmeprozess vorzustellen?

Torsten: Wir haben uns zwei Mal gesehen. Jeder hat seine Spuren, Tracks abgegeben. Live haben wir das per Sk...p (unverständlich, Anm. d. Red.) gemacht.

Dickie: Das heißt Skype und nicht Skalp.

Torsten: Ich hab doch Skype gesagt!

Dickie: Du sagst immer Skalp!

Torsten: Skalp – das ist ja lächerlich!

Dickie: Das ist auch kein Wunder – du hast dein Skalp heute nämlich auch schon wieder falschrum aufgesetzt. Das nur nebenbei, ich will nichts gesagt haben.

Torsten: Du Bauer! Du blöder Bauerntrampel aus der Ostsee, aus dem Wrack da. Dieser Nebel des Grauens, da kommst du raus, da bist du rausgewachsen.

Dickie: Wer kommt denn aus dem Schwiegelbüttelweg? Wer wohnt da von uns dreien?

Dickie, du hast dich umbenannt zu Starshine.

Torsten: Da haben wir es ja schon. Erzähl doch mal, dass du den Namen deiner Frau übernommen hast. Schubert.

Dickie: Ich hatte eine lange Gerichtsaussetzung mit meiner Frau um den Nachnamen, weil ich in die Familie reingeheiratet habe. Sie hat den Prozess gewonnen, und ich musste den Namen wieder hergeben. Da hab ich mir bei einem englischen Lord einen neuen, internationalen Namen gekauft und der Name ist Dickie Starshine.

Das klingt alles sehr international. Ist es ein Ziel, jetzt im Ausland die Anerkennung zu erhalten, die ihr eigentlich schon längst hättet bekommen müssen?

Bernd: Absolut richtig. Deswegen benutzen wir ganz viele englische Worte und deswegen hat die Platte einen englischen Titel und deswegen singt auch Dickie den Titeltrack auf Englisch, weil er der einzige von uns ist, der richtig gut Englisch kann.

"Welcome To The Internet heißt: Willkommen in der Hölle"

Wie bilden sich Pioniere wie ihr weiter?

Torsten: Am besten ist es, wenn man sich selbst als sich selbst erneuerndes System begreift und sich gegen Einflüsse abschottet. Ich für meinen Teil brauche vom heutigen Tag an keine neue Erfahrung mehr zu machen. Ich kann im Grunde genommen schon seit 10 oder 15 Jahren aus dem schöpfen, was ich erlebt, erdacht, erfahren habe.

Bernd: Es ist doch so - der 80er Jahre-Geist ist voller Mut zum Risiko. Tanz auf dem Vulkan. Das heißt, selbst wenn wir jetzt genau dieselben Instrumente benutzen wie alle anderen auch, selbst dann sind wir so durchtränkt mit dem nach vorne gerichteten Geist der 80er, das alles, was wir machen, sowieso immer modern sein wird – sein muss, per Definition.

Torsten: Nicht anders kann. Muss.

Ihr wurdet in einem Interview gefragt, wie weit ihr eurer Zeit voraus seid. Dickie sagte damals: Sieben Jahre. Wie ist das beim neuen Album?

Dickie: Dieser Abstand ist für uns sehr schwierig. Wenn die Welt immer hinterher ist, gibt es immer ein Missverständnis zwischen beiden Seiten. Und das führt dazu, dass wir nicht abkriegen, was uns gebührt. Deswegen haben wir, wenn man so will, wie ein Schülerlotse die Welt hinter uns rangewunken.

Wie fühlt es sich an, nun wieder ein Stück Musikgeschichte in Händen zu halten?

Torsten: Erst mal gut. Wir haben das unsrige getan, ab jetzt liegt es in den Händen von Leuten wie dir. Das heißt: Wird es eine polemische, gegen uns gerichtete Berichterstattung geben? Und dann liegt es natürlich noch an den so genannten Fans, an der Rezeption des Albums.

Habt ihr Angst, dass es wieder falsch aufgefasst ...

Torsten: Ja, ja, ja, ja, ja ...

Dickie: Bei allen Reportern haben wir das Gefühl, dass sie uns verarschen wollen. Dass sie das alte Spiel spielen wollen.

Torsten: Das war schon nach dem Film so. Wir hatten gedacht, gehofft, die Leute lachen mit uns – um festzustellen, dass die Leute uns auslachen. Wir sind nicht die Hofnarren, die auf die Bühne gestellt werden, damit sich die Leute ihre Gaudi machen und uns irgendwie so verunsichert zurücklassen.

Bernd: Ich meine, es braucht ja schon einen gewissen Mut, noch mal aus dem Dunkel rauszutreten und die Platte ins grelle Licht reinzustellen, ne?

Aber ihr habt eine gute Fanbase aufgebaut. Die letzte Tour war ausverkauft.

Torsten: Man muss aber auch sehen: Das ist drei Jahre her.

Bernd: Und zum anderen muss man auch sehen, dass die Leute teilweise bei unseren Konzerten mit dem nackten Finger auf uns gezeigt haben. Da fragen wir: Wieso das?

Torsten: Dickie hat in der Zwischenzeit sehr viel Pech gehabt und konnte sich nicht so in die Fanpflege einbringen, wie das vielleicht gewünscht wäre. Er hat seine Ersparnisse in ein mobiles Geschäftsmodell gesteckt. Ich nenne es mal beim Namen: Er hat sich ein Bierbike gekauft. Ein sehr luxuriös ausgestattetes, von einem schwedischen Hersteller. Aber am dritten Tag, als es in Betrieb war – er ist natürlich der Fahrer und Organisator und so Mädchen für alles – da ist er tatsächlich betrunken von der Polizei geschnappt worden.

Dickie: Weil bei der Erklärung von der Bierbank überhaupt gar nicht drauf steht, dass der Fahrer selber nicht trinken darf.

Torsten: Ja, das ist ja auch ganz seltsam, wenn man mit einem Fahrzeug im Straßenverkehr unterwegs ist, dass man da nicht ...

Dickie: Aber das ist ein Bierbike! Das muss einem ein Verkäufer doch sagen, dass man da selber ausgeschlossen ist aus der Trinkrunde.

Torsten: Also, Dickie Starshine Schubert hat sehr viel Pech gehabt. Ist natürlich nicht sein eigenes Verschulden, aber die Konsequenz daraus ist, dass das Bierbike bei ihm hinten im Garten steht und langsam vor sich hin verrottet, und die ganzen Penner aus der Umgebung, die normalerweise an der Bushaltestelle abhängen oder an der Tanke, die kommen jeden Nachmittag zu ihm in den Garten und bleiben bis in die Puppen.

Dickie: Was heißt hier Penner? Das sind Bekannte von mir.

Torsten: Die als Freunde, da brauchst du keine Feinde mehr.

Dickie: Du wirst auch noch ankommen auf dem Bierbike.

Wieso hattest du das Gefühl, das du dir noch ein drittes Standbein aufbauen musst?

Dickie: Wieso ein drittes? Ich hab zwei Beine.

Was ist aus deinem Internetcafé geworden?

Dickie: Das wurde geschlossen, weil es mit dem Internet bergab geht. Weil die große Welle des Internets vorbei ist.

Aber trotz allem habt ihr euer Album "Welcome To The Internet" betitelt.

Dickie: Ja, aber es ist eine kritische Formulierung. "Welcome To The Internet" heißt: Willkommen in der Hölle.

Torsten: Im übertragenen Sinne. Das ist feine Ironie. Das Internet, das heutzutage ein Ort der Verheißung zu sein scheint und als solcher angepriesen wird, ist vielleicht doch nicht das Paradies. Und die andere Frage ist: Ist das Internet vielleicht ein riesengroßer Hype? Und was passiert mit einem Hype nach einiger Zeit?

Bernd: Die Begeisterung geht runter. Die Leute hauen ab. Öde. Leere.

Laut.de ist ein Onlinemagazin. Wollt ihr dann überhaupt in solchen Medien erscheinen?

Bernd: Naja, so lange das Internet funktioniert, ist ja nichts dabei.

Torsten: Wir sagen ja nicht, dass das was Böses ist.

Auf einen Hype folgt der nächste Hype. Was folgt auf das Internet?

Dickie: ISDN, Fax.

Torsten: Da wird man auf die alten Lösungen zurückgreifen. Letztlich auf das, was man heute als analoge Lösung bezeichnet.

"Du bist auch so ein Wellenbrecher!"

Was erwartet die Fans auf eurer Tour?

Torsten: Einiges, auf jeden Fall ein interessantes Experiment. Es gibt für jeden digitale Einzähler. Es gibt Verabredungen, die pro Song eingehalten werden und darüber hinaus jede Menge Freiraum. Du erlebst das Fraktus-Konzert vordergründig und dahinter machen alle drei noch gleichzeitig – zwar für das Konzert, aber nebenbei – noch ihr eigenes Konzert. Das heißt, es sind vier Konzerte unter einem Dach.

Bernd: Alle Geräte sind miteinander synchronisiert, aber jeder macht so ein bisschen das, was er will, weil wir überhaupt nicht einer Meinung sind. Ich werde auch meine eigenen Instrumente mitbringen. Was die anderen auf ihrer Seite haben, ist mir erst mal nicht so wichtig. Tatsache ist, dass die natürlich bei meinen Songs mitspielen sollen, weil wenn die nicht bei mir mitspielen, spiel' ich auch nicht bei denen mit.

Dickie: Aber ich hab noch eine andere Idee für das Konzert! Und zwar dass jeder auf der Bühne auf seiner Seite seine eigenen Songs abspielt und zwar gleichzeitig. Dann kann sich das Publikum nämlich für das entscheiden, was ihnen am besten gefällt und vor die Bühnenseite kommen sie. Das mag bei den Grenzbereichen nervig sein, weil die Songs sich überlappen, aber wenn man das nur laut genug macht, dann...

Torsten: Ich bin dagegen. Ich bin dagegen. Ich...

Dickie: Lass mich mal mein Konzept ausführen. Dann können sich die Leute vor Ort für das geilste Konzert entscheiden und sie kriegen drei Konzerte geliefert für den Preis von einem.

Torsten: Du zerstörst damit die Idee, dass wir das Hauptkonzert sind und machst eine komplette Konkurrenzsituation auf.

Dickie: Aber die gibt es doch sonst auch.

Bernd: Du meinst, dass die Stücke gleichzeitig ablaufen?
Dickie: Aber volle Power!

Torsten: Aber die Schnittpunkte sind so groß, dass das für 50 Prozent der Konzertbesucher nur noch Brei ist.

Dickie: Wir können Wellenbrecher dazwischen aufstellen. Oder eine Art Wände, so dass die Leute in einer Art drei verschiedenen, langen, schmalen Hallen stehen. Die Bühne ist die gleiche.

Torsten: Du bist auch so ein Wellenbrecher!

Was treibt euch dazu, noch zu dritt auf Tour zu gehen, wenn ihr eigentlich viel lieber allein sein wollt?

Torsten: Dann würden ja nicht so viele Leute kommen. Es gibt halt den Namen Fraktus, und du weißt: Corporate Identity, USP. Der Name hat einen Markenwert.

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