laut.de-Kritik

In der Küche brodelt die Marinara, im Keller das Crack.

Review von

Auf "Bandana" verschlug es Freddie "Kane" Gibbs in die Crackküchen des sommerlichen Kaliforniens, auf "Alfredo" findet er sich nun in den in Nebel gehüllten Straßen New York Citys wieder. Irgendwo in einer Pizzeria in Little Italy, die Sonne ist gerade erst untergegangen, sitzt er zusammen mit seinem Partner in Crime Alan Daniel Maman, besser bekannt als The Alchemist, und qualmt Kippe nach Kippe. Sie trinken Merlot, essen Pasta und reden übers Geschäft. In der Küche brodelt die Marinara, im Keller das Crack.

"I can smell the 'caine burnin'. Michael Jordan, 1985, bitch I travel with a cocaine circus." bricht es aus Gibbs heraus. Alchemist lacht kurz, zieht an seiner Zigarette und winkt den Kellner zu sich her. Nachdem er sich sicher ist, dass dieser seine Bestellung fehlerfrei notiert hat, blickt er dem Mann des Abends in die Augen, lächelt und sagt: "Don't lose the beat motherfucker, take the garbage out." Jetzt muss auch Freddie lachen. Auf ein "Alright" folgt das Krächzen der maroden Stuhlbeine und ein kurzes Räuspern.

Langsam kommt der Kane-Train ins Rollen. "Quarter thang to a whole thang, whole game workin. Hit a bitch with that extended clip or that revolver. Shit'll serve the same purpose.". Binnen Sekunden wird es still im Lokal. Jung, alt, schwarz, weiß: Alle hängen sie an Freddies Lippen, der uns mit auf einen Trip ins Jahr "1985" nimmt. Als Vito Corleone schon fast vergessen, die Mafia aber präsenter denn je war. Es war das Jahr der "Pizza-Connection", als über dreißig Mafia-Mitglieder wegen verstecktem Drogenhandel in Pizzerien vor Gericht standen.

Darüber kann Freddie Gibbs rückblickend nur schmunzeln. Von den mit Staub überzogenen Throwback-Instrumentals seines Chef-Alchemisten gestärkt, befördert er seinen Flow auf "God Level". Während hintergründig leise das Piano weint, läuft der Rapper aus Indiana auf "God Is Perfect" zur Hochform auf. Inhaltlich gibt's "Gangland shit". Nichts neues, aber so eiskalt serviert, dass man gar nicht anders kann als mit dem Kopf zu nicken.

Letzteres trifft auf die gesamte Performance zu, die Gibbs in "Alfredos" Pizzeria zum Besten gibt. Egal wie redundant der Inhalt auch sein mag, die Delivery bleibt messerscharf und das Ambiente, das Alchemist aus den Crates heraufbeschwört, verrucht und unwiderstehlich. Der Mangel an eingängigen Hooks ist deswegen auch absolut verkraftbar.

Pünktlich zum Hauptgang schwingt die Türe auf. Sofort erfüllt der Dunst einer Cohiba den Raum. Mit schweren Schritten schreitet Rick Ross, der Kingpin Floridas, aus dem Rauch, begrüßt Al und Freddie, zieht sich einen Stuhl heran und lehnt sich zurück. Im TV berichten sie währenddessen über einen weiteren Fall von Polizeigewalt.

"The revolution is the genocide. Look, your execution will be televised", rappt Gibbs, während die Straßen in Flammen stehen. Rick Ross schließt sich ihm an und lässt mal eben einen seiner besten Guest-Verses seit "Devil In A New Dress" vom Stapel. Er greift den sozialkritischen Ton seines Vorgänger nicht wirklich auf, rappt stattdessen lieber über sein Come-Up und Sexleben. Als er am Ende aber Kobe Bryant und seiner Tochter Tribut zollt und sich, auch im Hinblick auf sein eigenes mögliches Ableben, ein subtile Melancholie einschleicht, wird es still im Raum.

Bevor jedoch jemand etwas sagen kann, tönt ein verträumtes The Moments-Sample aus der Anlage. Einer Einladung der Freddie nicht widerstehen kann: "When I stop selling crack, I ain't looking back. Yeah bitch I won't look back". Der infektiöse Lounge-Vibe treibt selbst den biedersten Anzugträger im Raum dazu, seine Nackenmuskeln zu trainieren.

Ross bleibt nicht der letzte Gast an diesem Abend. In den nächsten Stunden trudeln unter anderem noch Tyler, the Creator, Benny the Butcher und Conway the Machine ein. Sie alle fühlen sich in der benebelten Atmosphäre der prall gefüllten Pizzeria pudelwohl.

Wir nähern uns der Geisterstunde. Die Tische sind abgeräumt, die Aschenbecher geleert. So eiskalt als wäre er "Frank Lucas" höchstpersönlich , macht es sich Freddie zwischen schaurigen Synths und einem ominösen Bass bequem: "Since Gangster Gibbs brought back the bars, I see a lot of mes." Alchemists Hexengebräu weckt Bilder von mondlichgefluteten Hinterhöfen, mattschwarzen Fords und gedämpften Schüssen einer Smith and Wesson. Bilder von denen sich Benny The Butcher angesprochen fühlt. Auch er hat Blut geleckt, wetzt seine Messer und rechnet an Freddies Seite auf gewohnt radikale Art mit Whack-MCs ab: "Tellin war stories, you ain't never been in one. But look what I converted to, from lettin’ burners loose out convertibles."

In den frühen Morgenstunden entfaltet all der konsumierte Rebensaft seine Wirkung. "God made me sell crack, so I'd have something to rap about" scherzt Freddie. Tyler findet schnell die perfekte Metapher für das, was The Alchemist derweil an den Keys köchelt: "This sound like the boat I haven't bought yet / This sound like moment I jump off it. Sun shinin', cold water fillin' my pockets." Die tropischen Gitarren bringen uns zurück nach Kalifornien, wo das Crack nicht in Pizzeria-Kellern, sondern unter Palmen gekocht wird. Während wir unter der instrumentalen Westcoast-Sonne brutzeln, werden Erinnerungen an "Bandana" und "Piñata" wach.

Die Gruppe schwelgt noch in Erinnerungen, da klopfen die ersten Sonnenstrahlen an die beschlagenen Fenster. Gespräche über "Baby $hit", den Spagat zwischen Vaterschaft und Gangstertum, sorgten in den Stunden davor gleichermaßen für schallendes Gelächter wie auch für die eine oder andere vergossene Träne.

Nach und nach schleppen sich die müden Gäste nach draußen. "Skinny Suge" bleibt, in Gesellschaft seines Producers noch ein wenig sitzen. Dieser zupft, als könnte er in Freddies Seele blicken, seine Gitarre und stimmt einen betrübten Blues an. "Man, my uncle died off a overdose. And the fucked up part about that is that I know I supplied the nigga that sold it." rappt der 37-Jährige. Nach einer ereignisreichen Nacht voller Raps, Pasta und Anekdoten sieht sich der Amerikaner im Morgengrauen mit seinen Dämonen konfrontiert: "Loner but I hate to be lonely. I fuck a bitch, she fall in love, I just wanna be homies."

Mittlerweile ist das "Alfredos" fast komplett leer. Selbst im Keller wird nicht mehr gekocht. Während der Barkeeper den Boden fegt, schmeißt der Alchemist die Orgel an. Der Schlusspunkt soll kein melancholischer sein: "Kane train, nigga, I'ma keep this shit movin', fuck it". Triumphierend schreitet Freddie in die Straßen New Yorks, zündet sich die eine letzte Kippe an und blickt zurück auf einen Auftritt, an den man sich noch lange erinnern wird.

Trackliste

  1. 1. 1985
  2. 2. God Is Perfect
  3. 3. Scottie Beam (feat. Rick Ross)
  4. 4. Look At Me
  5. 5. Frank Lucas (feat. Benny the Butcher)
  6. 6. Something To Rap About (feat. Tyler, the Creator)
  7. 7. Baby $hit
  8. 8. Babies & Fools (feat. Conway the Machine)
  9. 9. Skinny Suge
  10. 10. All Glas

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Freddie Gibbs

In der Geschichte des Hip Hop-Genres hat es das Feuilleton mit der musikalischen Kulturform oft nicht gut gemeint. Der eine oder andere Betreiber von …

8 Kommentare mit 11 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Weiss man, ob das tatsächlich August wird mit physischen Datenträgern? Das Album macht auf Anhieb Laune.

  • Vor 4 Jahren

    Top Teil, bei der Combo kann auch wenig schief gehen.

    Highlights:
    - Scottie Beam - Ross passt perfekt auf diesen gediegenen Beat
    - Look At Me - zum Heulen schönes Sample-Flip von Al, hätte auch Westside Gunn sehr gut gestanden, aber wie Freddie da drüber flext - unfassbar!
    - Something To Rap About - die chillige Gitarre erinnert mich an den Werbesport von dem Coffeshop-Typen aus South Park :D ♥ + toller Tyler-Verse
    - Baby $hit - geiler Vibe/Rythmus

  • Vor 4 Jahren

    Hatte hohe Erwartungen und die wurden noch übertroffen. Gangster Gibbs wieder überragend und Alchemist noch nicht in der Länge so rund und fresh gehört.

    • Vor 4 Jahren

      Wertung sollte natürlich 5/5 sein, keine Ahnung warum hier wieder nur "4" gezückt wurden.

    • Vor 4 Jahren

      4 find ich schon passend. Gibbs rappt gut, aber erfindet das Rad jetzt nicht neu. Ähnliches gilt für die Beats. Bandana war deutlich stärker. Rick Ross und Conway hätte es nicht gebraucht.

    • Vor 4 Jahren

      Findest du?
      Gibbs und Alchemist sind beide auf einem Toplevel und es gibt für mich keine Kritikpunkte.

      Ich finde dieses "Rad neu erfinden" ist nicht wirklich greifbar als Argument, denn das haben a) auch die Madlib Kollabos nicht und b) erwartet das auch keiner von den beiden. Das fand ich bei der Rapsody Review schon unglücklich.

      In Relation zu dem was hier sonst so 4/5 im Bereich Rap bekommt, ist das hier für mich 5/5. Aber sieht ja auch jeder anders.

    • Vor 4 Jahren

      Dass das Ding vieles, was hier mit 4 Punkten und besser bewertet wird (WSG hust), überstrahlt, würde ich auch sagen.

      Ich glaube wir haben unterschiedliche Ansprüche an eine 5/5. Wichtiger als dass es nichts zu kritisieren gibt, ist für mich ein positives Alleinstellungsmerkmal. Ein 5/5 Album sollte irgendwie einzigartig sein, was den Vibe oder den Style angeht, auch in Bezug auf das restliche Schaffen des Künstlers.
      Bei Alfredo fehlt mir dieses Gefühl, teils weil Freddie mir nichts Neues erzählt, teils weil dieser drumlose Loopshit zwar nur von wenigen ähnlich gut umgesetzt wird, halt mittlerweile auch nichts krass Revolutionäres mehr ist.

      5/5 ist für mich halt ein Meilestein und 4/5 ein sehr gutes Album. Git tatsächlich auch ein paar Alben, denen ich nur 4 Punkte geben würde, die ich aber lieber höre, als andere Sachen, die für mich Meilensteine sind und letztendlich ist dieser Wertungsfetischismus ohnehin ein schnell albern werdender Zeitvertreib.

    • Vor 4 Jahren

      Das kann ich so nachvollziehen.

      Für mich sind halt 5/5 gerechtfertigt, wenn das Album auf allen Ebenen überzeugt. Und das tut es für mich.
      Für mich sind 5/5 aber auch nicht gleich Meilenstein, weil dafür sollte es den von dir beschriebenen Impact haben.

      Aber das ist auch ein Problem des Bewertungssystems hier. Ohne Dezimalstellen oder zumindest einer Skala bis 10 ist das einfach alles zu schwammig.

      Gibbs erzählt zwar nichts neues, aber das brauche ich auch nicht. Generell ist Rap irgendwo ja in jeglicher Form auserzählt und Musik für mich eh kein Medium für komplexe Sachverhalte. Daher interessiert mich persönlich mehr dieses schonungs- und schnörkellose, die Emotionen und Authentizität als der Inhalt. Bin aber auch ziemlicher Fanboy und sehe Gibbs auch noch mal deutlich vor Pusha, Benny usw, was diese "Street tales" angeht.