laut.de-Kritik

When the hip hop once was blues.

Review von

"Philadelphia Mississippi" von G. Love (früher noch mit dem Zusatz 'and Special Sauce') ist ein Jam-Album, die Tracks entstanden in Improvisation und Freestyling. Der Künstler aus Philadelphia a.k.a. Philly, der in den 90ern seine spezielle Soße anrührte, ändert an der grundsätzlichen Rezeptur nichts. Deutlicher als bisher weist er aber nach, welche Spuren im Hip Hop auf Blues zurück zu führen sind.

Besonders gut klappt das zum Beispiel mit den shakin' Riffs in "My Ball feat. Freddie Foxxx + Jontavious Willis", die zugleich einen Rock'n'Roll-Touch haben. Ein langes Mundharmonika-Solo löst Sprechgesang ab, der mit Akustikgitarren untermalt ist. Erinnerungen werden wach, an den Folk-Ansatz im sogenannten 'Ethno'-Hip Hop von Arrested Development auf deren legendärer "Unplugged"-CD. Klar, dass auch deren Speech bei einer solchen Mélange hier nicht fehlt und sich in "Mississippi feat. Speech, Alvin YoungBlood Hart + RL Boyce" zu Wort meldet.

Gleichwohl der Ansatz, die Musik von Memphis im urbanen Hip Hop zu identifizieren, äußerst ehrenwert und im Spotify-Listen-Boom geradezu mutig ist, kippt "Philadelphia Mississippi" durch zwar gute, aber lange Instrumentalteile (z.B. in "HipHopHarpin' feat. Alvin YoungBlood Hart"), so sehr zur bluesigen Seite hin, dass man das Thema nur ungefähr erahnen kann. Und obwohl G. Love wie immer ein handwerklich herausragendes und sauber produziertes Album abliefert, zählt es nicht zu seinen besten Werken. Dafür fehlt das Freche, das Spice in der Sauce.

Und obschon das fröhliche, beschwingte Pfeifen in "Laughing In The Sunshine" gut up-liftet, fehlen dort wie auch sonst auf der Scheibe jegliche Bass-Elemente, um die überwiegenden Höhentöne zu konterkarieren und Dynamik in die Produktion zu bringen. Da regieren neben G.s Mundharmonika und Akustikgitarre die Slide und manch anmutig hohe Gesänge, z.B. von Tikyra Jackson in "I Ain't Living feat. Tikyra Jackson".

Andererseits, was würde sonst das Spotlight auf Tikyra lenken, die man sich nicht entgehen lassen sollte? In zwei weiteren Tunes singt sie Background. Eine singende Schlagzeugerin - Samantha Fish, die Tedeschi Trucks Band und Los Lobos nahmen sie schon in ihre Dienste.

An solchen Stellen, wo man jemanden in der 13 Feature-Acts zählenden Gästeliste entdeckt oder anders wahrnimmt, als bisher bekannt, punktet "Philadelphia Mississippi" quasi als lehrreiche Compilation. Auch der Zeitpunkt passt: Wenn man schon immer was in der Hand haben wollte, um geschichtslosen und musikalisch intoleranten Traphall-Fans und Leuten, die kopfnickend Rin für Gott halten, die Wurzeln von Hip Hop unter die Nase zu reiben.

Insoweit mutet G. Loves Unterfangen sehr real-keeping, dadurch sympathisch und faszinierend an. Selbst in verschrobenen, sehr aus der Zeit gefallenen und arg hölzern dahin stolpernden Abschnitten wie "The Philly Sound" kann man immer noch gut und gerne zuhören und mit wogen.

Allerdings: Viel Melodie herrscht halt nicht vor, gehört nicht zum Konzept. Ältere G. Love-Alben zehren von soooo smarten und genial eleganten Blue Note-Harmonie-Kniffen ... Da ist das betont unauffällige Gegniedel jetzt dann doch zu beiläufig und 'unsexy', als dass man damit wirklich ein Autotune-süchtiges Release Radar-Rap-Kid von heute zu mehr als zehn Sekunden Aufmerksamkeit überreden kann.

Um es mit den altbayrischen Worten des ehrwürdigen Blues-Kritikers Carl-Ludwig Reichert anzugehen, der mir in solch arg strittigen Fällen einfällt: "Üch sog etz wos, dös konn auch folsch sein": Die Platte ist echt urig, aber sie hört sich so an, als hätten die Musiker*innen sie gegenseitig füreinander eingespielt. Weniger für Publikum, weniger im Gedanken an eine Veröffentlichung. Wie ein typisches Lockdown-Homestudio-Resultat. Explosive Momente wie am Ende von "Mississippi feat. Speech, Alvin YoungBlood Hart + RL Boyce" mit aufflackernder E-Gitarre brechen zwar aus dieser Introspektion des Musicians' Musicians-Zirkels aus. Sicher ist es auch nett zu erfahren, was Freddie 'Bumpy' Foxx, der in grauer Vorzeit mit Eric B. und Pete Rock produzierte, heute macht.

Was weniger mitzieht, ist der angedachte Reiseansatz. Selbst wenn man von Natur aus alles immer super findet, was Garrett a.k.a. G. Love anpackt (wie bei mir der Fall), fühle ich mich beim Hören nun in keinem Moment wirklich an den Mississippi versetzt. "Ich bin in Philadelphia, Pennsylvania, aufgewachsen, aber ich habe mein ganzes Leben in der Musik des Deltas verbracht", holt der Sänger und Gitarrist aus, "deshalb hat mich die Vorstellung, dass es dort unten ein ganz anderes Philadelphia gibt, immer fasziniert. In den letzten dreißig Jahren wollte ich eine Pilgerreise machen - nicht nur eine musikalische, sondern eine spirituelle - zum Herzen des Blues, und genau das ist dieses Album."

Nein, genau das ist es nicht. So ungern ich diesem stets sehr stimmigen und authentischen Künstler widerspreche, einem Typen, der wirklich street credible und ein total lieber und selbstreflektierter Kerl ist, der sich süffisante Lines für Kritik an Trump ausdachte und musikalisch treu zu all seinen Stilen, Soul, Blues, Funk, Hip Hop, Alternative Rock und Rock'n'Roll steht.

Ein Anhör-Test lohnt in jedem Falle, weil die LP einen subversiv-kontroversen Ansatz in ihrer Auffassung der Musik-Geschichtsschreibung verfolgt, interessant und relevant ist und schöne Momente hat. Zum Beispiel springt am Ende von "Guitar Man feat. Christone + KingFish Ingram" die psychedelische Hippie-Stimmung über. Es freut zu registrieren, dass man in G. Loves Welt der Zitronenlimo treu bleibt, wie das vibrierende "Lemonades feat. Cam Kimbrough, Luther Dickinson + Chuck Treece" anklingen lässt. Schenkt dir das Leben Zitronen, mach Limo draus, dieser alte Uplifting-Ansatz gilt wie immer im Reich der Philadelphonie. Die fröhlich-steigernde und stimmungsvolle Spontan-Aufnahme "Sauce Up! feat. Trenton Ayers" sprudelt über, sehr cool. Und in Summe liegt eine fast nur mit akustischen Werkzeugen hergestellte Klangwelt vor - wo hört man das sonst? Check it out!

Trackliste

  1. 1. Love From Philly feat. Schoolly D + Chuck Treece
  2. 2. Mississippi feat. Speech, Alvin YoungBlood Hart + RL Boyce
  3. 3. My Ball feat. Freddie Foxxx + Jontavious Willis
  4. 4. Guitar Man feat. Christone + KingFish Ingram
  5. 5. Kickin'
  6. 6. HipHopHarpin' feat. Alvin YoungBlood Hart
  7. 7. Laughing In The Sunshine
  8. 8. I Ain't Living feat. Tikyra Jackson
  9. 9. Lemonades feat. Cam Kimbrough, Luther Dickinson + Chuck Treece
  10. 10. If My Mind Don't Change feat. Sharde Thomas
  11. 11. Sauce Up! feat. Trenton Ayers
  12. 12. The Philly Sound
  13. 13. Shouts Out

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