15. Februar 2016

"Ihr seid wie Rosenstolz auf Crack"

Interview geführt von

Zum Gespräch mit Grossstadtgeflüster in die Fickt-Euch-Allee. Ein Keller in Kreuzberg, in dem man gar nix muss, aber ganz viel kann. Die Räume sind gleichermaßen zu Studio und Wohnzimmer umgebaut. Lichterketten, Kaffeetassen, Konfetti und Yeah zwischen ganz viel Technik und Instrumenten. Jen Bender, Raphael Schalz und Chriz Falk sind hier am Werk. Da ein Umzug bevorsteht, kommt auch noch etwas Kistenchaos dazu. "Weil das Morgen noch so ist, weil das immer schon so war", stimmt im Fall des Wohnstudios also mal nicht.

Grossstadtgeflüster selbst sind eine ganz aufgeräumte Band. Im Kopf entspannt, die Eier schaukelnd und durch die Hose atmend. Muss an der philosophischen, hart radikal durchgezogenen neuen Richtung liegen, von der das Trio im Interview erzählt. Außerdem geht es um Rosenstolz auf Crack, 'Fang mich doch, Eierloch'-Reime und die Generation Internet-Kotzbrocken. Und wie schön motzen ist. Scheiße.

Glückwunsch: Nach 12 Jahren Bandgeschichte seid ihr nun der heiße Scheiß, und Berlin hat endlich eine Hymne.

Jen: Berlin-Hymne – das verstehen wir auch nur bedingt. Liegt wahrscheinlich daran, dass wir uns mit unserem Handy in Berlin gefilmt haben. Aber das ist alles mehr Glück als Verstand. Den Song hätten wir vielleicht auch in Köln schreiben können und dann hätte das Kölner Abendblatt ihn als Köln-Hymne aufgesetzt.

Chriz: "Fickt-Euch-Allee" ist ein Gefühl, das jeder kennt. Das lässt sich gut rausshouten. Wenn du gut findest, was dieser Song sagt, bist du wahrscheinlich auf einer Wellenlänge mit ganz vielen Menschen in Berlin. Viele Querdenker.

Raphael: Wir sind auch noch dabei, zu verstehen, ob das was verändert und wenn ja, was. Es gab vorher noch nie so einen Peak. Das wissen wir, und das wissen auch unsere Eltern. Ob das nur ein Peak ist oder eine höhere Stufe oder ob wir beim nächsten Mal alles gegen die Wand fahren - damit wollen wir uns nicht beschäftigen.

Jen: Wir machen das schon zu lange, um durchzudrehen. Einen Unterschied merken wir aber bei der Tour. Wir waren sonst immer eine Abendkassenband und jetzt waren ein paar Konzerte unserer Clubtour im Voraus ausverkauft. Wir konnten hochverlegen - das hatten wir so vorher noch nicht.

Fühlt sich gut an?

Chriz: Unser großes Motto lautet: Entspanntheit im Ganzen. Und dieses Motto ist das letzte, das wir über Bord werfen würden.

Raphael: Wenn wir jetzt von Entspanntheit reden, hat das viel mit der Geschichte seit der letzten Platte zu tun. Uns hat immer alles Spaß gemacht. Aber damals hat uns ein bisschen genervt, dass sich ein paar Sachen sehr nach Job anfühlten. Deswegen versuchen wir jetzt eine philosophische, hart radikal durchgezogene, neue Richtung zu gehen: Die Band ist nur zum Spaß da. Und vor allem: Wenn die Band keinen Spaß mehr macht, dann gibts halt die Band nicht mehr.

Jen: Wir sind nicht die Typen, die Bock haben, beim Müll runter bringen erkannt zu werden. Wir spielen einfach gerne Konzerte. Dementsprechend jetzt schön locker durch die Hosen atmen! Wir wollen uns nicht an Zahlen messen - seien es Geld, Klicks oder Verkaufszahlen.

Chriz: Beim letzten Album waren wir auf einmal eine unwirtschaftliche, erfolglose Band, obwohl sich für uns doch gar nichts verändert hatte. Es kamen noch genauso viele Leute wie früher zu unseren Konzerten. Da haben wir final gemerkt: Wir wollen nicht mehr Teil dieser Maschinerie sein.

Jen: Es ist halt so: Eier schaukeln und Musik machen funktioniert einfach nicht gut, wenn Leute mit einem arbeiten und dann selbstverständlich auch Erwartungen haben. Deswegen muss ich diese Leute von mir fern halten, sonst bedrückt und beeinflusst mich das. So schlageresk es klingt: Wir nehmen den Ist-Zustand. Nicht in die Zukunft investieren, sondern einfach auf die Bühne gehen und sagen: "Geil hier. Punkt."

"Wer ist die Party? Wir sind die Party!"

Was sagen denn eure Muttis zu dieser Einstellung und eurer Musik?

Chriz: Meine Mama ist stolz. Inhaltlich hat sie nichts gesagt. Wahrscheinlich denkt sie: Fickt euch alle. Hahaha.

Raphael: Mein Papa ist ein großer Mozart-Fan. Von dem gibt es Stücke namens "Leck mir den Arsch fein recht schön sauber" und so. Ich glaube, mein Vater steht auf alles, das halbwegs anarchisch ist, und ist immer von allem gelangweilt, bei dem man ökonomisch sinnvoll Geld investiert. Deshalb ist er großer Fan. Zum Glück.

Und Hater, gibts die auch?

Jen: Natürlich kriegt man hier und da mal Kritik ab und mit, aber wir haben nie so richtig eins auf die Fresse bekommen. Jetzt bekommen wir mehr Aufmerksamkeit und das kommt sicher noch.

Vielleicht haben die Leute das Gefühl, euch würde sowieso nichts treffen, weil euch alles egal ist?

Jen: Vielleicht sind wir auch einfach ein bisschen älter und hauen nicht so richtig in diese Generation Internet-Kotzbrocken.

Chriz: Obwohl wir schlimme Worte sagen, sind wir eher eine totale Liebesband. Wir ecken brutal selten mit irgendwelchen Leuten an. Wir sind nicht die, die backstage Schlägereien anfangen.

Jen: Nee, wir räumen danach immer noch auf, hahaha. Wenn Kritik kam, war die zum Großteil nicht von der Hand zu weisen. Wir können alle unsere Namen tanzen, und wenn jemand was sagt, denken wir vielleicht auch mal darüber nach.

Chriz: Man hat uns vorgeworfen, wir würden "Fang mich doch, Eierloch"-Reime machen ...

Jen: ... und da geb ich ihm Recht.

Raphael: Diese teilweise sehr niveaulosen Refrains von uns – teilweise - manchmal versuchen wir uns auch ganz doll niveauvoll ... Also, auf der neuen EP gibt es diesen Refrain: "Wo ist die Party? Hier ist die Party! Wer ist die Party? Wir sind die Party!". Das ist zu doof, um es zu machen. Und wir wussten, dass das megaviele Leute richtig aufregen wird. Jetzt kommt der Song viel besser an, als ich dachte. Ich habe das als reine Provokation empfunden.

Ihr trefft irgendwie den Zeitgeist, denke ich. Meint ihr, Songs wie "Ich Muss Gar Nix" würden heute noch funktionieren?

Jen: Inhaltlich schon. Wenn man es schaffen würde, die Attitüde des Songs in ein Ist-Zeit-Gewand zu kriegen, bin ich mir sicher, dass er gut funktionieren würde. Ist ja nach wie vor ein geiler Song.

Chriz: "Ich Muss Gar Nix" ist inhaltlich irgendwie total nah dran an "Fickt-Euch-Allee", das sind Geschwister. Die Songs haben total Attitüde und sind Ausdruck einer Lebensform. "Ich Muss Gar Nix" ist wie eine Parole. Wenn du das live spielst, merkst du sofort, wie bei den Leute der Funke zündet. Die Parole ist nicht tot, wir leben das immer noch. Also ist der Song noch heute total aktuell, auch wenn man ihn heute nicht mehr so rausbringen würde.

Jen: Das ist wie mit "YMCA" von den Village People.

Chriz: Und "I Will Survive".

"In der großen Scheiße das Schöne sehen"

Dann sich bei Grossstadtgeflüster seit 2006 also nicht so viel verändert?

Raphael: Eigentlich nicht. Außer, dass sich irgendwie alles besser anfühlt. Dieses Thema 'Zu viele Stile haben' - darüber reden wir seit der ersten Platte. Je nach Situation empfinden wir das als Makel oder als Pluspunkt. Früher hatte ich mehr Zweifel. Bei der jetzigen EP passt auch nix zusammen, aber wir sind mit diesem Wust zu alt geworden, als dass wir da jetzt noch ran sollten. Es ist leichter, dazu zu stehen, dass man sich nicht entscheiden kann.

Wobei ich schon glaube, einen Stil bei euch zu erkennen.

Jen: Stil ist vielleicht das falsche Wort – vielleicht eher Genre. Wir vergreifen uns an allem, auf das wir Bock haben. Wenn man es laufen lassen möchte, löst man sich am besten von allen Identifikationsgrundlagen. Wenns geil ist, ist es geil.

Raphael: Elektropop? Elektropunk? Zwischen Punk und Pop ist bei uns eine feine Linie, weil die Attitüde punkig ist – wird uns zumindest nachgesagt. Mögen wir auch.

Jen: Egal, wie man uns nennt ... Wir haben uns eigentlich noch nie beleidigt gefühlt. Ich glaube, die schönste Bezeichnung war: Ihr seid wie Rosenstolz auf Crack, hahaha.

Würdet ihr Rosenstolz privat mal anhören?

Jen: Ich weiß nicht. Wenn sie Crack nehmen würden vielleicht. Wir bedienen eben durchaus Hörgewohnheiten, haben dann aber auch immer Elemente, die Hörgewohnheiten sprengen, was es anstrengend macht, hahaha.

Chriz: Ich würde sagen, dass in den Texten der Stil zu finden ist, der sich am Konstantesten durchsetzt. In der Weltanschauung. Das ist die Basis, das Brot unter dem Aufstrich.

Eure Texte sind sehr direkt. Bisschen aggro, latent genervt von der Welt. Was freut euch denn?

Chriz: Freude ey, bäh. Ich finde, dass unsere Texte eigentlich total von Humor durchtränkt sind. Wir sagen vielleicht ab und zu mal ficken oder scheiße und dass uns Dinge nicht passen, aber immer mit der Intention, es besser zu machen. Mach auf keinen Fall was, was du nicht willst, dann wirds nämlich scheiße.

Raphael: Siehst du, jetzt hast du schon wieder Scheiße gesagt.

Jen: Wir sind da sehr berlinerisch: Wir motzen gern und lachen drüber. Scheiße ist ein tolles Universalschimpfwort, ein Evergreen. Oldie but goldie. Ein super multiples Schimpfwort.

Chriz: Es ist emotional schön aufgeladen, wenn wir sagen: "Dit is doch scheiße."

Raphael: Mit einer anderen Einstellung kommt man doch auf der Welt gar nicht klar. Man kann nicht so tun, als ob die Welt schön wäre oder gerecht. Ich hab nichts gegen die Leute, die sich in den Schmerz reinstürzen, die muss es auch geben. Aber ich glaube, ich würde das nicht aushalten. Als Grundattitüde wähle ich lieber Spaß und versuche immer, in der großen Scheiße noch das Schöne zu sehen!

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1 Kommentar

  • Vor 8 Jahren

    eine band zum anfassen für alle klassenclowns, traumtänzer und weltenentdecker. mit einer so hohen dichte an sehr guten songs. (album und genre-übergreifend )
    ich kann es kaum erwarten das nächste konzert in leipzig zu besuchen, mich zu verkleiden und 90 min verschwitzt auszurasten ♥