laut.de-Kritik
Die Teilnehmerurkunde reicht ihm im Wettlauf um den besten Flow nicht.
Review von Dominik LippeHaben startet gleich mit einem intensiven Höhepunkt ins Debütalbum. Eindringlich trägt er im "Intro" die Geschichte einer Wandlung vor: "Lebte das Leben eines Sünders mit all seinen Fehlern. Glaubte nie an Wunder, bis ich sie gesehen hab'. Eine Reise tausend Meilen, und ich ging die ersten Meter. Steinig war der Weg, doch das Ziel kam immer näher."
Dabei fällt sofort der technisch anspruchsvolle Vortrag ins Ohr. Im starken, nunmehr zwei Jahre alten Representer "#allewollenhaben" legt er sogar noch eine Schippe drauf. Im Wettlauf um den ausgefeiltesten Flow spekuliert Haben offensichtlich nicht nur auf eine Teilnehmerurkunde.
"#allewollenhaben" und "Was Weißt Du Denn" nehmen nebenbei die hiesige Szene ins Visier: "Ein Album Top Ten macht die Scheiße nicht fett, denn Scheiße bleibt Scheiße, egal wie du's nennst, weil am Ende des Tages geht's nur um's Talent." Und musikalisch findet Haben offensichtlich keine ansprechenden Vorbilder vor: "Deutschrap ist schwul und zudem depressiv. Ich hasse die Szene, sie macht aggressiv." Wow, wenn dem so wäre, hätte Captain Gips sein Ziel mit "Klar zum Kentern" ja in Rekordzeit erreicht.
Neben der Distanzierung von Kollegen betont Haben in Interviews auch die Absage an zeitgenössische Trends. Das schließt natürlich auch den aktuellen Hang deutscher Rapper zum Trap mit ein. Immerhin möchte er nicht "wie die herkömmlichen Leute in Deutschland" klingen.
Doch als wäre nach drei beachtlichen Songs Neujahr angebrochen, schmeißt Haben plötzlich alle guten Vorsätze über Bord. Ab "Dreh Am Rad" dominieren Trap-Beats das Geschehen. Zudem nimmt die Autotune-Nutzung rapide zu. Anstatt sich auf seine einwandfrei gebrauchsfertige Stimme zu verlassen, zieht er seine Gesangstonspur durch die Software, als wolle er eine Bewerbung bei der KMN Gang einreichen.
Auch textlich ordnet er sich umstandslos den Vorgaben des Subgenres unter. So ergeht er sich in "Izzey Miyake" in zusammenhanglosem Namedropping. Verbale Attacken richten sich einer jugendlichen Zielgruppe entsprechend gegen Sarah und Pietro Lombardi oder Larissa Marolt und Lena Meyer-Landrut ("Ohne Limit"). In "Marie Juana (Interlude)" oder "Mein Haze Ist Purple" gibt er einen kushseligen Ufo361- oder King-Eazy-Nachzügler ab: "Bei dir läuft, bei mir fliegt. Ich bin high as fuck wie nie. Rappen oder kiffen? Meine Königsdisziplin." Offensichtlich kann sich Haben tatsächlich immer nur für eine der beiden Optionen entscheiden. Ein sympathischer Querverweis auf Marteria sorgt zumindest für ein Schmunzeln: "Wir bleiben high, solang' das Ganja lila ist."
"Sollte Nicht Sein" erzählt die Geschichte einer feinen Liebe, die sich in kleinen Gesten zeigt, aber nie in einer pathetischen Love Story kulminiert. Irgendwann muss das lyrische Ich erkennen, dass der Point of no return überschritten ist, und ihm die Liebesbeziehung verwehrt bleibt: "Ich würde so gerne die Zeit zurückdrehen. Doch weil es nicht geht, muss ich jetzt leider gehen. Verführung ist groß, doch ich muss widerstehen. Ein Kuss auf die Stirn, ein Lächeln verrät, dass wir uns bestimmt irgendwann draußen sehen."
Haben präsentiert sich auf "Sollte Nicht Sein" als sensibler Beobachter. Ergänzend dazu verströmt die Produktion bittersüße Melancholie. Ein im besten Wortsinne erwachsener Song. Umso trauriger, dass hier ebenfalls wieder Autotune zum Einsatz kommt und unnötigerweise Distanz zum Geschehen aufbaut. Dennoch handelt es sich um ein Highlight des Albums.
Das kann von "Souvenir" nicht behauptet werden. Haben warnt vor dem weiblichen Geschlecht, das Männer sirenenhaft betörend ins Verderben führt: "Sie manipulieren dich, du resignierst. Der Duft einer Pussy lässt Männer mutieren, zu Männern mit Pussys, die Pussys chauffieren. Ich sah viele Brüder lebendig krepieren, wie paralysiert, falsch kanalisiert."
Der einzige Gastrapper Farid Bang nutzt seinen Auftritt, um Habens Beitrag noch zu unterbieten: "Ich bin dir weitaus überlegen, trau' keiner Frau über'n Weg. Ich bin nicht der Typ, der dir deine Einkaufstüten trägt." Ein für alle Mal stellt der Banger klar: "Ich such' keine Frau, ich such' ein Souvenir." Was in seiner übertrieben unkorrekten Form im Kontext der JBG-Reihe durchaus unterhalten kann, erweist sich im ernsteren Haben-Umfeld als unpassend.
Mit den entspannten Beiträgen "Entweder Du Oder Ich" und "Soweit So Gut" bekommt Haben glücklicherweise abschließend noch die Kurve. Mit zurückgelehnten Bläsern und einer souligen Alex Prince passen die Songs zum musikalisch aufgeschlosseneren Kosmos des Stuttgarter Raps, wo auch sein Cousin verortet ist. Auch textlich steigert er sich wieder deutlich. So markieren Einstieg und Ende von "Alle wollen Haben" die qualitativen Höhepunkte. Dazwischen klafft eine kohärenzraubende Lücke.
1 Kommentar
Afrobs Cousin? Nie gehört...