Porträt

laut.de-Biographie

Heather Small

17.700 Euro kostet Heather Small Stand 2022, wenn man sie buchen will. 30.000 mit einer Sechs-Mann-Band. Ihre tiefe, feste, soulvolle Stimme ist sowieso unbezahlbar. Mit solchen Gagen stünde sie bei Festivals in der dritten Reihe der Headliner auf dem Plakat. Immer noch 'big', trotz jahrelangen Untertauchens, aber nicht mehr ganz so die Spitzenliga wie in den mittleren '90ern.

Heather Small - Colour My Life Aktuelles Album
Heather Small Colour My Life
Die perfekte Duettpartnerin für Tom Jones.

Damals bringt sie mit ihrer Band M People, einem Kollektiv aus zwei Keyboardern und vielen Gastmusikern, vier Alben heraus. Alle sind Verkaufsgaranten inmitten einer lebendigen UK-Konkurrenz. Drei davon auch in Deutschland, "Elegant Slumming", "Bizarre Fruit" und "Fresco". Das allererste, "Northern Soul" gibt im Titel das Programm vor, ist aber erheblich poppiger und dance'iger als purer Northern Soul es wäre. Zu dieser Zeit sind viele Nischen-Genres angesagt. Trip Hop, Eurodance und Acidjazz zum Beispiel, die am Rande einfließen so karibisch beeinflusst sind wie Heather Small, Tochter eines Einwanderer-Paars aus Barbados.

Die '90er "waren Spaß", erinnert sich Heather, geboren am 20. Januar 1965, an eine übersprudelnde Phase, die ihr den Einstieg ins Musikbusiness relativ leicht machen. Zumindest inhaltlich. In der Londoner Zeitung Guardian führt sie das aus: "Es war erlaubt, dass viele Genres koexistierten. Die waren alle sehr verschieden und stimmten in etwas sehr Britischem überein. Ich bin sehr stolz darauf, Teil davon zu sein."

Stolz - Heather ist Expertin für das Gefühl, "proud" zu sein. Nach ihren äußerst radiotauglichen Hits mit M People bringt die Hymne "Proud", einer ihrer ersten selbst verfassten Songs, sie 2000 eine Zeitlang täglich mehrmals ins Fernsehen. Das ZDF unterlegt die Übertragung der olympischen Sommerspiele mit "Proud". Die Empowerment-Hymne passt dazu: Wie motivieren sich Leistungssportler dazu, ihren Peak zu erreichen? Denn dazu rufen sich manche Erreichtes vor Augen, auf das sie stolz sind. Das britische Athleten-Team und auch die BBC nutzen den Song anlässlich späterer Olympiaden. Sogar noch 2012 übernimmt US-Late Night-Talkmasterin Oprah Winfrey die selbstbestärkende Aura des Songs - um in ihre TV-Show einzuleiten.

Und "Proud" dient auch als Theme-Intro zur Abnehm-Show "The Biggest Loser" in der britischen Version. "Proud" steigt mehrmals in die UK-Charts ein und bleibt Dauerbrenner. "Ich mag diese Verbindung", öffnet sie sich in einem Frühstücksfernsehen: "Wenn man schreibt, passiert das in Isolation. Um sich selbst zu motivieren. Dass dann so ankommt, kann man nicht mal erträumen."

Stolz ist das Gesangs-Naturtalent anfangs überhaupt kein bisschen. "Bis ich 18 war, hab ich überhaupt nichts gemacht", gibt die zurückhaltende Interpretin im Blog WriteWyattUK zu. Damit es überhaupt öffentlich zum Singen kommt, muss Heather erst 22 werden und wurstelt sich mit Jobs auf Marktständen, Kaufhäusern und in Firmenkantinen durch. Schüchternheit bremst. Und das Umfeld fördert sie nicht. Weder ihr Vater, ein Busfahrer, der in ihrer Erinnerung nicht besonders nett zur Familie war. Noch das Personal an ihrer Schule. Ein Berufsberater dort lacht sie aus, als sie sagt, sie wolle Sängerin werden.

"Eine Menge weißer Lehrkräfte machte sich über schwarze Kinder lustig, redeten deren Ideen klein und versuchten das Selbstbewusstsein dieser Kinder zu schmälern. Ich wuchs damit auf, mich zu fragen: 'Gehöre ich dazu?'", bekundet Heather dem Guardian. "Und dann wurde man als Unruhestifter wahrgenommen", wenn man sich dagegen auflehnte, es den Lehrern zeigen wollte und Gleichbehandlung einforderte. In der Schulaula führte sie zunächst mal Junior Murvins "Police And Thieves" auf. "Wir hatten einen täglichen Kampf auszutragen. (...) Bei der Einschulung waren wir voller Optimismus, und im dritten Jahr wurde uns schon mit Schulverweis gedroht. Weil wir die Lehrkräfte auf ihren Rassismus ansprachen, laut vor der Klasse, und zwar unerbittlich" bemerkt Heather über ihre Jugend in den '70ern, anlässlich eines YouTube-Specials auf Extra Time Friday zum Thema Barbados, und resümiert nachdenklich: "Die Queen ist immer noch die Queen von Barbados."

Folgerichtig setzt sie sich später (in den 2010er Jahren) als Botschafterin der Rio Ferdinand Foundation ein. Sie unterstützt ausgehend von der Biographie des Fußballspielers Rio Ferdinand Teenager und Twens bis 25, die im Süden Londons im multikulturellen Melting Pot aufwachsen, rassistische Erfahrungen machen und sozialstrukturelle Entwicklungshemmnisse haben.

Derweil üben Leute mit karibischem Hintergrund prägenden Einfluss auf Englands Mainstream-Popkultur der 1990er aus und besiedeln regelmäßig die vorderen Charts-Abschnitte: Andrew Roachford, Tasmin Archer, Des'Ree, Maysa Leak mit Incognito, Shara Nelson mit Massive Attack, Skin mit Skunk Anansie, Skye mit Morcheeba, Maxi Priest, Sonique und viele weitere. Das Feeling des Acidjazz-House, den Heathers erste Band Hot House 1989/90 praktiziert, steckt im Übrigen viele an, die keinen Migrationshintergrund haben, etwa Jamiroquai, Lisa Stansfield und Gabrielle.

Small arbeitet eine Zeitlang in Teilzeit Ende der '80er in einem Jobcenter in London. Nach dem damaligen englischen Prinzip ein Job-Vermittlungs-Center. "Es war einfach traurig manchmal, wenn man Leuten keine Jobs besorgen konnte." Dann bekommen Hot House einen Plattenvertrag. "Ich dachte: 'Hier komm ich, Welt!' Und dann brachten wir nur ein Album raus", illustriert sie ihre Anfänge im Interview mit Scottish Daily Record & Sunday Mail. Im Studio als Session-Sängerin erwirbt sich Heather Small bereits in den späten Achtzigern einen guten Ruf.

Ihr erster Hit wird unter dem Namen Black Box der unsterbliche Euro-House-Knaller "Ride On Time". Sie röhrt ihre aufgewühlten, euphorischen Vocals mit Nachdruck und perfekter Phrasierung raus, obwohl sie chronisches Asthma hat. Dabei wird die zurückhaltende Newcomerin gleich übers Ohr gehauen. Zumindest zirkuliert diese Story im Netz: Ein italienisches DJ-Team zahlt der Sängerin keine einzige Lira, nimmt einen "Gefallen" Heathers in Anspruch und verschweigt ihren Namen. Im Video-Clip ist eine andere Frau zu sehen. Der Track wird in diversen Remixes einer der Hits des Jahres '89. Die Plattenfirma BMG, die die Lizenzrechte innehat und später auch M People betreut, verweigert Small sogar nachträglich die Credits und Tantiemen für die Aufnahme. Die Sängerin zeigt sich im Rückblick indes nicht sauer und streut Zweifel, ob sich das alles wirklich so zugetragen hat. "Weißt du", sagt sie dem Journalisten Malcom Wyatt, "ich habe das nie bestätigt. Jemand erzählte mir 'Aber es steht auf Wikipedia!' Haha! (...) Leute nehmen das als gesetzt." "Aber ich werde nie sagen, ob ich das gesungen habe oder nicht", antwortet sie auch dem NME.

Los geht es also im Umfeld elektronischer Musik, aber mit Soul in den Vocals. Während bei M People trotz Club-Cleanness der Songs immer die 'echten' Instrumente im Mittelpunkt stehen, spielt sie selbst keines und kann nicht mal Noten lesen. Heather und ihre zwar sehr professionelle und freundliche Band, die aber in eine andere Soundfarbe strebt, leben sich dennoch auseinander. Nach der vierten und wunderschönen CD "Fresco" (einem Bestseller in vielen Ländern), zieht rasch ein "Best Of" den Schlussstrich unter sechs höchst erfolgreiche gemeinsame Jahre.

Die Performerin, frisch verheiratet mit einem Sport-Profi, frisch gebackene Mama eines Sohnes, traut sich nun zu, selbst Hits zu schreiben. An die ganz großen Nummern aus der Feder ihres Kollegen Mike Pickering knüpft sie zwar nicht mehr durchweg an, erzielt aber einige Achtungserfolge.

In der Heimat lieben sie Small weiter. In Großbritannien klettert das Album "Proud" auf Rang 12. Die meisten Stücke verfasst Small mit Simon Climie ("Love Changes Everything"/Climie Fisher) oder Steve Booker (später Duffys Produzent). Besonders schön geraten die Balladen "Ease Your Troubled Mind" und "Wherever The Road Goes". Einzig den Titel-Track komponiert die Sängerin mit Peter-John Vettese, Ex-Keyboarder von Jethro Tull.

Trotz viel positiven Echos misslingt es der Künstlerin mit den aufregenden Frisuren auch dann - und nach einem Jahrzehnt on stage -, ihre Bühnenangst abzulegen. "Es fühlt sich immer an wie meine erste Show, oder sogar meine letzte, deshalb will ich immer, dass es die beste wird." Von neuen Zielen träumt sie dennoch - etwa dem: Einmal mit Missy Elliott zu arbeiten. Denn die sei "sehr kreativ", so Heather gegenüber dem Stadtmagazin Pride Of Manchester. Oder Skin von Skunk Anansie, wie sie einer schottischen Tageszeitung verrät. Ein Vorbild für Heather: Joan Armatrading.

Fürs zweite Album kommen Cover mit ins Spiel, so von Beth Hart das Lied "Today", wobei Beth den Song nie selbst veröffentlicht hat. Heather interpretiert Paul Simons "Fifty Ways To Leave Your Lover" und hat bei den eigenen Stücken keine feste Bezugsperson mehr zum Schreiben. Für jeden mischt ein anderer Ko-Autor mit. Trotz geringer Marketing-Aktivitäten bei einem Kleinst-Label verkauft sich "Close To A Miracle" solide.

In der Folge engagieren Promi-TV-Shows die VIP-Songstress, Preisverleihungen, anti-rassistische Events und Charité-Veranstaltungen, für deren Sache sie sich einsetzt. Mitte der 2010er wird es still um die Künstlerin. 2013 findet eine M People-Re-Union-Tour in England statt, 2018 eine Heather-Best Of-Tour mit 14 Gigs. Ihr Sohn James Small-Edwards baut sich derweil eine Karriere als Labour-Abgeordneter auf und zieht in den Wirtschaftsausschuss des Westminster Palace ein. Heather ist wieder proud und gründet nach mehrmaligem Beziehungspech eine WG mit ihrer Mutter. Fortan wolle sie Liebe weniger naiv, idyllisch oder romantisch in künftigen Liedtexten darstellen und ihre eigene Lebenserfahrung einfließen lassen.

2022 packt sie viele alte Hits und manch unscheinbare von einst wieder aus und bastelt sie mit ein paar neuen zu einer Comeback-LP beim Major-Label Warner zusammen. "Colour My Life" wird eine bunte, optimistische Sommer-Platte mit Sinfonieorchester, Soul, Dance und Bounce-Pop, die Spaß macht. Eine der charakteristischen Stimmen der Nineties ist back in the game. Wobei sie nie wirklich weg war. Einmal ins Ohr gegangen, ist ihre Klangfarbe unvergesslich.

Alben

Surftipps

Noch keine Kommentare