laut.de-Kritik
Rap, Klassik, Rammstein und der Linzer Blues.
Review von Kai ButterweckAlpenrock-Pionier Hubert von Goisern legt zu Beginn seines neuen Studioalbums "Zeiten Und Zeichen" los wie die Feuerwehr. Während der Österreicher beim Eintauchen in die Nazi-Geschichtsbücher beinahe Tränen vergießt, feiern Rapper Dame und Opernsänger Andreas Schlager im Hintergrund eine opulente Hochzeit von Hip Hop und Klassik.
Der aufwühlende Opener "Freunde" markiert aber erst den Anfang einer Klangreise, die so manch eingefleischten Fan bereits nach wenigen Minuten Spielzeit mit offenem Mund dasitzen lässt. "Wo soll ma hingehn?", fragt Hubert die "Sünder". Mit flinkem Gitarrengezupfe und dem Xylophon im Rampenlicht entwickelt sich ein wilder Soundritt, den ein Cosmo Jarvis nicht besser hätte inszenieren können.
Hubert hat aber immer noch Hummeln im Hintern. Das Xylophon ist noch nicht ganz eingepackt, da drängt sich auch schon die verzerrte Gitarre in den Vordergrund. Irgendwo zwischen Rammstein, Heino und Joachim Witt haut Hubert in "Brauner Reiter" mit voller Wucht auf den Anti-Rechts-Buzzer, dass es nur so knallt.
Nach so viel Energie und Drama müssen alle Beteiligten erst einmal tief durchatmen. Im Labyrinth der Erinnerungen kehrt Ruhe ein ("Future Memories"). Am Lagerfeuer ertönt die Blues Harp ("Dunkelrot") und im stillen Kämmerlein werden die Streicher gestimmt ("Meiner Seel"). Huberts Puls ist wieder runtergefahren, was ein bisschen schade ist, denn mit einem "Eiweiß" verschlingenden Eisbär mit Sombrero und orientalischen Autotune-Spielereien ("El Ektro") im Gepäck lässt der Spaß dann doch ein bisschen nach.
Nicht, dass es nicht musikalisch spannend bliebe. Auch im letzten Drittel hüpft der Österreicher von einer Genre-Schublade in die nächste. Aber so richtig packen will den Hörer nicht mehr allzu viel. Mit dem vom Urlaub träumenden "Grönlandhai" wandelt Hubert auf den Spuren von Peter Alexander. Auf den Rücken der "Novemberpferde" hüpfen Erinnerungen an Hildegard Knef auf und ab, und dass der Willi jodeln kann: Wen wundert's?
Am Ende sorgt a bisserl Linzer Blues noch einmal für Aufsehen und gespitzte Ohren ("Dunkelblau"), zumindest bei all jenen, die noch wach sind. Ein paar in Moll gegossene Valium-Tabletten zu viel, und schon schleppt sich Huberts Soundwelt nur noch durch die Dunkelheit. Zieht einen die "Tierische Polka" noch einmal zurück ins Getümmel? Nicht wirklich. Die Quetschkommode gibt zwar Vollgas, aber die schweren Augenlider können nicht mehr. Nicht schlimm. Halb so wild. Der Hörer hatte schließlich seinen Spaß, wenn auch nicht durchgehend.
2 Kommentare mit einer Antwort
"Sünder" und "Dunkelrot" sind fantastisch.
Wer hört so einen Quatsch?
Bette Middler wohl nicht.