laut.de-Kritik

House ist so viel mehr als stumpfe Beats für den Dancefloor.

Review von

"Jayda G ist eine ziemlich eindimensionale Figur: Sie ist happy, sie tanzt, sie spielt fröhliche Musik. Dabei habe ich noch eine ganz andere Seite – Jayda Guy, die eher nachdenklich unterwegs ist und sich im Leben manchmal ziemlich schwertut." Mit diesen Worten stellt die kanadische Produzentin Jayda G ihr neues Album in einem Interview als ihr bisher persönlichstes Werk vor.

"Guy" ist das perfekte Beispiel dafür, welches Potenzial House – oder eher elektronische Musik allgemein – hat, Emotionen einzufangen und ganze Lebensgeschichten zu erzählen. Im Fall von Jayda G ist es die Geschichte ihres verstorbenen Vaters.

Noch vor Jaydas zehnten Geburtstag verlor William Richard Guy nach einem bewegten Leben den Kampf gegen Krebs. Vor seinem Tod nahm er elf Stunden Videomaterial für seine Tochter auf und erzählte seine Story. Knappe zwanzig Jahre später durchforstete diese die Tapes und fand darin Motivation für neue Musik. Snippets daraus durchziehen das Intro, die Songs und die Interludes – es ist ein Album über "Guy's Life".

Das Leben eines Schwarzen in Kansas City in den Fünfzigerjahren, aufgewachsen in Armut. Später ging er zur Army und wurde während des Vietnamkriegs in Thailand stationiert. Es folgten Lebensabschnitte als Radio-DJ in Washington D.C., während denen er die Rassenunruhen 1968 erlebte, und schließlich ein "neues" Leben mit Jaydas Mutter in Kanada, wo Jayda auch geboren wurde. All diese Facetten bildet das Album ab, nicht zuletzt durch persönliche Musikvideos wie den Clip zu "Circle Back Around".

Abgesehen von Lyrics und Hintergrundgeschichte beweist Jayda G mit "Guy", was für eine talentierte Sängerin und vor allem Produzentin sie ist. Bereits durch den Groove von "Blue Lights" ist man sofort gefesselt, auch "Heads Or Tails" ist in allen Belangen genial. In der Folge hört man selbst in den etwas schwächeren Songs Feinheiten, die im ersten Moment belanglos erscheinen, aber die ganze Dynamik ihrer Musik ausmachen.

"Scars" macht die Percussions und den Arpeggio-Synthie zum Star, auf "Meant To Be" regieren soulige Gitarren. "Your Thoughts" und "When She Dance" markieren die lockereren, sommerlichen Tracks der Platte, ohne jedoch weniger ausgeklügelt zu klingen. Während ersterer nach dem geloopten Sample im Intro an einen fröhlichen 80er-Pop-Hit erinnert, überzeugt "When She Dance" vor allem durch die groovige Bassline und die sanften Rhodes und macht gute Laune.

In den Abschlusstrack "15 Foot" hat Jayda G nochmal ihr gesamtes Produktionsgeschick gepackt. Die geschmeidigen Akkorde werden von Gitarre und Percussions begleitet, zwischendurch schleichen sich hier mal ein Glockenspiel oder Vocal-Sample, da mal Streicher oder jazzige Drums ein – alle Sounds wirken sehr präsent, aber nicht aufdringlich oder nervig. Dieses Schema zieht sich durch das gesamte Album.

Man muss sich wahrscheinlich die Zeit nehmen und der Detailverliebtheit eine Chance geben, um mit "Guy" tatsächlich etwas anfangen zu können. Wenn man sich wirklich darauf einlässt, erkennt man, wie viel Persönlichkeit in elektronischer Musik stecken kann. Auf Instagram schrieb Jayda zu Guy: "Dieses Album ist über ihn und für mich. Ich brauchte das. Es gab mir Perspektive, Verständnis und Tiefe für mich selbst und meine Einstellung zum Leben und zur Familie." Musik muss nicht immer traurig oder ernst klingen, um traurige oder ernste Themen zu behandeln. Sie muss nur ehrlich sein.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Blue Lights
  3. 3. Heads Or Tails
  4. 4. Scars
  5. 5. Interlude: I Got Tired Of Running
  6. 6. Lonely Back In O
  7. 7. Your Thoughts
  8. 8. Interlude: It Was Beautiful
  9. 9. Meant To Be
  10. 10. Circle Back Around
  11. 11. When She Dance
  12. 12. Sapphires Of Gold
  13. 13. 15 Foot

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