laut.de-Kritik
Eine Runde vögeln, und die Akkus sind wieder randvoll.
Review von Alexander CordasJean Michel Jarre vertont eine Junge trifft Mädchen-Geschichte. Speziell im Zusammenhang mit dem Namen Jarre klingt dieser Fakt wie ein Aprilscherz. Ein Jean Michel Jarre lässt thematisch Planeten verschmelzen und zieht den Mond in eine andere Umlaufbahn. Ferner läuten seine Epen den Weltfrieden ein, ergründen die Geheimnisse der Gizeh-Pyramiden, lassen den Geist Papst Johannes Paul II. auferstehen und nebenbei hebt er mittels audiovisuellem Bombardement die Grenzen der Dimensionen auf. Aber eine Liebesgeschichte in Klänge verpacken?
Die künstlerische Ausgestaltung des Allerweltsthemas packt Jarre mit - für seine Verhältnisse - recht profanen Mitteln an. Straight und eingängig präsentiert er sich in den vorliegenden 13 Songs. Schon die ersten Takte des Openers deuten an, dass der Franzose ausufernden Klangexperimenten momentan nicht sonderlich zugeneigt ist. Four to the floor-Beats dominieren den Beginn, es bumst gar sexy durch die Speaker.
Das Thema Kopulation respektive schweißtreibende Leibesübungen scheint ihm dabei alles andere als nur dezent im Kopf herum geschwirrt zu sein. Dazu passt die erhellende Erklärung zu Beginn des Titeltracks: "Eine Gruppe Männer und Frauen betraten vor einem Monat eine Biosphäre, um in einer sich selbsterhaltenden Welt zu leben. Körperbewegungen, Gefühle und sexuelle Aktivitäten erzeugen die Energie, um zu überleben."
Da ist er wieder, der Visionär Jean Michel Jarre. Ölkrise? Stetig steigende Gaspreise? Ärger bei der Nebenkostenabrechnung? Einfach eine Runde vögeln, und schwups, die Akkus sind wieder randvoll. Wäre es doch nur so einfach! Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Schließlich haben amerikanische Wissenschaftler vor kurzem festgestellt, dass amerikanische Wissenschaftler andauernd etwas feststellen.
Noch drei bis fünf Jahre, dann ist Jarres prophetische Eingebung reif für den Praxistest. Oder? Zumindest stöhnt in "Beautiful Agony" eine Dame derart lasziv durch den Äther, als befände sie sich mittendrin in der Erprobung des Prototyps. Erst "Touch To Remember" baut so etwas Ähnliches wie einen postorgiastischen Chillout-Moment auf - die akustische Zigarette danach.
Wirklich zündende Ideen produziert JJR eher weniger. Vielmehr kramt er ordentlich in seinem reichhaltigen Sound-Fundus und setzt die klanglichen Bauklötze akkurat an die Stelle, die am leichtesten ins Ohr flutscht. Diese kommen gut konsumierbar, selten schräg oder ausgefallen daher, machen kurzzeitig Spaß, versagen aber, wenn es darum geht, das Album auf lange Sicht spannend zu machen.
Vielleicht musste auch deshalb ein Comic-Video zur visuellen Begleitung her. Im Bereich der elektronischen Sounds klingen Keyboard-Loops der Marke "OK, Do It Fast" wie seltsam anmutende Anachronismen. Nicht, dass man Jarre vorwerfen müsste, er bediene sich bei anderen. Das kommt tausendfach vor. Vielmehr entsteht im Songzusammenhang leider der Eindruck, ihm wäre nichts Spannenderes eingefallen.
Nette Breakbeatspielereien und an James Bond-Soundtracks erinnerndes Gitarrengeklimper ("Partners In Crime 1") klingen druckvoll und angenehm, sorgen aber nicht gerade für mehr Originalität. Not very sophisticated. Einzig coole dubbige Schlurf-Rhythmen machen "In The Mood For You" unter Spannungsgesichtspunkten zu einer rundum gelungenen Nummer.
Gepitchte Walgesänge ("Gossip"), einigermaßen überladene Kompositionen ("Melancholic Rodeo") und die Reprise des Titeltracks lässt die Geschmackspolizei gerade noch mal durchgehen. Dennoch dürfte das kaum den Ansprüchen eines Jean Michel Jarres gerecht werden.
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