laut.de-Kritik
Zum Schluss tobt das ganze Stadion vor Begeisterung.
Review von Irene WinklerWas bei "Wembley Or Bust" zunächst wie eine nachmittägliche Kaffeefahrt mit einem Raumschiff anmutet, entwickelt sich bald zu einer rauschenden Party im ganz großen Stil. Jeff Lynne und sein Electric Light Orchestra veranstalten im Juni 2017 ein Konzert im vollbesetzten Londoner Wembley-Stadion. Die meisten der 60.000 Zuschauer dürften schon seit bald vier Jahrzehnten Fans sein. So lange ist ELO schon im Geschäft.
Vierzehn Jahre hatte man nichts Neues von ihnen gehört, ehe 2015 "Alone In The Universe" erschien. Bei der Songauswahl für die folgenden Konzerte kommen vor allem die alten Fans auf ihre Kosten. Lediglich eines der 23 aufgeführten Lieder stammt vom jüngsten Album.
Die aufgeführte Show dürfte trotz einiger Schwächen die meisten Erwartungen erfüllen. Die Herrschaften bieten schlicht alles, was den musikalischen Stil der 70er und 80er im Bereich Pop, Rock und Disco repräsentiert. DVD beziehungsweise BluRay zeigen fantastische Bilder. Beim Klang muss man allerdings Abstriche machen.
Es sind doch einige signifikante Unterschiede zu den mitgelieferten Audio-CDs heraus zu hören, für die man im Studio noch mal einige Regler vorteilhaft verschoben hat. ELOs Logo materialisiert sich als farbenfrohes, mit unzähligen bunten Scheinwerfern ausgerüstetes Raumschiff, das hoch über der Bühne über den riesigen Videoleinwänden schwebt. Im Tiefflug geht es am frühen Abend über London hinweg, bis man direkt auf der Bühne des Wembley-Stadions zur Landung ansetzt.
Wie Regentropfen perlen die ersten Klänge ins Stadion. Im zweiminütigen Intro zu "Standing In The Rain" zeigt das Ensemble höchst eindrucksvoll, worauf man sich in den kommenden knapp zwei Stunden freuen darf. Völlig statisch steht Jeff Lynne vor seinem Mikro, während der Rest der Band und das ganze Stadion zu Songs wie "Do Ya", "Ma-Ma-Ma Belle" und "Handle With Care" abrockt. Kein Löckchen bewegt sich, als er die "Evil Woman" sexy über die Bühne tanzen lässt. Die hübsche Backgroundsängerin, die man für die "Rockaria!" eingespannt hat, wirkt leider hörbar überfordert. Das klingt auf CD deutlich klarer.
Das legendäre 70er Jahre Disco-Feeling kommt bei "Last Train To London" auf. Dieser spezielle musikalische Zeitgeist setzt sich nahtlos mit "Xanadu" fort. Olivia Newton-Johns Part übernimmt der Backgroundsänger. Naja. Immerhin endlich mal live aufgeführt, reicht diese Version aber noch lange nicht ans Original aus dem Studio ran.
Zu Schalalala "Shine A Little Love" schillert leuchtend grüner Kometenregen und Glitzerglitter wie eine überdimensionierte Discokugel über die Leinwand. Mit "When I Was A Boy", klingt die erste Ballade an. Der einzige Song von "Alone In The Universe", den ELO an diesem Abend spielen. Herrlich zum Mitschmachten und die Feuerzeuge - Verzeihung Smartphones am hochgestreckten Arm zu schwenken. Das wird auch eifrig getan, allerdings ohne nennenswerten Effekt. Zu diesem Zeitpunkt ist es nämlich noch viel zu hell. Aber pünktlich zum romantischen Sonnenuntergang säuselt man "Can't Get It Out Of My Head". Die "Telephone Line" stellt einen Anruf aus der rosaroten Schnulzenhölle direkt durch. Weil das Publikum aber so schön kuschelt, verzeiht man diese Ohrenschmalz fördernde Einlage.
Ein Highlight ist "Twilight", zu dem glücklicherweise keine neumodischen Vampire auf der Bühne erscheinen. Zarte kosmische Klänge und eine vom Synthie verzerrte Stimme weisen in eine andere Richtung der Fiktion. Mit einem Feuerwerk startet das Lied durch wie eine Rakete. Laserbündel schießen durchs ganze Stadion. Auf den Screens schwirren Raumschiffe um Wolkenkratzer, während das 'ELO UFO' über der Bühne in allen Farben leuchtet.
Zum vorläufigen Schluss erscheint endlich der Mann, auf den alle gewartet haben: "Mr. Blue Sky". Perfekt gealtert und grandios performt. Als Zugabe und furiosen Ausklang liefert ELO dem Publikum eines der wohl gewaltigsten Cover von Chuck Berrys "Roll Over Beethoven". Selbst Jeff macht zuletzt doch noch ein, zwei rhythmische Schritte, während das ganze Stadion vor Begeisterung tobt. So findet die rauschende Party für alle einen versöhnlichen Abschluss. Jeff Lynne gönnt sich sogar noch einen Kaffee. Bei seinem reduzierten Bewegungsradius tut ein bisschen Anregung sicher gut.
7 Kommentare mit 3 Antworten
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
"Can`t Get You Out Of My Mind" - ich kenne nur "Can't Get It Out Of My Head"
Da Ya, Do Ya, The Train To London, Last Train to London. Sag mal willst du uns verarschen; Wenn ich schon eine Rezension über ein Livealbum schreibe schreibe ich die Songs wenigstens richtig. Album ungehört 5/5 weil ich ELO Fan bin und ihre Musik einfach geil bzw knorke finde.
Ich finde es ebenfalls erschütternd wie respektlos hier mit diesen Perlen der Popmusik umgegangen wird. Lieber ein regungsloser Jeff Lynne der seine spektakulären Hits abspult als Beyonce und Konsorten.
Jeff Lynne hat seinen ganz eigenen Stil. Dazu einige richtige Ohrwürmer komponiert. Aber irgendwie hört sich alles gleich an. Darum auch anstrengend zu hören.
Sauber gespielt, dazu der famose Roine Stolt am Bass (spielte auch bei Steve Hackett Live).
Grandioses Live Album. Gestern auf Vinyl eingepackt aufgelegt und in Erinnerungen geschwelgt. Wuchtiger Sound , grandiose Aufnahme. Einziges Manko, Confusion fehlt. Aber das kann ich verschmerzen. Selten so ein tolles Live Album mit Atmosphere gehört. Daumen hoch , 5 von 5 .
Einem 70 Jahre alten (genialen )Musiker vorzuhalten, dass er sich während eines Konzerts nicht genug bewegt hat ist sowohl menschlich als auch journalististisch jämmerlich. Na Frau Winkler, wann haben sie denn das letzte Mal 1,5 Stunden im Stehen gearbeitet?