laut.de-Kritik
Blue Eyed Soul meets Rock'n'Roll.
Review von Philipp KauseJoe Jackson, einer aus Englands New Wave-Alterskohorte, dreht kurz vor seinem 65. Geburtstag mit einem Best-Of seiner bisherigen Gepflogenheiten in neuen Songs richtig auf: "Fool", ein Album über Freundschaft, Verlust und andere Lebenserfahrungen.
Die stürmischen Kompositionen sind alle auf Klavier ausgerichtet. Jackson hat als Keyboarder und Pianist von sich reden gemacht, ist aber auf Fotos oft mit (dem hier wenig eingesetzten) Saxophon zu sehen. Sein Gesang klingt definitiv noch nicht wie der eines 64-Jährigen. Gut bei Stimme, doch einer Stimme, die man jetzt nicht unter Tausenden wiedererkennen würde, behandelt er auf "Friend Better" in Steely Dan-Manier die Vorteile einer platonischen Beziehung.
Das Lied klingt schon mal nach 70ern, kippt aber im Refrain leider in indifferenten Country-Rock. Passgenau wurde dieses Lied als Anknüpfung an Jacksons größten Hit "Steppin' Out" zur Single erwählt. Schön solide irgendwie, aber dennoch eher ein Aufguss Beckers und Fagens. Die Single markierte aber nur das untere Qualitätsende des insgesamt sehr gelungenen Albums.
Die Messlatte an "Fool" legte der Sänger selbst hoch. Denn ein Meilenstein sollte der Songzyklus werden, der - so wie "Night And Day" (1982) für sein Schaffen in den 80ern steht - nunmehr die 2010er Jahre repräsentiere. Und Jackson wird diesem Anspruch mit den weiteren Songs gerecht.
"Big Black Cloud" eröffnet diesen Reigen als Monster-Rock-Ballade. Supertramps "Logical Song" lässt in den Klavier-Patterns grüßen, und vergleichbare Dramatik zeichnet auch diesen sechsminütigen Song aus. In "Fabulously Absolute" gehen gleich fünf Bauteile Hand in Hand, Strophen, Refrain, Überleitungen, eine Bridge und ein Outro, alles jeweils unterschiedlich instrumentiert. Eine besonders glanzvolle Rolle nimmt dabei der Moog-Synthesizer ein: Heute nach einigen Retro-Bands wieder aus der Mode gekommen, wärmt Jackson das Majestätische und Vernebelte auf, das Songs wie "Vienna" von Ultravox einst so stimmungsvoll machte.
Im Titel "Dave" bearbeitet er seine Tasteninstrumente mit federnder Blue Eyed Soul-Technik dermaßen, dass anfangs ein neues "Steppin' Out" entsteht. Er knüpft an das Wechselspiel zwischen britischer Beat-Musik und Variety an, mit dem The Kinks oder Style Council früher das Spielfeld zwischen einfachen, rebellischen Songs und amerikanischem Broadway-Musical-Feeling ausloteten.
In "Strange Land", dem zugänglichsten und wohl besten Track des Albums, erschafft Joe Jackson etwas, was man lange nicht gehört hat: Die pathetische Progrock-Hymne, die durch elegante, schnelle Keyboard-Melodieführung fast zum Jazzrock wird, wie etwa in Spandau Ballets "True" oder in Night Rangers "Sister Christian".
Das Titellied "Fool" balanciert auf der Punkrock-Vergangenheit des Musikers, sowohl im dröhnenden Bass als auch in den Texten: "Fool kicks up the Carnival, wise man goes to Church / fool fucks up the funeral, no respects / well, what did you expect?!". Ein Vocoder übersetzt den Sprechgesang Jacksons stellenweise, später gönnt er sich auf dem Klavier eine unerwartete Salsa-Einlage. Eine schöne Dynamik entfaltet sich, zwischen improvisierend, konzentriert, clean, glamourös und mit Latinjazz exotisch einerseits, aber rau, hektisch, stolpernd, dreckig im Sound und mit Mandoline exotisch aus einer ganz anderen Richtung. Mit dem Stilmix-Dramatiker Graham Parker verglich man Joe Jackson früher, und hier zeigt sich auch, weshalb.
"32 Kisses" reiht sich wieder zwischen The Kinks, Supertramp und auch ein bisschen dem "Who's Next"-Album von The Who ein. Dieser Song darf als smoothester Titel des Albums gelten. Zwar haben Fans des Genres schon hunderte gleichartige Nummern gehört. Doch der Drive in den Tasten, die ganze Lust, die Drummer Dough Yowell in die Hi-Hats hinein patscht, sowie die catchy Melodie machen "32 Kisses" zu einem exzellenten Vertreter des Midtempo-Piano-Rocks.
Mit der dezent angejazzten Ballade "Alchemy" findet das 20. Album des Engländers ein ausgesprochen malerisches Ende. Im Gesang passiert hier mehr, sowohl im Ausdruck und Storytelling als auch mit Vibrato im Gesang. Heute, da im Nachwuchs-Classic Rock meist nur noch E-Gitarren-Bluesrock dominiert, darf man dieses Lied als Kontrast und als rare Perle ansehen.
Auch wenn die Höhenlagen nicht prickelnd gemastert wurden und im MP3 mitunter - etwa im Titelsong "Fool" - störend künstlich scheppern, und obwohl sogar hier und da mal ein Duettpartner einen Mehrwert gebracht hätte: Unterm Strich liegt ein so facettenreiches wie rundes Album vor. Joe Jackson hat es mit positiven Melodien vollgestopft, der Funke springt über.
Dennoch hätte ich eine Live-Simulation wie auf dem sehr guten 1986er-Album "Big World" bevorzugt. Der Songwriter und seine Band stehen für scharfe Präzision und bieten live ehrliche Unterhaltung statt Routine. Davon erzählt diese Album zwar auch, doch manches von der akkuraten und hingebungsvollen Performance kann man nur erahnen.
4 Kommentare mit 2 Antworten
"Gut bei Stimme, doch einer Stimme, die man jetzt nicht unter Tausenden wiedererkennen würde"
Du vielleicht. Ich hör den aus tausenden treffsicher heraus.
stimmt, bei Wetten dass...? hätte man damit keinen Blumentopf gewonnen
Ich höre ja lieber den blue eyed devils zu...
da haben sie aber mal einen taufrischen Praktikanten rangelassen. Man darf bei Joe Jackson sicher einige Vergleiche ziehen, aber "Night Ranger" ist schon ziemlich weit her geholt. Mindestens mal Jupiter oder Neptun...
„Blue Eyed Soul“ wieder was Neues gelernt. White Soul hätte man es natürlich niemals nennen dürfen da ist das blaue Auge eine pfiffige Lösung!
Also ich für meinen Teil höre nur noch „Blue Eyed Soul“ überwiegend aus den 60ern als die Welt noch in Ordnung war!
@AirBaeron:
Doch, "White Soul" hätte man das auch nennen dürfen. Hat man auch in den USA. Die Righteous Brothers haben damals mit ihrem Album "Blue Eyed Soul" gemeinsam mit den damaligen DJs dafür gesorgt, daß dieser Begriff gängiger wurde, aber "White Soul" versteht man als Genre-Bezeichnung in den USA auch heute.
Gruß
Skywise