laut.de-Kritik

Das absolut Böse nähert sich im 5/4-Takt.

Review von

John Carpenter ist der Meister des Minimalismus. Mit einfachen, mitunter trashigen Mitteln gelangen dem Regisseur intelligente Genrefilme wie "Die Klapperschlange", "Das Ding Aus Einer Anderen Welt" oder "Sie Leben". Mit dazu passenden simplen Synthesizer-Soundtracks untermalt er seine Werke musikalisch zumeist selbst. "Ich muss zugeben, dass der Minimalismus ein Ergebnis meiner begrenzten Fähigkeiten als Musiker ist", stapelt er angesichts seiner effektiven Melodien einmal tief, "Ich kann nichts Komplexes spielen. Ich kann keine Noten lesen. Es muss einfach sein."

Dabei entstammt er als Sohn eines Musikprofessors und angesehenen Geigers einem musikalischen Haushalt. Sein Vater bemüht sich erfolglos darum, ihn von seinem Instrument zu überzeugen. "Das lief nicht ganz so gut", gesteht Carpenter im Rückblick der Münsterschen Zeitung. Dennoch begleitet ihn die klassische Musik durch seine Kindheit. Anhand von Sergei Prokofjews Orchesterwerk "Peter und der Wolf" lernt er die Funktionen der einzelnen Instrumente. Nachträglich beschreibt er das Musikmärchen des sowjetischen Komponisten als "durchdringende frühe Erfahrung".

Einen noch größeren Einfluss übt "Forbidden Planet" ("Alarm Im Weltall") aus, den er 1956 im Alter von acht Jahren im Kino sieht. Das Science-Fiction-Werk gilt als erster Film, der vollständig auf einen elektronischen Soundtrack setzt. "Dieser Film hat mein Leben verändert", vor allem "meine Vorstellung davon, was Musik sein könnte", lobpreist er rückblickend die musikalische Untermalung von Bebe und Louis Barron gegenüber der Red Bull Music Academy. "Wenn ich mir heute den Score zu 'Forbidden Planet' anhöre, werde ich über Zeit und Raum hinaus transportiert"

John Carpenter konzentriert sich fortan auf den Film. 1974 realisiert er als Produzent, Regisseur, Drehbuchautor und auch Komponist seinen ersten Langfilm "Dark Star", eine parodistische Antwort auf den heiligen Ernst eines Stanley Kubrick. Die für gerade einmal 60.000 US-Dollar umgesetzte Low-Budget-Produktion verschafft dem Nachwuchsregisseur den Ruf, mit überschaubaren Mitteln gelungene Filme zu kreieren. So stand ihm auch für "Halloween" ein bescheidenes Budget von 325.000 US-Dollar zur Verfügung. Zu wenig, um einen eigenen Komponisten zu engagieren.

Nachdem der musikfreie Rohschnitt bei Testvorführungen durchgefallen war, griff Carpenter selbst in die Synthesizer-Tasten, um den fiebrigen, repetetiven "Halloween Theme - Main Title" umzusetzen. Eine "einfache Klaviermelodie mit der spannungsgeladenen Reibung eines Halbtonschritts" sowie "ein simpler, pulsierender Beat aus dem Drumcomputer und ein paar sphärische Synthie-Klänge", fasst BR-Klassik die Ingredienzien des carpenterschen Horrors würdigend zusammen. Der Regisseur selbst winkt bei allzu viel Anerkennung ab: "Es ist wirklich einfaches Zeugs - nicht sehr komplex."

Dennoch handelt es sich nach Dave Brubecks "Take Five" aus "Time Out" wohl um das berühmteste popkulturelle Werk im 5/4-Takt. Dem asymmetrischen Metrum misst Neil Lerner vom Davidson College eine große Bedeutung bei. "Es verleiht dem Thema eine subtile Art, so zu klingen, als wäre die Welt aus dem Gleichgewicht geraten, als ob etwas schief oder nicht richtig wäre." Als Haupteinfluss sieht der Musikprofessor Bernard Herrmanns Score zu "Psycho", dem ersten Slasher seiner Art. Und tatsächlich zieht sich Hitchcocks Klassiker als Referenz durch "Halloween".

Der "Halloween Theme - Main Title" leitet den Film ein. Während sich die Kamera einer Kürbislaterne nähert, ertönt die nervöse Melodie, die durch Wiederholung von der Allgegenwärtigkeit der Gefahr erzählt. Unruhige Synthie-Klänge begleiten die erste Szene, die gänzlich als POV-Shot die Sicht des noch minderjährigen Michael Myers einnimmt. Er schleicht ums Haus, beobachtet seine Schwester beim Knutschen, holt sich ein Messer und setzt sich eine Clownsmaske auf, bevor er das barbusige Mädchen in ihrem Zimmer ersticht. Wie Hitchcocks Norman Bates führt Carpenter seinen Mörder als Voyeur ein.

Auf den ersten Mord folgt ein Zeitsprung von 15 Jahren. Am Vorabend von Halloween bricht Myers aus der psychiatrischen Klinik aus, in der ihn Dr. Loomis - benannt nach dem "Psycho"-Charakter Sam Loomis - behandelt hat. Er kehrt zurück in seine Heimatstadt Haddonfield, wo Laurie Strode mit ihren Freundinnen lebt. "Laurie's Theme" nutzt ähnliche Synthieklänge wie das Hauptthema, kommt aber schleichender daher. Das Unheil liegt subkutan und markiert die von Jamie Lee Curtis gespielte Strode als 'Lustobjekt' Myers'. Aus dem voyeuristischen Mörder entwickelt sich ein Stalker.

Michael Myers verfolgt sie in einem mitunter unfreiwillig komischen Katz-und-Maus-Spiel. Und auch "Laurie's Theme" haftet an ihr. Wenig subtil spricht Laurie Strode im Unterricht vom unveränderlichen Schicksal. Das Publikum ahnt, dass die Konfrontation mit dem Killer ihr Los ist. Doch bevor er gegenüber der intelligenten wie zugeknöpften Frau das Messer erhebt, kümmert er sich zunächst um ihre promiskuitive Freundinnen. Marcel Barion bezeichnete Myers' Begehren in einer Analyse als "metasexuell". Vom Todestrieb gesteuert nutze er das Messer als "Prothese der destruktiven Penetration".

Im Film selbst kommt Dr. Loomis die Aufgabe zu, die Taten des maskierten Mörders zu hinterfragen. Statt ihn zu psychologisieren, stellt er ihn als fleischgewordenes Prinzip dar. "Er ist kein Mensch", erläutert Loomis dem Sheriff, als sie gemeinsam das verlassene Myers-Haus aufsuchen: "Ich hab' ihn vor 15 Jahren kennengelernt. Man sagte mir, es sei ein hoffnungsloser Fall: kein Verstand, kein Gewissen und auch nicht das elementare Differenzierungsvermögen zwischen Leben und Tod, zwischen Gut und Böse, Recht oder Unrecht." Myers sei nichts weniger als "das absolut Böse".

Zu diesen unheilvollen Worten schleicht "Myer's House" fast detektivisch durch den früheren Tatort. Der Schrecken steht beinahe auf der Stelle, erfüllt die Luft, ohne die akute Gefahr der Erkennungsmelodie auszustrahlen. Unterdessen bahnt sich die finale Konfrontation an, als Laurie Strode die Leichen dreier Freunde auffindet und auf Michael Myers trifft. "The Shape Lurks" klingt wie die Synthie-Version der schnell zustechenden Klingen des "Psycho"-Soundtracks. Jamie Lee Curtis schwingt sich zur kämpferischen Scream-Queen auf, die ihren Peiniger mit einer Stricknadel traktiert.

"Laurie Knows" variiert "Laurie's Theme", bevor er das Blut in den Ohren rauschen lässt, indem er in den Main Title übergeht. Zu "The Shape Stalks" erhebt sich der schweigsame Serienmörder erneut, um Strode zu verfolgen, die sich in einem Kleiderschrank versteckt. Das dortige Aufeinandertreffen zitiert Hitchcocks Duschszene, in der Curtis' Mutter Janet Leigh einst ihr Ende fand. Ihre Tochter erweist sich als wehrhafter. Mit phallischen Waffen und der Mithilfe von Dr. Loomis scheint sie ihn zu besiegen. Doch die schwere Atmung zur Titelmelodie erinnert daran: Gänzlich töten lässt sich das Böse nie.

"Halloween" definierte die Regeln, an denen sich langlebige Reihen wie "A Nightmare On Elm Street" und "Freitag Der 13." orientierten, bis Wes Craven mit seinem Meta-Horror "Scream" das Genre in den 90ern dekonstruierte. Danach dominierten neben Reboots vor allem die unsäglichen Vertreter des Torture Porn. Obwohl er nur beim ersten Teil Regie führte, blieb Carpenter der "Halloween"-Reihe als Komponist treu. Filme seien seine "erste Liebe" gewesen, aber die Arbeit bereite zu viel Stress. "Ich will Spaß haben. Und den habe ich heute mit der Musik, die so viel leichter von der Hand geht."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Halloween Theme - Main Title
  2. 2. Laurie's Theme
  3. 3. Shape Escapes
  4. 4. Myer's House
  5. 5. Michael Kills Judith
  6. 6. Loomis And Shape's Car
  7. 7. The Haunted House
  8. 8. The Shape Lurks
  9. 9. Laurie Knows
  10. 10. Better Check The Kids
  11. 11. The Shape Stalks

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