laut.de-Kritik
Tanzkapellencharme mit Bukowski-Beats.
Review von Artur SchulzKirmespolka, ein Vampirmädchen, Heroin und Charles Bukowski, Verliebte Tage, Falsch besetzte Ferraris. Alle diese Zutaten hinein in den Mixer. Wie, passt nicht? Schmeckt nicht? Irrtum. Die Barkeeper von Johnny Liebling wissen genau, was in einen ordentlichen musikalischen Longdrink hinein gehört.
Deren Album "Goldene Zeiten" ist der klassische Manhattan-Cocktail zwischen all den faden Musik-Alcopops in der Chartlandschaft. Als Helden der Songs agieren lebens- und leidgeprüfte Gestalten, die keine Zeit haben für proseccogeschwängerte Hobby-Wehleidigkeit in oberflächlichen Szenebars. Keine wunderschöne Hollywood-Geliebte ist es, die sie frühmorgens aus dem verkaterten Schlaf reißt, sondern eher der grimmige Gerichtsvollzieher. Und doch ist da auch das Prinzip Hoffnung, das die fünfköpfige Hamburger Band wohltuend vermittelt.
Atemlos treibt der Opener "Goldene Zeiten" und stellt einen Grundgedanken aller Verlierer dieser Welt in den Mittelpunkt: "Hab lange gewartet/lange gefleht/So oft gehofft/dass der Wind sich nochmal dreht". "TP.P.B.", ein Instrumental, zeigt die Jazzklasse der Band. Das sommerlich-luftige Liebeslied "An guten Tagen" präsentiert dem Hörer eine neue, freundlichere Johnny Liebling-Facette, samt fröhlicher Hawaiigitarre. Mit "Heroin" ist dann erneut die Nachtseite des Lebens erreicht: Musikalisch an Jerry-Cotton-Soundtracks erinnernd, enthält der Text mehr Abschreckungspotential als haufenweise bunte Anti-Drogen-Broschüren des Bundesfamilienministeriums. Kein gut situierter Weltschmerz à la Silbermond oder hoffnungsvolle Juli-Wellen bestimmen die Songs. Die Männer um Kris Kiel zeigen eher packende Momentaufnahmen jenseits eines halbwegs abgesicherten Lebenswegs. In der jazzigen Songskizze "Quelle" beschwören sie die Atmosphäre des frühen Morgens in einer halbleeren Bar: Er, sie und das Verlangen nach mehr. Gastsängerin Lalah lässt das verruchte Weibchen mit Monroe-Appeal in der Stimme glaubhaft vor dem inneren Auge aufsteigen.
Johnny Liebling ist der Name eines Sängers aus dem Film "Angel Heart", damals der große Durchbruch für den jungen Mickey Rourke. Sänger Kris Kiel erläutert dazu: "Die Geschichte von dem Sänger, der seine Seele an den Teufel verkauft, um Erfolg zu haben, gefällt mir ganz gut. Fernab davon, dass das "Liebling" zieht."
"Goldene Zeiten": Alles andere als radio- und chartkompatible Massenware, dafür ist die Band ganz einfach zu, ja, cool in der Art ihrer musikalischen Darbietung. Die stilistische Vielfalt lässt ohnehin niemals Langeweile aufkommen. Vordergründig geraten die Arrangements manchmal erinnernd an eine schräge Tanztee-Kapelle, dies aber gewollt und mit viel Doppelbödigkeit. Die Tatsache, dass es sich bei den Lieblings um reifere Semester handelt, schlägt sich in den Themen und deren textlichen Umsetzungen voll nieder. Diese lässigen Hunde machen Musik für lebenserfahrene Mädels mit Mut zum sichtbaren Riss in den Netzstrümpfen, die unter dem zu plakativen Minirock hervorlugen. Aber auch ahnungsvolle Schulabgängerinnen, die schon mal für spätere Hartz-IV-Zeiten üben wollen, werden angesprochen. Ihre männlichen Pendants sollten darüber nicht zu krause Stirnfalten ziehen - vielleicht gibt es irgendwann ein ungewolltes Wiedersehen in einer der ungezählten, vielgeschmähten Absturzkneipen Deutschlands.
Neugierige, die Appetit auf einen ordentlichen Scotch haben, sollten ruhig einmal in der Bar von Johnny Liebling vorbeischauen. Die ersten Schlucke mögen vielleicht noch gewöhnungsbedürftig sein, aber wie es mit gutem Stoff so ist: Spätestens nach dem dritten Glas brechen sie an, die goldenen Zeiten. Und seien sie es nur in den heimlichen Träumen, die so vor der grauen Wirklichkeit gerettet werden.
2 Kommentare
Du benutzt andere Worte, hast andere hintergrundinformationen als ich, der ich absolut fasziniert bin von lieblings sounds und inhalten. bevor ich auf die idee kam, mal on zu schauen, fand ich es faszinierend zu erleben, wie von 10 leuten mind. 7 versch. textinterpretationen kamen. `ich war gern in dir drinn, ich schau gern in dich rein......und nie zu spät ...wenn mann oder auch frau weiß wies geht! ist doch hinweiß auf die Wiedergeburt, oder wie sieht der rest der welt das???
Also ich finde das Album einfach nur geil um es mal auf den punkt zu bringen
Ein dauerbrenner bei mir ist da "An guten Tagen"...ich glaube der wird fast täglich gehört aber auch der Rest kommt nicht zu kurz. Also wenn wer ein Album braucht, weil er meint es gibt nix mehr schönes, so nimmt man dieses und einen bequemen Stuhl plus Getränk und der Abend ist gerettet.