laut.de-Kritik
Ein Liebeswerk, in mehrfacher Hinsicht.
Review von Giuliano BenassiDie Aufgabe schien einfach: Der Choreograf Jean Grand-Maître fragte an, ob die kanadische Musikerin aus ihrem umfangreichen Repertoire einige Songs zum Thema Liebe für ein Ballett auswählen könne. Eine Zusammenarbeit, die 2007 mit "Fiddle And The Drum" bereits erfolgreich Früchte getragen hatte.
"Eineinhalb Jahre verbrachte ich damit, alles, das ich über Liebe oder Mangel an Liebe geschrieben habe, auf 75 Minuten zu reduzieren. Eine CD, eben", so Joni Mitchell. "Ich ordnete die Stücke immer wieder neu. Ich wollte, dass sie sich wie ein neues Werk anhören. Aber egal, wie ich es anpackte: Bei der vorgegebenen Länge blieb es einfach nur eine Sammlung an Songs."
Die Deadline verstrich, das Ballett wurde abgesagt, doch Mitchell sortierte weiter, malte Bilder dazu, schrieb Begleittexte. Das Ergebnis, auf vier CDs angewachsen, liegt nun vor. Schön in Buchform verpackt, mit langem autobiographischem Essay, begleitenden Zeichnungen und viel Zuneigung zum eigenen Werk.
Wie viel Mühe sich Mitchell gegeben hat, zeigt sich auch daran, dass CD Nummer zwei ein abgedruckter, handgeschriebener Zettel beiliegt. Die Reihenfolge der Stücke stimme hier nicht mit der angegebenen überein, im letzten Moment habe sie sie noch geändert, als das Cover schon in Druck war.
Ein Liebeswerk, in mehrfacher Hinsicht. Thematisch geht es um das Gefühl der Zuneigung zu einem anderen Menschen, um die Entwicklung einer Beziehung, nach CDs sortiert: "Act 1: The Birth Of Rock'n'Roll Days", "Act 2: The Light Is Hard To Find", Act 3: Love Has Many Faces", "Act 4: If You Want Me I'll Be In The Bar".
Alkohol heilt alle Wunden, also. Wie auch Mitchells wunderbar warme Stimme, die nicht darunter gelitten hat, dass die Kanadierin seit ihrer Kindheit überzeugte Raucherin ist. Ihr Gesang hat im Laufe der Jahre an Höhe verloren, dafür an Charakter sogar noch gewonnen. Leicht mysteriös wirkte sie schon immer.
Ein weiteres wichtiges Element stellt ihr ungewöhnlicher Zugang zur Musik dar. Immer wieder musste sie sich anhören, dass man so nicht spielen könne, dass die Akkordreihenfolgen keinen Sinn ergeben. Doch zog sie es durch, die zart wirkende, aber mit eisernem Willen versehene Musikerin, die alle ihre Platten selbst produziert hat und selbst den Größten sagte, wo es langgeht.
Mit ihren ersten Alben Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre, darunter "Clouds" (1969), "Ladies Of The Canyon" (1970) und "Blue" (1971), etablierte sie sich als Folk-Musikerin, die sich selbst auf dem Klavier und der Akustikgitarre begleitete. Ab der zweiten Hälfte der 70er arbeitete sie mit Jazz-Größen wie Herbie Hancock, Charlie Mingus, Wayne Shorter oder Jaco Pastorius zusammen. Endlich hatte sie die Möglichkeit gefunden, ihre komplexen musikalischen Ideen klanglich umzusetzen.
Auch wenn sie in den 80er und 90er Jahren immer wieder ein Spur zu sehr dem vorherrschenden Pop-Sound verfiel, überraschte sie doch immer wieder. Etwa 1988, als sie Billy Idol, Tom Petty und sich selbst in denselben Song packte ("Dancin' Clown").
"Ich bin eine Malerin, die Lieder schreibt. Meine Stücke sind sehr visuell. Die Worte erschaffen Szenen. Nun habe ich einige dieser Szenen wie in einem Dokumentarfilm zusammen geschnitten und sie mittels der Reihenfolge zu einem neuen Werk gemacht", erklärt Mitchell treffend im begleitenden Essay.
"Love Has Many Faces: A Quartet, A Ballet, Waiting To Be Danced" eignet sich hervorragend, um ihr Werk wieder (oder neu) zu entdecken und auch, um Lücken zu schließen. Dazu benötigt man etwas Zeit und Ruhe. Bald zieht einen die exzellent abgemischte Sammlung in ihren Bann. Es lohnt sich.
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