7. Mai 2024
"Wer soll sonst die Fackel weitertragen?"
Interview geführt von Markus BrandstetterMit "Can We Please Have Fun" zeigen sich Kings of Leon 2024 in harmonischer Rock'n'Roll-Eintracht – und haben noch viel vor.
Es gibt Phasen, da klappt einfach alles. Caleb Followill, Frontmann von Kings Of Leon, hatte mit seiner Band gerade so eine Phase, erzählt er in unserem Interview. Die Drei-Brüder-und-ein-Cousin-Band traf sich, begann, an Songs zu arbeiten, spürte so viel Selbstvertrauen wie lange nicht. Gemeinsam mit Kid Harpoon (Harry Styles, Florence + the Machine) begab man sich ins Studio – und schüttelte mit "Can We Please Have Fun" einen gut gelaunten Longplayer aus dem Ärmel, dem der Spaß schon aus dem Titel schielt.
Caleb, wie kam das neue Album zustande?
Als die ersten Ideen zum neuen Album entstanden, waren wir gerade auf Tour in Australien und Neuseeland. Plötzlich kam unser 20-jähriges Bandjubiläum ins Gespräch, und die Idee einer Jubiläumstour machte die Runde. Ehrlich, das hat mich irgendwie runtergezogen. Ich war noch nicht bereit, mich nur auf das zu konzentrieren, was wir schon erreicht hatten. Ich wollte nicht in der Vergangenheit schwelgen. Also fing ich an, ein paar neue Songs zu schreiben. Ich trommelte die Band zusammen, wir fanden ein kleines Studio in der Nähe unserer Häuser. Wir wollten einfach herausfinden, wo wir stehen und was in unseren Köpfen vorging. Am Ende des ersten Tages wussten wir, dass wir bereit waren, eine neue Platte zu machen. Wir hatten genug Songs, die uns inspirierten. Wir hatten ein klares Ziel: Wir wollten all unsere Erfahrungen nutzen, um etwas Großes zu schaffen, das uns und hoffentlich auch unsere Familien stolz macht.
Ich habe vor ein paar Tagen mit deinem Bruder Nathan gesprochen und der meinte, dass ihr diesmal einfach von Anfang an völlig auf derselben Wellenlänge wart – was nicht zwingend immer so gewesen ist.
So ist es. Wir machen das ja schon gefühlt ewig, aber trotzdem ist da jedes Mal diese Nervosität, wenn man den anderen seine neuen Ideen zeigt und hofft, dass sie genauso begeistert sind. Aber das passiert leider nicht immer. Manche Songs, die mir viel bedeuten, zünden bei den anderen nicht so. Aber dieses Mal war es anders. Als wir zusammenkamen, war da einfach diese spürbare Energie. Die hat dazu geführt, dass wir weitergeschrieben haben. Am letzten Tag im Studio haben wir sogar noch einen letzten Track aufgenommen. Hätten wir eine Million Dollar übrig gehabt, wären wir sicher noch länger im Studio geblieben. Ich hatte echt das Gefühl, wir hätten noch ewig weiter Songs schreiben und aufnehmen können.
Ihr hattet also einfach einen guten Lauf.
Ja, ich glaube, wir waren alle einfach in einer richtig guten Phase. Ich habe das Gefühl, dass wir alle irgendwie zufrieden waren. Da war diese jugendliche Energie und eine gewisse kreative Furchtlosigkeit dabei, die wir schon lange nicht mehr hatten. Also versuchten wir, diesen Moment voll und ganz zu genießen.
Entstand der Titel im Nachhinein – oder war er eure festgelegte Marschrichtung?
Ich hatte eine ganze Liste von Titeln aufgeschrieben und fing dann an, sie mit den Jungs zu besprechen. Manchmal denkt man zu viel darüber nach. Titel können tiefgründig sein und eine Bedeutung haben, die manche vielleicht nie ganz entschlüsseln werden. Aber immer wenn ich auf den Punkt kam, "Can We Please Have Fun", wurde es klar. Das war unser Mantra, als wir ins Studio gingen. Wir wollten den Prozess einfach genießen und uns nicht von Gedanken wie "Was wäre, wenn der Song ein Hit wird?" ablenken lassen. Solche Ängste haben wir beiseite geschoben. Es gab keine Gespräche darüber, was wäre, wenn es den Leuten nicht gefällt. "Können wir bitte Spaß haben?" schien immer mehr an Bedeutung zu gewinnen, besonders untereinander. Ich glaube, die ganze Welt sehnt sich danach, Spaß zu haben, sich zu entspannen und keine Angst zu haben. Mit "Can We Please Have Fun?" wollen wir den Leuten einen Moment geben, in dem sie ihre Sorgen vergessen und der rauen Realität entfliehen können. Wir durchleben alle harte Zeiten und manchmal brauchen wir eine Auszeit, um durchzuatmen.
Wie gehst du mit Erwartungen um?
Das mit den Erwartungen ist nicht immer einfach, aber letztendlich sucht jeder nach etwas, das inspiriert, leidenschaftlich ist und von Herzen kommt. Ich persönlich stehe auf Musik, die echt und authentisch ist und Fehler zulässt. Ich habe mal gelesen, dass unsere Menschlichkeit gerade durch Fehler definiert wird, und das hat mich wirklich beeindruckt. Im Studio versuchen wir nicht zu sehr darauf zu achten, alles perfekt zu machen. Wenn wir etwas aufnehmen, entscheiden wir uns oft für die Version, die vielleicht nicht perfekt ist, aber das gewisse Etwas hat. Man muss sich als Künstler immer wieder daran erinnern, was man erreichen möchte. Im Grunde geht es darum, anderen das zu geben, was einen selbst inspiriert hat.
Du hoffst, dass jemand deinen Song hört und denkt: "Wow, was will er damit sagen? Ich will mehr davon." Und wenn die Fans dann das Album aufmachen und die Texte lesen, werden sie ein Teil dieser Reise. Wir wollten von Anfang an eine Band sein, die Boxsets macht. Es ging uns nie nur darum, ein gutes Album zu machen; wir wollten etwas schaffen, das die Leute immer wieder erleben wollen. Am Ende unserer Karriere sollten wir nicht nur ein großartiges Album haben, sondern viele, und auf jedem sollten Momente sein, die die Leute als inspirierend empfinden. Es ist eine unglaubliche Reise, und viele würden gerne an unserer Stelle sein und mit Musik ihren Lebensunterhalt verdienen. Wir sind die Glücklichen, die das dürfen, also wollen wir diese Chance schätzen und nicht als selbstverständlich betrachten.
"Ich fühlte mich als Texter und Songschreiber nie besser"
Du meintest vorhin, dass dich Bandjubiläen irgendwie traurig machen, darauf würde ich gerne noch etwas eingehen.
Es ist besonders, etwas in seinem Leben zu haben, das einen so erfüllt, egal in welchem Bereich man tätig ist. Aber wenn man zu dem Punkt gelangt, wo man nicht zurückschauen will, weil man gerade an etwas arbeitet, von dem man weiß, dass es großartig und zu seinem Erbe beitragen wird, dann denkt man: "Oh, nein, noch nicht. Das wird das Boxset noch besser machen." Man sitzt nicht einfach da und wartet auf den Erfolg, weil man ein Album gemacht hat und denkt: "Na gut, lass uns hier sitzen und abwarten, was die Leute denken." Man weiß, dass man zurück an die Arbeit muss. Mach weiter mit dem, was als Nächstes kommt. Und wenn es erfolgreich ist, super, wenn nicht, dann sitzt du nicht einfach da und wartest darauf, sondern bist beschäftigt damit, etwas zu tun, das dir Freude macht.
Nicht auf Nummer sicher gehen also.
Gib es heutzutage dieses "auf Nummer sicher gehen” überhaupt noch? Ich bin mir nicht mehr sicher, was Erfolg eigentlich bedeutet. Wenn ich sehe, was meine Kinder auf YouTube anschauen, wird mir klar, dass es da draußen viele wirklich reiche und berühmte Leute gibt, von denen ich nicht mal weiß, was genau sie tun. Was ich früher als Erfolg definiert hätte und was heutzutage als Erfolg gilt, scheinen zwei völlig verschiedene Dinge zu sein. Aber für mich persönlich geht es darum, etwas zu tun, das mein Leben bereichert. Es geht nicht nur um harte Arbeit, sondern darum, das zu tun, was man liebt, und sich nicht mit weniger zufriedenzugeben.
Produziert hat das Album Kid Harpoon, der ja aus dem Pop kommt und zum Beispiel mit Harry Styles gearbeitet hat. Wie war die Arbeit mit ihm?
Mann, es war echt der richtige Zeitpunkt und der perfekte Ort für Kid Harpoon. Ich bin mir nicht sicher, ob das zu einem anderen Zeitpunkt in unserer Karriere genauso gut funktioniert hätte. Wir waren alle auf einer Mission, wussten, was wir wollten. Als Kid Harpoons Name fiel, waren wir erst skeptisch. Wir kennen Harry und andere, mit denen er gearbeitet hat, und alle lobten ihn. Aber wir dachten immer, was ist, wenn er kommt und eine Pop-Platte machen will? Doch als er dann in der Stadt war, waren wir voller Selbstvertrauen und klar in unserer Haltung: Egal wer mitmacht, wir lassen uns nicht von unserem Weg abbringen. Als er ankam, waren alle unsere Bedenken sofort wie weggeblasen. Er war nicht der Typ, der uns in eine Pop-Schiene drängen wollte. Er kam rein, holte unser erstes Album raus und meinte: "Das ist es, was ich und meine Freunde hören."
Er wollte uns modern halten und gleichzeitig die Rauheit von einst integrieren. Dadurch hat er wirklich etwas Magisches geschaffen. Ich fühlte mich als Texter und Songschreiber nie besser. Ich hatte den Dreh raus und fand meinen Groove auf diesem Album. Es war herausfordernd, aber ich hatte das Selbstvertrauen und die Frechheit zu sagen: "Welchen Song willst du? Ich mach das." Das klingt jetzt vielleicht verrückt, aber ich meinte es ernst und konnte es wirklich umsetzen. Wir haben wie früher nur zwei Akkorde gespielt, weil das alles war, was wir brauchten. Das führte zu Songs wie "Mustang" oder "Split Screen", der echt schön ist. Dann gab es "Hesitation Generation", bei dem ich einfach die gleichen Akkorde spielte. Es waren schnelle und langsame Songs, aber es ging darum, uns selbst herauszufordern und das Ergebnis zu akzeptieren. Und weißt du was? Wir hatten wirklich Spaß dabei, diese Platte zu machen. Ich denke, wir haben genau das erreicht, was wir uns vorgenommen hatten.
Kannst du es an irgendetwas festmachen, warum du diesmal so locker dein volles Potenzial ausspielen konntest?
Es war der einfach perfekte Sturm, der Höhepunkt einer Entwicklung. Auf Tour standen wir auf der Bühne und sahen die Menschenmassen, den Ausdruck in ihren Gesichtern. Es war, als würden sie uns leise anspornen: "Gebt nicht auf, macht weiter". Die Tour verlief großartig. Doch unter der Oberfläche spürte ich eine latente Unsicherheit. Wir hätten einfach anfangen können, uns in unseren Erfolgen zu sonnen. Doch etwas trieb uns an. Ich spürte, wie die Dinge langsam zu entgleiten schienen, und war nicht bereit dafür. Das hatte weniger mit der Band zu tun.
Aber einige langjährige Crewmitglieder von uns wollten weiterziehen. Es schien, als würde alles langsam auseinanderfallen, und ich wollte allen - unseren Fans, der Crew und uns selbst - klar machen, dass wir zu hart gearbeitet haben, um jetzt aufzugeben. Es gibt einen Grund, warum Bands wie die Rolling Stones alles überdauern. Es ist eine Herausforderung, auch nur in Betracht zu ziehen, einer dieser Bands zu folgen. Ich möchte, dass die Leute neue Musik von uns wollen. Wir haben noch eine Menge zu tun.
"Am Anfang war jeder besoffen"
Ihr seid eine der großen zeitgenössischen Rockbands. Viele davon gibt es nicht mehr im Mainstream.
Nun, jemand muss die Fackel ja weitertragen. Es wäre einfach, sich zurückzulehnen und zu sagen, dass das nichts für uns ist. Aber wenn nicht wir, wer dann? Wer werden diejenigen sein, die das Feuer am Brennen halten? Wer werden diejenigen sein, die junge Leute inspirieren, zur Gitarre zu greifen und eine Band zu gründen? Es beginnt mit einem Gedanken, einem Traum, und dann, bevor man es merkt, sind da Freunde, vielleicht Mädchen, und dann träumen wir davon, eines Tages in einem Privatflugzeug zu fliegen oder eine Limousine zu besitzen, oder was auch immer einem als Kind vorschwebt. Aber die Realität holt einen schnell ein. Man merkt, dass das nicht der Grund ist, warum man es macht. Man will ein Vermächtnis schaffen. Ich will, dass unser Familienname etwas bedeutet. Nicht weil ein Vorfahre auf dem Bau gearbeitet hat und ihn deshalb kennen, sondern weil wir den Namen genommen und ihn zu etwas Besonderem gemacht haben. Und dann kommt eine neue Generation, die hoffentlich den Namen weiterführt und noch größere Dinge erreicht.
Ist es eigentlich manchmal nicht anstrengend, mit seiner Familie eine Band zu sein?
Oh Mann, das ist echt herausfordernd (lacht). Nein, im Ernst: Wir sind auch wirklich eine Familie, reden jeden Tag, egal was kommt. Die kreativen Prozesse können manchmal knifflig sein. Aber das Familienband hilft uns dabei. Kommt jemand mit einer schlechten Idee an, sagen wir es uns offen. In Familienbands steckt eine lange Tradition, das macht sie besonders, aber auch schwierig. Nicht alle halten ewig. Doch wir versuchen, einander zu respektieren. Jeder von uns hat auch ein Leben außerhalb der Band. Solange jeder seine Prioritäten im Blick hat, können wir als Familie viel erreichen.
Hat sich die Dynamik unter euch im Laufe der Jahre verändert?
Es hat sich eine Menge verändert. Ich glaube, wir respektieren uns heute mehr. Am Anfang war jeder besoffen, und als Frontmann bekommst du "Leadsingeritis" und glaubst, du bist besser als die anderen. Und mit der Zeit zeigt es sich, dass du Recht hattest, deswegen behältst du das dann auch so bei. (lacht)
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