16. Januar 2013

"Ich trete lieber als Vorgruppe auf"

Interview geführt von

Die Opulenz von Florence And The Machine in Einklang mit folkigen Elementen à la Beth Jeans Houghton und die stimmliche Bandbreite einer Beth Gibbons: Kyla La Grange vereint auf ihrem im Januar 2013 erscheinenden Debütalbum "Ashes" so ziemlich alles, was das britische Indie-Herz in helle Verzückung versetzt.Statt in erwartetem farbfeindlichen Gothic-Folk-Outfit huscht die britische Newcomerin ganz leger mit Rock, unspektakulären Strumpfhosen und dezentem Business-Makeup in das vorbereitete Interview-Zimmer des Berliner Hotels.

Schüchtern und verhalten nimmt sie auf einer Retro-Couch Platz, während sich draußen der Berliner November mit reichlich Sonnenschein von seiner besten Seite zeigt. Ruft man sich die eher düsteren Bilder ihrer bisher erschienenen Video-Clips und die dazugehörigen melancholischen Klanglandschaften ins Gedächtnis, könnte man fast annehmen, dass sich Kyla La Grange in einem derart hellen und sonnendurchfluteten Umfeld unwohl fühlen müsste. Dem ist aber überhaupt nicht so.

Hi Kyla: Wie geht es dir?

Oh, es geht mir gut, sogar sehr gut. Die Sonne scheint, ich sitze hier in Berlin und alle Leute sind nett zu mir. Ich kann mich nicht beklagen (grinst).

Vermeintliche Insider behaupten, du seist eher ein Nachtmensch.

Nein, das ist Quatsch. Nur weil einer meiner Songs "Vampire Smile" heißt und ich mich eher mit melancholischen Klängen auseinandersetze, heißt das nicht, dass ich mich tagsüber im Keller verstecke (lacht).

Dennoch: Du sollst nur gute Songs schreiben können, wenn du traurig bist. Hast du da nicht auch ein bisschen Angst vor der Zukunft?

Nein, warum sollte ich?

Naja, ich denke, dass du als hauptberufliche Musikerin in Zukunft ziemlich viele Tage mit dem Schreiben von Songs verbringen wirst. Wer geht schon gerne traurig an die Arbeit?

Das Ganze ist damals etwas unglücklich transportiert worden. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass ich gerne traurig bin. Ich wollte nur sagen, dass ich in melancholischen Momenten eine wesentlich stärkere Bindung zur Musik aufnehmen kann, als in Momenten, in denen es mir gut geht. Ich schreibe aber auch Songs, wenn die Sonne scheint, so ist es nicht (lacht).

Die Tatsache, dass ich vermehrt Songs schreibe, wenn ich "traurig" bin, hat mehr damit zu tun, dass ich versuche, einen Weg zu finden, der mich wieder ans Licht führt. Die Musik hilft mir dabei. Es gibt für mich keine wirksamere Seelenmedizin. Wenn es mir schlecht geht, baut mich das Songwriting wieder auf. Es ist wie eine Befreiung für mich, wie ein imaginäres Pflaster, das alle Wunden wieder schließt.

"Ich hatte keine Ahnung, wie sich meine Stimme anhört"

Welches "Pflaster" auf deinem Debütalbum hat denn die größte Wunde geschlossen?

Das kann man schwer sagen. Jeder Song hat seine eigene Geschichte und eigentlich ist mir auch jeder Song gleich wichtig.

Eigentlich?

Gut, vielleicht sticht der Song "To Be Torn" für mich persönlich etwas heraus. Das ist ziemlich seltsam, denn nur die wenigsten Leute, mit denen ich über mein Album spreche, konfrontieren mich mit diesem Lied.

Sie sprechen lieber über "Vampire Smile" und "Walk Through Walls", oder?

Klar. Ich mag die beiden Songs ja, keine Frage. Aber als ich "To Be Torn" geschrieben habe, hatte ich mit Abstand das intensivste Gefühl. Für mich ist es der wichtigste Song, ohne den das Herzstück fehlen würde. Aber andere Leute empfinden das anders. Und das ist auch ein unheimlich schönes Gefühl, weil es mir zeigt, dass man das Album nicht nur auf einige ausgewählte Lieder reduziert.

Die Leute schöpfen auch in Sachen Vergleiche aus verschiedenen Näpfen. Florence Welch, Kate Bush, Beth Gibbons: Welcher Name würde dir als erster in den Sinn kommen, wenn dein Album das einer anderen Künstlerin wäre?

Oh, keine Ahnung. Diese Namen lese ich aber auch überall, und ich fühle mich wirklich geehrt. Das sind alles großartige Künstler. Als das Album von Florence rauskam, habe ich es rauf und runter gehört. Aber das eigentlich Interessante daran ist, dass ich zu keiner Zeit eine bewusste Verbindung mit diesen Künstlern hatte.

Als ich die ersten Songs schrieb, hatte ich keinen blassen Schimmer davon, wohin die Reise gehen würde. Ich wusste nicht, welche Sounds zu welchem Song passen und ich hatte auch keine Ahnung, wie sich meine Stimme anhört. Ich habe einfach angefangen zu schreiben. Und erst im Studio merkte ich, wie sich all die kleinen Bausteine nach und nach zu einem Ganzen entwickelten. Eigentlich hatte ich auch nie das große Bedürfnis, die Songs irgendwann einmal selbst vorzutragen. Auch das entwickelte sich erst mit der Zeit. Ich hielt mich nämlich nicht gerade für eine begnadete Entertainerin (lacht).

Mittlerweile fühlst du dich aber wohl auf der Bühne?

Zumindest fühle ich mich besser als früher. Ich bin halt in vielen Situationen noch sehr unsicher. Wenn ich es mir beispielsweise aussuchen könnte, ob ich lieber vor eigenem Publikum oder als Support für eine andere Band spielen soll, dann würde ich immer den Support-Abend vorziehen. Dort haben die Leute keine sonderlich hohen Erwartungen, wohingegen die Leute bei den Headliner-Shows genau wissen, was sie wollen. Das lässt bei mir immer unheimlich viel Druck entstehen, mit dem ich noch nicht so recht umzugehen weiß.

Andererseits habe ich auch gemerkt, dass, wenn alles funktioniert, es nichts Schöneres gibt, als vor eigenem Publikum zu spielen. Wenn die Leute mitsingen, dich anlächeln und dir zujubeln ist das schon ein tolles Gefühl. Das entsteht bei mir dummerweise aber immer erst während des Konzerts. Die Angst, dass etwas nicht klappen oder ich die Erwartungen nicht erfüllen könnte, ist momentan noch etwas größer, als die Vorfreude auf hunderte Menschen, die sich auf mich freuen. Ich hoffe aber, dass sich das mit der Zeit noch ändert.

"Musik war nur ein Hobby, nie eine Zukunftsoption"

Was passiert, wenn es sich nicht ändert?

Dann würde ich zwar nicht aufhören zu schreiben, aber wahrscheinlich irgendwann damit, meine Songs auf der Bühne zu präsentieren. Vielleicht würde ich dann für andere Künstler schreiben oder meine Songs einfach nur so veröffentlichen, ohne großen Tour-Rattenschwanz (lacht).

Inwieweit hatte diese Unsicherheit Einfluss auf deine Entscheidung, erst einmal ein Studium zu absolvieren, anstatt mit bereits massenhaft vorhandenen Songs an die Öffentlichkeit zu gehen?

Ich hatte zu der Zeit eigentlich überhaupt kein richtiges Gefühl für irgendetwas. Ich wusste nur, dass ich mich beschäftigen will. Musik war mein Hobby. Ich habe unheimlich gerne geschrieben. Aber für mich stellte die Musik damals nie eine echte berufliche Zukunftsoption dar. Also habe ich angefangen zu studieren. Als ich damit fertig war, habe ich einige kleine Akustik-Gigs in London gespielt.

Dort hat mich dann ein Produzent angesprochen und mir angeboten, mit ihm zu arbeiten. Zu der Zeit hatte ich aber noch keinen einzigen Song aufgenommen. Also haben wir erst einmal zwei Songs aufgenommen und diese dann via MySpace veröffentlicht. So griff dann ein Rad ins Nächste. Das Ganze war ein ziemlich langer Prozess. Das war aber auch gut so, denn hätte man mich vom Fleck weg auf den roten Teppich gestellt, würde ich heute wahrscheinlich nicht hier sitzen.

Deine Band hast du auch über MySpace gefunden, oder?

Ja, zum Teil. MySpace war damals noch richtig groß und eine tolle Möglichkeit für junge Künstler, ihre Werke schnell und unkompliziert unter die Leute zu bringen.

Irgendwann ging es aber dann richtig los. Hat man denn zu Beginn versucht, deine Unsicherheit auszunutzen, um dich in eine vermeintlich chartkompatible Rolle zu drängen?

Nein, zum Glück nicht. Ich hatte von Anfang an Leute um mich herum, die ebenso überzeugt von meiner Basis waren wie ich selbst.

Neben der Musik legst du auch großen Wert auf die visuelle Umsetzung. Deine Videos und auch die Fotos im Booklet deines Albums präsentieren dich als einen Menschen, der scheinbar keine Angst davor hat sich offensiv zu positionieren. Wie kommt es, dass du in diesem Bereich alles problemlos abdecken kannst, während du auf der Bühne innerlich mit Selbstzweifeln kämpfst?

Das ist wirklich schwer zu beantworten. Ich habe mir diese Frage auch schon oft selbst gestellt (lacht). Letztlich beruhigt mich immer die Gewissheit, dass es in jedem Job Licht- und Schattenseiten gibt.

Das mag sein, aber sollte nicht das Wesentliche des Jobs – was im Falle eines Musikers die Live-Präsentation ist – auf jeden Fall zu den schönen Dingen des Alltags zählen?

Ja, definitiv. Es ist ja auch nicht so, dass ich mich auf die Bühne zwingen muss. Wenn sich die Unsicherheit nach den ersten Minuten gelegt hat, habe ich in der Regel auch immer eine unvergessliche Zeit auf der Bühne. Manche Dinge erfüllen mich aber komplett - von der Planung bis zum Finale – mit Freude und Lust. Egal ob Fotos oder kleine bewegte Geschichten vor der Kamera: das ist meine Welt, da fühle ich mich sicher und rundum glücklich.

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