30. August 2024
"Ohne Parasiten hätte der Haifisch dreckige Zähne"
Interview geführt von Jasmin LützLambert wäre gerne Teil einer Jugendbewegung gewesen. Zur Hamburger Schule hätte er nie nein gesagt. Er kommt aus einem popkulturellen Hintergrund, auch wenn er Jazzmusik studiert hat.
Lambert geht gerne auf Konzerte, aber niemals zu Taylor Swift. Zuhause hört er eher weniger Musik, da sitzt er dann doch lieber am Klavier und komponiert Melodien, die man sofort ins Herz schließt. Früher hat er seine Platten auf dem Indie-Label Staatsakt herausgebracht und jetzt ist er schon seit 2016 bei Universal Music.
Gerade erschien mit "Actually Good" ein Album, das ursprünglich für eine englische Krimi-Serie gedacht war. Die Geschichte zum Album klingt fast ausgedacht und deshalb haken wir im Interview nach, ob das wirklich alles so stimmt. Aber zu Beginn klären wir, in welche Schublade wir Lambert einsortieren können.
Dein neues Album "Actually Good" ist dieser Tage erschienen. Du wirst oft als Neo-Klassik-Pianist bezeichnet. Ich finde ja, diese Platte ist dank der Melodien mit sofortigem Wiedererkennungseffekt ein Pop-Album.
Lambert: Ich würde mich auch in der Popkultur verorten. Popmusik ist ja das, was einem erst einmal Identität bringt. Musikalisch bin ich schon eher der Jazzmusik verhaftet. Das fing sehr früh an, also die Art und Weise, wie ich das Instrument kennenlerne und mich dann da auch explizit frei fühle. Im weitesten Sinne ist Jazz auch ein Teil der Popkultur. Aber da gibt es bei mir schon einen akademisierten Hintergrund, weil ich das ja studiert habe. Mein Interesse lag damals im Zusammenspiel mit einer Band, gemeinsam musizieren. Ich habe damals Schlagzeug gespielt. Popkulturelles Songwriting ist schon stark prägend für meine Musik. Aber in der Handhabung des Instruments fühle ich mich nach wie vor als Jazzmusiker, aber das sage ich lieber nicht zu laut … (lacht).
Jazzmusik wird doch auch immer populärer, oder?
Lambert: Ja, es gibt so eine Entwicklung, dass Jazzmusik als nicht mehr so nerdig gilt. Ich erinnere mich, dass man gerade Jazzmusiker in der Popkultur gemieden hat. Ich habe früher in den Nullerjahren in einer Indie-Band gespielt und da konntest du keinen Blumentopf mit gewinnen, wenn du einen akademischen Hintergrund hattest. Das war mega uncool. Jazzmusik auch. Ich habe das Gefühl, das hat sich so ab 2015 ein bisschen gedreht. Von wegen, ah, da kommt Jazzmusik jetzt auch aus England, dann muss das irgendwie cool sein. Die Musik hat sich auch geändert, weil sie dann auch mit großer PA gespielt und es festivalkompatibel wurde. Das ist gar nicht so die Jazzmusik, die ich gerne mag.
Es ist natürlich kompatibel, wenn du eine Band dahin stellen kannst, die dann auch wie eine Popband aussieht. Was ich an Jazzmusik eher interessant finde, ist der Raum und die Akustik. Das, was ich direkt wahrnehme vom Instrument. Ich weiß, dass die Musiker in der Lage sind, mit dem Raum zu spielen. Das geht so mit dem Wir-machen-es-groß-Gedanken eher wieder verloren, aber ich will jetzt auch nicht klingen wie ein alter Herr: Früher war alles besser. Aber es stimmt schon, Jazzmusik wird heute cooler angesehen und jetzt sage ich es auch selbstbewusster, dass das mein Hintergrund ist. Als ich mit Lambert anfing, wollte ich das aktiv verbergen und auch nicht darüber reden. Ich wollte nicht, dass das Thema ist, obwohl es meine Art ist zu spielen und zu schreiben.
Es ist aber bestimmt auch nicht leicht, in der Jazz-Szene anzukommen bzw. habe ich gelesen, dass sie dich damals auch nicht so akzeptiert haben, wie du wolltest. Es gibt immer bestimmte Kriterien in so Szenen, die man erfüllen muss.
Lambert: Man stellt sich erst einmal so ein Leben als Sideman vor, als Gastmusiker. Joshua Redman ruft an und dann tourst du mit ihm durch die Welt. So hatte ich mir das vorgestellt, ich werde so eine Art Bill Evans 2.0. Ich habe in der Berliner Szene dann gemerkt, das ist nicht ganz kompatibel, das was ich ganz gerne machen würde mit dem, was so als cool wahrgenommen wird, innerhalb dieser Szene. Erst recht nicht mit meinen Alben, die haben da auch keinen großen Anklang gefunden. Das war für viele Leute eher zu kommerziell orientiert, was für mich eine absurde Art und Weise war, das so zu beschreiben. Ich war immer schon ein Liebhaber von Melodien, die man nachvollziehen kann. Mein popkultureller Hintergrund war schon immer da und beim Spielen war es für mich auch immer wichtig, für die Leute zu spielen und da auch eine direkte Rückmeldung zu bekommen. Der direkte Kontakt zum Publikum ist vielleicht anders als in der Berliner Jazz-Szene.
Es gab mal eine Story, vielleicht hast du die auch schon gelesen, dass ich eigentlich aufgehört habe mit dieser Szene, als ich aus einer Band rausgeschmissen wurde. Wir hatten einen Gig im Wendel und ich war als erster da und hatte mich mit meinem Klavier so in der Mitte aufgebaut. Da war ich Sideman von einer Band und ich fand es cool da mitzuspielen. Waren auch gute Leute dabei, Szenegrößen aus Berlin. Wir haben dann gespielt und ich fand es ziemlich gut und das Publikum auch. Es gab Szenenapplaus und ich bin dann später an die Bar und dann kamen Leute auf mich zu: Hey, gut gespielt. Ist das deine Band? Spielt ihr öfter? Und ich so: Nein, das ist nicht meine Band. Das ist die Band vom Schlagzeuger. Ich hatte dann irgendwann das Gefühl, die Aufmerksamkeit liegt bei mir. Zumindest ist das meine Version der Geschichte. Der Schlagzeuger würde sicherlich was anderes erzählen. Der rief mich zwei Tage später dann auch an und ich meinte noch: Super Gig, wann spielen wir noch mal? Und er so: Nee, wir haben uns entschieden, dass du nicht der richtige bist. Ich denke, sie wollten mich nicht mehr, weil ich ihnen die Aufmerksamkeit gestohlen habe, und sie sagen wahrscheinlich, mein Stil hätte nicht gepasst oder so. Keine Ahnung, die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen, aber ich bleibe bei meiner Version.
Das ist der Neid, oder? Das kann ich mir schon vorstellen, dass man so reagiert, wenn jemand besonders auffällt. Damals hattest du auch noch keine Maske?
Lambert: Nein.
Unabhängig jetzt von dieser Band, welche Berliner Musiker sollte man unbedingt kennen oder mal gesehen haben? Die Szene hier ist doch auch sehr groß. Irgendwelche Geheimtipps?
Lambert: Auf jeden Fall Kit Downes, auch ein Pianist. Devin Gray, ein amerikanischer Musiker, der sehr viel in Berlin spielt und Schlagzeuger ist. Phil Donkin, ein Engländer, der hier ansässig ist und ganz oft im Donau 115 spielt. Tolle Jazz-Bar hier in Neukölln mit sehr viel guten Musikern. Wirklich höchstes, internationales Niveau. Das Donau hat mindestens einmal die Woche einen Knaller-Act da, aber auch den Rest der Woche gibt es da richtig gute Musik. Ich habe da auch mal Jim Black gesehen, ein Schlagzeuger, der hier mittlerweile wohnt. Der war früher für uns das totale Idol mit seiner Band Alasnoaxis. Als ich noch studiert habe, war das so ein Beispiel, dass Jazz so edgy und Indie-Sound mäßig klingen kann. Der hatte so ein bisschen in den Nuller-Jahren Indie in den Jazz transformiert. Das war eine totale Inspirationsquelle und der spielt hier auch regelmäßig.
Und du gehst auch noch gerne auf Konzerte und lässt dich inspirieren?
Lambert: Ich gehe ganz oft auf Konzerte. Lieber live gucken, als Musik hören. Ich war letzte Woche im Zig Zag. Peter Evans und Joel Ross, auch totale Helden, kamen rüber aus New York und das war ein Mega-Konzert, aber das Album habe ich mir nicht gekauft. Ich weiß, dass ich mir das zu Hause nicht anhören werde. Das würde die Erfahrung nicht repräsentieren. Ich bin schon ein richtiger Jazzliebhaber und möchte an dieser Stelle auf meinen Podcast Lambert Klamra Jazz hinweisen.
"Ich wäre schon gerne Teil einer Subkultur gewesen"
Da wollte ich auch noch draufkommen. Ich bin kein Podcast-Hörer, aber da habe ich mir ein paar Folgen angehört. Als Jazz-Laie wird man da ganz gut unterhalten, und ich habe mir natürlich auch die Folge über die Hamburger Schule angehört.
Lambert: Hamburger Schule ist ja kein Jazz-Thema, aber da wir beide, also Klamra und ich aus Hamburg kommen, wo diese Schule ja florierte, waren wir da eher so die Beobachter.
Genau, und so kommt das in dem Podcast auch rüber. Diese Diskussion auf Facebook konnte ich irgendwann nicht mehr ertragen, und da war eure Zusammenfassung oder eure Beobachtung sehr entspannt. Ich dachte mir nur, eigentlich will man doch gar kein Teil dieser Szene sein…
Lambert: Erstmal ist ja interessant, dass damals eigentlich niemand dieses Label Hamburger Schule wollte. Jetzt kommt dieser Streit auf, und alle wollen dazugehören.
Genau und vor allem die, die noch nicht mal Musik gemacht haben, vielleicht mal darüber geschrieben, aber vor allem irgendwann in den 1990ern eine Adidas-Jacke getragen haben.
Lambert: So kam mir das auch ein bisschen vor. Ich fand die Doku jetzt gar nicht so schlecht, wie sie allgemein runtergebuttert wurde, aber das ist das, was mich an diesem Ich-Journalismus ein bisschen stört. Es gab zuvor auch einen Podcast über Tocotronic, eine meiner absoluten Lieblingsbands, auf radioeins. Eigentlich gut und informativ, aber was mich da oft stört ist, welche Rolle habe ich als Journalist darin. Da hört man dann sowas, wie: Ich fange an zu weinen, Backstage. Ich meine, worum geht es hier eigentlich? Wollen wir der Hamburger Schule näherkommen oder mehr von der Person erfahren, die diese Doku macht. Und ich glaube, das war doch auch so ein bisschen der Vorwurf von Bernd Begemann, oder?
Das war sein Vorwurf und natürlich auch, dass er und viele andere Musiker*innen in dieser Doku kaum erwähnt werden bzw. gar nicht. Und dann werden aber Bands/Künstler*innen als Hamburger Schule definiert, die das Ganze einfach nur an sich gerissen haben. Und wer weiß, was da alles noch so hinter den Kulissen passiert ist. Aber das kann man auch hier im Interview mit Bernd nachlesen.
Lambert: Ich finde ja vor allem interessant und das trifft vielleicht den Kern: Dadurch dass diese Doku überhaupt produziert wurde, ist ein riesengroßer Streit entstanden. Und das ist ja etwas, was die Hamburger Schule ganz gut beschreibt. Diesen Twist untereinander, den es immer schon gab.
Und den der Fan nie mitbekommen hat. Das ist halt Klüngelhausen, also letztendlich gibt es in jeder Clique und in jeder Szene irgendwann Reibereien und Missgunst.
Lambert: Diese Diskussion über Hamburger Schule und Journalismus ist irgendwie verwoben und hält sich selbst am Leben. Wir haben alle fünf Jahre so eine Welle, wo wirklich alle Leute aus so einer Konserve rausgeholt werden, und dann darf jeder noch mal was dazu sagen. Finde ich irgendwie super.
Also, sprechen wir 2029 über den nächsten Diskurs. Wärst du denn damals gerne Teil einer Szene gewesen?
Lambert: Ich wäre schon ganz gerne Teil einer Subkultur gewesen. Ich schau da schon auch ein bisschen mit Neid drauf. Als Beobachter der 1990er Jahre habe ich mir das ja schon näher angeguckt, die Hamburger Schule oder auch Eimsbush und mir gedacht: Ach, das wäre schon geil mit dabei zu sein. Warum auch nicht, wenn die mich cool gefunden hätten, hätte ich sofort gesagt: Ja, gerne! Ich guck auch immer noch auf so Indie-Bands, die es ja immer mal wieder gibt. So junge Bands, die an eine Sache glauben und ihr Ding machen. Das ist auch so popkulturell verhaftet. Letztes Jahr habe ich Turbostaat gesehen, die gibt es schon länger, aber das ist halt so ein richtiges Ding. Das ist mehr als nur eine Band. Das vermisse ich bei Lambert schon manchmal. Ich sehe mich jetzt nicht als Teil eines neo-klassischen Projekts. Wirklich bei weitem nicht.
Gibt es denn eine neo-klassische-Szene?
Lambert: Gute Frage. Du meinst eine Szene, an die ich mich ranwanzen kann? Ich weiß nicht. Diese Musik ist generell sehr egoistisch geprägt, auf das Ich und meine Gefühle. Es gibt wenig Formulierungen dazu: Was wollen wir hier eigentlich? Ich habe da nie einen Geist ausmachen können oder irgendeine Forderung. Ich würde fast sagen, das ist recht unpolitisch alles.
Es ist doch auch eher schwierig, immer in eine bestimmte Schublade gesteckt zu werden. Wenn man über dich liest, wirst du häufig als Neo-Klassik-Musiker betitelt. Einmal habe ich auch gelesen Neo-Klassik Sonderling. Das fand ich eher nicht so schön. Aber sonst bekommst du doch vorwiegend positive Kommentare. Also, zum Beispiel bei YouTube, unter deinen Videos.
Lambert: Das weiß ich gar nicht. Ich lese manchmal schon Sachen über mich, die mich dann auch ärgern. Also, wenn die Rezension nicht so gut ist. Das letzte Album von mir war ein Jazz-Album und da waren viele Reaktionen ganz gut, aber eine aus England, in einem Jazzmagazin, fands richtig scheiße. Das hat mich geärgert. Da hätte ich am liebsten angerufen: "Hömma ..." Der hat irgendwie was darüber geschrieben, wie sein Sohn die Musik findet. Ich meine, da sind wir wieder beim Ich-Journalismus. Worum geht es hier, um mich oder um deinen Sohn?
Dieser Ich-Journalismus kommt ja schon aus dieser Fanzine-Szene, oder? Fast alle Redakteure oder Journalisten haben früher für ein Fanzine geschrieben. Und fast alle hatten mal eine Band oder kannten eine Band und dann vermischt sich das oft. Ich würde mich da auch gar nicht ausschließen.
Lambert: Das wird einem ja auch ständig vorgemacht in der Popkultur. Aus der Sicht des Musikers fragt man sich halt oder wundert sich auch, dass alle, die in diesem Geschäft oder halt in dieser Popkultur mitmachen, die mit Musik zu tun haben, aber selbst keine Musik machen, trotzdem so exaltiert sind. Als Künstler fragt man sich, wie kann das denn sein, dass alle viel lauter sind? Oder mehr Stories erzählen oder extrovertierter aussehen als die Künstler selbst? Du sitzt da am Tisch mit Leuten und die reden und reden und du denkst nur, wer ist denn hier der Popstar? Es geht doch um mich.
Da rückt der Künstler immer mehr in den Hintergrund.
Lambert: Genau. Ich nenne sie liebevoll die Parasitären. Leute, die mit Musik Geld verdienen, aber keine Musik machen. Die wir natürlich auch brauchen. Parasiten sind auch gut. Für Haifische zum Beispiel. Da gibt es Parasiten, die putzen denen die Zähne, sonst hätte der Haifisch dreckige Zähne, also ohne die geht es nicht. So wie der Markt aufgestellt ist braucht man sie. Ich wüsste jetzt nicht, wie ich mich selbst booke oder so.
Viele machen das ja auch selbst, aber klar, wenn man Booker und Promoter hat, dann übernehmen die im besten Fall schon sehr viel Arbeit. Aber hier kann ich auch aus Erfahrung sprechen. Da gibt es solche und solche. Und oft denkt man, hey, der Künstler ist bestimmt nicht so einfach im Umgang und dann hat man aber vorher mit dem Promo-Menschen zu tun und wundert sich, warum der sich jetzt so aufplustert. Da sind tatsächlich die Musiker viel umgänglicher. An das Parasiten-Beispiel werde ich mich jetzt immer erinnern.
Lambert: Ja, das sind wahnsinnig exaltierte Leute.
Braucht man denn als Künstler überhaupt noch CD-Besprechungen? Das frage ich mich auch immer mal wieder, weil man in Gesprächen doch viel mehr über die Musik und den Interpreten erfährt?!
Lambert: Bei meinem neuen Album gibt es ja eine Story. Wenn es aber darum geht, wie wurde dieses Album produziert, dann ist das ein Raum, der ist genauso groß wie dieser hier und da gehe ich jeden Tag rein und nehme meine Musik auf. Wenn man ehrlich ist, dann wäre das die Geschichte zum Album und die ist natürlich wahnsinnig öde.
"Den Taylor Swift-Hype verstehe ich nicht"
Dann kommen wir doch mal zu der interessanten Geschichte, die es zu deinem neuen Album "Actually Good" gibt. Ich frage mich, ist die wirklich echt?
Lambert: Die Story beruht auf einem wahren Kern. Es wird auch eine Dokumentation dazu geben, die den ganzen Prozess des Scheiterns dokumentiert und da haben wir schon auch ein bisschen gefaket.
Ok, lass uns das mal zusammenfassen. Ursprünglich solltest du die Filmmusik für eine englische Krimiserie machen und du solltest auch der Hauptdarsteller sein.
Lambert: Genau. Natürlich konnten wir auch nicht die ganze Wahrheit erzählen, das hätte nämlich Ärger gegeben. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, den Kern wiederzugeben, also es beruht wirklich auf einer Geschichte, die komplett gegen die Wand gefahren wurde. Und wo so dumme Ideen entstanden sind, wie Lambert spielt jetzt mal einen Kommissar.
Und die Musik solltest du dafür auch komponieren.
Lambert: Genau. Die habe ich dann mit zum Set gebracht. Der Regisseur hatte die Idee, dass man die Musik direkt am Set hat. Die Musik sollte den Schauspieler*innen, die er auch die ganze Zeit neu besetzt hat, Mut machen und damit sollten sie besser agieren und in Stimmung kommen. Das machen wohl recht wenige Regisseure so. Die Musik wird in der Regel im Nachhinein dazu gespielt, weil man Schauspielern*innen schon zutrauen kann, auch ohne Musik in Stimmung zu kommen. Naja. Ich habe dann drei Tage mit dem gedreht. Der Typ war halt der totale Choleriker. Die Geschichten, die immer über dieses Filmbusiness erzählt werden, sind also wahr. Schlechte Stimmung am Set, alle schreien nur rum, keiner hat Bock. Ja, so war das. Das Drehbuch wurde mal eben umgeschrieben. Es gab eine Verfolgungsjagd mit mir auf einem Tretroller statt im Auto. Das war ziemlich gefährlich, weil ich auch ordentlich Fahrt aufnehmen musste. Vor dir fährt die Cam mit einer superschweren Kamera, hinter dir ein Auto. Also, da hätte einiges passieren können. Dann musste ich durch den Park fahren und da war der Boden ganz weich, weil es geregnet hatte. Da bin ich dann mit diesem Roller hängen geblieben und habe mich voll hingelegt. Man denkt erst einmal: Ist doch alles gutgegangen. Fühlt sich ein bisschen komisch an, aber du hast alles überstanden. Ich lag dann abends im Bett und konnte mich nicht bewegen. Das war dann der Moment, ok Leute. So geht das nicht.
War was gebrochen?
Lambert: Ich hatte eine Fraktur. Ich habe dann bei meinem Management angerufen. Sorry, das war eine Scheißidee und bin dann abgereist.
Und die Serie wurde nie fertig gedreht?
Lambert: Nee, um Gotteswillen. Das wird nie zu Ende gemacht. Ich war ja nicht der Einzige, der da Ärger mit dem Typen hatte. Es gab verschiedene Gründe, warum das Projekt eingestampft wurde. Einer der Gründe ist, Lambert hat keinen Bock mehr.
Würdest du das denn noch mal machen, wenn jemand fragt. Also, als Schauspieler agieren?
Lambert: Ich höre immer, dass die Stimmung so schlecht ist am Set.
Haben wir auch erst kürzlich gehört, wie es am Filmset mit Til Schweiger ist. Da denke ich aber auch oft, wen wundert das? Naja, auf jeden Fall werden wir dich ja dann in der Doku sehen.
Lambert: Ich finde den Beruf Schauspieler schon beeindruckend. Du nicht? Ist doch schon toll etwas darzustellen und in irgendwelche Rollen zu schlüpfen. Davon träumen doch alle?
Früher vielleicht mal. Aber heute würde mich das nicht mehr reizen. Mit welchem Regisseur würdest du denn dann gerne mal drehen?
Lambert: Nachdem "Poor Things" heraus kam habe ich noch mal alle Lanthimos-Filme geguckt. "The Favourite", "The Lobster", "Killing Of A Sacred Deer" ... den finde ich schon super.
Also, wenn er sich meldet ...
Lambert: Sag ich zu.
Wie oft sitzt du eigentlich am Klavier. Spielst du jeden Tag?
Lambert: Seit geraumer Zeit eigentlich wieder jeden Tag.
Man muss doch auch regelmäßig Fingerübungen machen?
Lambert: Ja, das hilft natürlich, wenn du auf Tour gehst und deine Finger einigermaßen durchtrainiert sind. Es gibt aber auch Tage, da kann ich ein Konzert spielen, obwohl ich zwei Wochen nicht geübt habe. Es geht aber auch gar nicht darum Dinge zu üben, die ich dann live auch umsetzen will. Das ist eigentlich davon losgelöst. Ich möchte Dinge üben, die ich noch nicht kann.
Du bist auch viel im Ausland auf Tour.
Lambert: Das stimmt. Deutschland ist aber schon auch ein starker Markt. Im November spiele ich fast nur in Deutschland, bis auf ein paar Ausnahmen in Holland.
Gibt es ein Land oder einen Ort, wo du am liebsten spielst? Das Publikum ist ja immer anders.
Lambert: Ich spiele sehr gerne in London und auch in Dublin. Das sind immer gute Orte und auch ein gutes Publikum. Vor allem Dublin ist mir ans Herz gewachsen und da freue ich mich auch im nächsten Jahr wieder da zu sein. Istanbul fand ich auch immer geil. Die Atmosphäre fand ich immer super. Man klappert halt so die Hauptstädte ab, auch wenn ich in England mal in Bristol oder Manchester gespielt habe.
Man liest jetzt immer mehr, dass kleine Festivals abgesagt werden, weil der Vorverkauf nicht so gut lief oder auch Konzerte abgesagt werden. Bekommst du das auch mit?
Lambert: Bei der ersten Tour nach Corona gab es schon einen Drop. Ich fand, dass sich das eigentlich mittlerweile wieder gut konsolidiert hat, wobei ich jetzt auch noch nie so groß war. Das sind immer so Läden, wo 200 Leute reinpassen. Und eigentlich habe ich die immer ganz gut gefüllt. Das Publikum war dann doch recht treu. Bei mir ist es eigentlich wieder gut geworden, aber ich war auch schon mal an dem Punkt, uh, ob das mal gut geht.
In der Elbphilharmonie hast du auch schon gespielt und da waren das aber schon mehr als 200 Leute. Hast du immer noch Lampenfieber?
Lambert: Immer. Ich weiß auch gar nicht woran das liegt, aber es wird eher mehr, diese Aufregung vor einem Konzert. Aber das geht dann auch wieder weg auf der Bühne.
Sprichst du während den Konzerten auch mit dem Publikum, und bekommst du auch deren Reaktionen mit, trotz Maske?
Lambert: Ja. Ich animiere sie dazu sich bemerkbar zu machen. Auch um einen Kontrapunkt zu setzten zu den klassischen Zuhör-Konzerten. Eigentlich mache ich gleich zu Beginn die Ansage, dass die Leute auch "Juchuh" schreien können, wenn sie etwas gut finden. Das bringt mir was, wenn ich merke, da sind Menschen. Ich finde ein Maß an Ausgewogenheit durch Aufmerksamkeit und Anwesenheit durchaus wichtig. Die Leute sollen sich natürlich auch Getränke holen. Die sollen sich einfach locker machen.
Und dann gibt es natürlich auch Konzerte vor klassischem Abo-Publikum, wie zum Beispiel in der Elbphilharmonie.
Lambert: Das kommt auch vor und da muss man ein bisschen mehr Erziehungsarbeit leisten. In der Elbphilharmonie war es so, dass die mich überhaupt nicht kannten und das Haus war jeden Tag ausverkauft. Und dann kommt Lambert mit der Maske. Aber ich glaube, ich kann das mittlerweile ganz gut. Ich spiele dann erst einmal zwei Stücke, und dann sage ich was, und dann ist das schon in Ordnung und sie können entspannt das Konzert genießen.
Hast du damals eigentlich freiwillig mit dem Klavierspiel angefangen?
Lambert: Mir wurde das so erzählt, dass ich immer freiwillig ans Klavier gegangen bin und ich hatte auch Unterricht und das fand ich erst ganz gut, aber später hatte ich einen strengeren Lehrer und der konnte mich dann nicht mehr so gut motivieren. Und das habe ich dann eher als Qual erlebt. Noten lernen und dieses jede Woche kommt einer vorbei und erwartet, dass ich geübt habe. Meine Kinder haben auch Unterricht, aber von mir gibt es keinen Druck, dass jetzt jeden Tag geübt werden muss. Es soll in erster Linie Spaß machen und sie müssen sich freiwillig dransetzen. Ich finde schon wichtig, dass es ein Angebot gibt. Es kommt jede Woche jemand vorbei und unterrichtet meine Kinder. Es kommt dabei auch auf den Lehrer an. Sobald der Druck ausübt, funktioniert das nicht. Und er muss durchhalten und auch die Durststrecken aushalten, wenn Kinder mal keinen Bock haben. Das Üben muss von einem selbst kommen. Da ticken meine Kinder wie ich. Aber es scheint zu funktionieren. Auch durch die Beatles, weil man die ja auch spielen kann.
Neben dem Klavier spielst du auch noch Schlagzeug und was noch?
Lambert: Bass und Gitarre. Leider spiele ich kein Blasinstrument. Meine Tochter spielt auch Trompete, aber da hab ich leider gar keinen Zugang. Ich finde das so geil, dass dann der ganze Körper so vibriert. Mit Schlagzeug habe ich damals angefangen, um auch gemeinsam in Bands zu spielen. Ich habe mich dann aber für das Klavier entschieden, weil ich da einfach die meiste Expertise habe durch diesen ewig langen Unterricht. Außerdem wusste ich, das kann ich auch allein machen.
Jetzt auf Tour bist du aber mit Band unterwegs?
Lambert: Genau. Da sind wir zu dritt, aber es gibt auch immer wieder Konzerte, die ich allein spiele. Oft auch aus logistischen Gründen und weil ich einfach Bock habe, allein zu spielen.
Müssen deine Mitspieler auch eine Maske tragen?
Lambert: Mussten sie mal. Früher war das so. Aber dann gab es eine Revolution innerhalb der Band. Eine Meuterei.
Das stelle ich mir besonders im Sommer anstrengend vor. Ist so eine Maske nicht auch schwer?
Lambert: Die ist aus Leder und das ist nicht so schwer. Es ist nicht ganz gemütlich und in der Improvisation fühlst du dich als Schlagzeuger dann auch eingeschränkt.
Und welche Klaviermarken bevorzugst du?
Lambert: Also, auf dem Top-Niveau würde ich immer ein Steinway nehmen. Wenn es allerdings kein guter Steinway ist, dann würde ich lieber ein nicht so gutes Yamaha nehmen.
Es gibt schlechte Steinways?
Lambert: Wenn die nicht gepflegt sind und es gibt auch schlecht gepflegte Yamahas, aber die sind dann oft besser zu gebrauchen. Das sind immer die beiden Marken, die man in Europa vorgesetzt bekommt.
Eigentlich frage ich das immer am Anfang. Was war deine erste Liebe?
Lambert: Romantisch gesehen?
Generell. Kann alles sein.
Lambert: Das muss schon Jazzmusik gewesen sein. Also, wo ich so richtig Feuer hatte und wo sich so ein Geheimnis verbirgt und das möchte ich entdecken und dem will ich mich nähern. Obwohl, ich bin mir nicht sicher… Das muss schon Musik im weitesten Sinne sein. Aber ja, Jazzmusik. Ich habe nach wie vor ein romantisches Verhältnis dazu. Schach fand ich auch immer vom System her faszinierend. Da kann man sich auch ähnlich ausleben, wie in der Musik und seinen eigenen Stil entwickeln. Man kann es ausüben und immer wieder dazulernen, aber die Erfüllung war schon Jazzmusik. Dabei geht es ja auch um dieses geheime Wissen.
Und darüber erfährt man dann alles in eurem Podcast. Du hörst auch noch Indie- oder Popmusik. Vielleicht noch zum Ende die Frage, bist du auch ein Fan von Taylor Swift, so wie gefühlt die ganze Musikszene um einen herum?
Lambert: Nee und das verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht. Das geht mir mittlerweile richtig auf die Nerven. Dabei geht es noch nicht mal um die Musik, die ich nicht verstehe und irgendwie öde ist. Das ärgert mich schon allein, dass ich das nicht verstehe. Ich verstehe Popmusik. Ich mag Billie Eilish. Da finde ich nicht alles gut, aber sie hat tolle Songs. Aber ich verstehe Taylor Swift nicht. Was kann man da mitsingen? Ich check es einfach nicht, aber es muss ja da sein und es gibt offensichtlich ganz viele Leute, die das checken.
Die Swifties.
Lambert: Genau. Und dann ärgert mich die Berichterstattung über Taylor Swift. Jeden Tag in allen Medien gibt es einen Bericht darüber, wie wichtig und relevant sie für uns alle ist. Vom Deutschlandfunk bis zur Tagesschau. Das ist eine reine Promo-Maschinerie, die sie einfach so umsonst bekommt. Und irgendwie hat das eine Position eingenommen, dass du gar nichts mehr gegen sie sagen kannst. Natürlich muss auch abgebildet werden, was es für Interessen in der Popkultur gibt, aber bei Taylor Swift ist das einfach too much. Hier kann ich noch mal einen Podcast empfehlen: Your Favorite Band Sucks. Das sind zwei Amerikaner, sehr gehässig und zynisch, die alle Bands scheiße finden, aber ehrlich gesagt immer gute Argumente haben. Eigentlich ist es ein Ritterschlag, wenn du bei denen auftauchst. Ich wünschte, ich wäre auch mal dabei. Die erklären in der Folge: Taylor Swift Sucks sehr gut, warum Taylor Swift auch zu kritisieren ist. Und auch der Deal mit Ticketmaster und diese hohen Preise für die Konzerte. Das ist eigentlich für uns alle Musiker schlecht. Dann wird immer gesagt, sie würde sich bald zur Wahl äußern und sich gegen Trump stellen, das wäre so wichtig. Hätte sie schon längst mal machen können, aber sie hat noch nichts gesagt. Ihr wird immer das Gute zugesagt, aber da kommt nichts und das ärgert mich. Es gibt für jede Lebenssituation einen Taylor Swift-Song. Das ist so ein Satz, den ich öfter höre. Es gibt auch für jede Lebenssituation ein Alf-Zitat. Müssen wir jetzt in solchen Strukturen denken?
Das ist doch mal ein herrliches Schlusswort, worüber einige mal nachdenken können. Ich danke dir für dieses Gespräch und viel Erfolg für dein Album.
1 Kommentar mit 2 Antworten
Parasitismus zeichnet sich dadurch aus, dass der Wirt Schaden erleidet.
Tut er das nicht, ist es wohl eher eine Probiose. Profitiert der Wirt sogar davon, wie etwa hier angedeutet, dann ist es eine Symbiose, im Beispiel ein Putzsymbiose, die oft nicht nur Nahrungsreste entfernt, sondern eben genau diese oben angeführten Parasiten entfernt.
gibt es auch einen Begriff für Symbiose die zwingend ist vs. eine die nur ergänzend nützlich ist?
Das wäre wahrscheinlich am ehesten eine Eusymbiose.