laut.de-Kritik
Just wunderbar: there's nassing sehr.
Review von Manuel BergerIch muss zugeben, nach den ersten Schnipseln dieser Lindemann/Tägtgren-Kollaboration war ich mehr als skeptisch, ob das auf Albumlänge funktioniert. "Praise Abort" ist catchy, kommt mit schickem Video und schwarzem Humor, hat musikalisch aber nichts Besonderes zu bieten. Die Homepage-Snippets klangen größtenteils nach Rammstein und Tills Vocals doch mehr zum Abgewöhnen.
Nach dem kompletten Hören des Lindemann-Debüts zerstreuten sich diese Bedenken glücklicherweise. "Skills In Pills" klingt nicht nach Rammstein, auch wenn natürlich einige Parallelen existieren. Und Till Lindemanns akzentschweres Englisch lernt man schon lieben, wenn er im Opener Antidepressiva, Ecstasy und Viagra verordnet: "I keep fucking all night long".
Lindemanns Lyrik ist mal wieder über jeden Zweifel erhaben. Um "Fat" zu zitieren: "just wunderbar". Wortspiele gibt es en masse, die von Rammstein gewohnt überspitzten, provokanten, aber auch scharfen und ungemein wortgewandten Texte kommen auf "Skills In Pills" in absichtlich gebrochenem Englisch daher, das Lindemann ausdauernd durchzieht ("there's nassing sehr" – "Home Sweet Home").
In "Ladyboy" spielt er auf Lady Gaga an ("no bad romance") und plärrt kurz darauf "I burn for dicks and holes". Die Stecherhymne "Cowboy" wirft mit Westernbildern um sich und schlussendlich duellieren sich sogar Banjo und Pferdewiehersample vor der schrillen Synthiekulisse: " Cowboy, cowboy, he can ride / any horse and any bride / Cowboy, cowboy comes to town / to beat you up and shoot you down". "Golden Shower" bemüht den "human Eiffeltower". Und wo hängt Till in "Fish On" wohl seinen Wurm rein?
Liebe Gender-Beauftragte: Dreht es euch wie ihr wollt. Die humorlosen unter euch finden sicher Sexismus an jeder Ecke. Genausogut lässt sich zum Beispiel "Ladyboy" als Plädoyer für freie Liebe gegenüber alles und jeden deuten. Platz für Zeigefinger bietet "Skills In Pills" gewiss keinen, das sollte hoffentlich klar sein. Wobei: den Zeigefinger würde Till sicher auch noch irgendwo unterkriegen ...
Genug Text, schauen wir mal auf die musikalische Seite. Natürlich ist alles auf Tills im Zentrum stehende Stimmgewalt zugeschnitten. Peter Tägtgren liefert – wie eigentlich immer – Qualität. Nur klingt es eben auch irgendwie nach Fließbandware. Der Schwede weiß definitiv, wie man einen Song aufbaut, liefert aber leider auch nichts Neues.
Dafür stampft er mit allgegenwärtigem Synthesizer, Mad Max-Drums und brachialem Gitarrengesäge alles weg. Über weite Strecken ist "Skills In Pills" ein derber, düsterer Industrialbolzen, der trotzdem nicht vor Dancefloor-Attitüden zurückschreckt. Den Akteuren entsprechend ergibt sich tatsächlich die Schnittmenge aus Pain und Rammstein.
In all dem Geballer tun die Klavierklänge von "Yukon" doppelt gut. Schon zuvor deutete die Pseudoballade "Home Sweet Home" an, dass Lindemann durchaus einen Gang runter schalten können, wenn sie denn wollen. Die Ode an den kanadischen Fluss knüpft daran an und erhebt sich schließlich zu einem Refrain, der dank seiner hymnisch-zugänglichen Vocalmelodie auch locker im Radio laufen könnte. Zumal es plötzlich auch ganz ohne Geschlechtsteile geht.
Umso dreckiger wird es hernach mit "Praise Abort". Den Song dürfte mittlerweile eh schon jeder mitsingen können. Falls nicht, hier noch einmal die Anleitung: "I hate my life / And I hate you / I hate my wife / And her boyfriend too / I hate to hate and I hate that / I hate my life so very bad / I hate my kids / Never sought that I praise abort". Und nicht vergessen: "Aiaiaiaiaiiii!" Das Klassikerpotenzial dieses Tracks lässt sich nicht ignorieren.
Das war's dann auch mit dem offiziellen Teil. Trotzdem sollte man ruhig zwei Euronen mehr in die Special Edition investieren. Dort gibt es als Sahnehäubchen obendrauf "That's My Heart". Und dieser Titel ist doch um einiges besser geeignet, das Album zu beschließen als die schweinische Vorab-Single. Mit Frauenchor, Piano und Streichern schraubt Tägtgren das Symphonielevel in die Höhe und bereitet ein episches Finale. Kitschiger geht es im Grunde kaum. Und doch hat man nicht das Gefühl, Kitsch zu hören. Vielleicht gibts ja beim Echo 2016 das Herzensdoppel Rammstein – Lindemann. Hätte schon was.
Also: Pillen für alles haben Lindemann zwar nicht im Angebot, einige wirkungsvolle Muntermacher und Beruhigungsmittel sind aber absolut dabei. Allerdings lebt "Skills In Pills" vor allem von den Texten. Die musikalische Begleitung ist gut, aber eben Begleitung, die im Zweifel einfach durchrauscht. Zu selten erlaubt sich das Duo auch mal einen Ausreißer.
Doch was letztendlich zählt und was vermutlich auch das Primärziel Lindemanns und Tägtgrens war: "Skills In Pills" sorgt für eine gute Zeit. Just wunderbar.
17 Kommentare mit 22 Antworten
"Liebe Gender-Beauftragte: Dreht es euch wie ihr wollt. Die humorlosen unter euch finden sicher Sexismus an jeder Ecke."
Ich seh erstmal keinen Zusammenhang, weder zwischen Gender und Sexismus noch zwischen Sexismus und Humorlosigkeit. Aber wenn amazon nichts zahlt, ne...
Guckst du hier, siehst du Zusammenhang: http://www.noz.de/lokales/osnabrueck/artik…
Nur ein Beispiel von unzähligen.
Die Review liest sich eher wie ne 4/5 als ne 3/5
Das ist ja richtig behindert.
seh ich auch so, dachte erst 3/5 is in Ordnung, nach dem was ich selbst so gehört hab, aber jetz wo ich die Review lese, seh ich keine Rechtfertigung für 3 Sterne
Punkte da war doch was? Mal nachdenken....dat fällt aber schwer.....
Scheint auf der Seite in Mode zu kommen...
"Wobei: den Zeigefinger würde Till sicher auch noch irgendwo unterkriegen" Rammstein ist festgefahren. Daher finde ich diese Variation wirklich interessant. Werde mal reinhören.
also wie sowas je 3/5 Sterne bekommen konnte.
Einfach nur Fremdschämmusik. Jetzt wo das ganze mit dem Pädo Zeugs mit Lindemann ans Licht kommt merken Leute plötzlich dass die Musik doch nix so gut war. Aber früher voll am Abfeiern - Mega Autistisch!
Die Rezi ist gereift wie eine im Hochsommer im Rucksack vergessene Packung Bergkäse.
*im Hodenrucksack
uneträglicher Schrott