laut.de-Kritik
Streichelt die Seele ähnlich angenehm wie Norah Jones.
Review von Kai KoppUnter den sensiblen Produzenten-Fittichen von Craig Street gedeihten bereits äußerst erfolgreiche Alben von Cassandra Wilson ("Blue Light 'Til Dawn", 1993), Holly Cole ("Temptations", 1995), K.D. Lang ("Drag", 1997), Meshell Ndegeocello ("Bitter", 1999) und Norah Jones ("Come Away With Me", 2002) zu großer Pracht. Für "Dreaming Wide Awake" ist er ebenso gut in Form wie zu "Blue Light 'Til Dawn"- und "Come Away With Me"-Zeiten. Aus produktionstechnischer Perspektive steht einer erfolgreichen Platzierung von Lizz Wrights Zweitwerk also nichts im Wege.
Aus künstlerischer Sicht auch nicht! "Mein Dilemma war, dass ich in Gospel-, Chor- und auch ein bisschen in Opernmusik geschult und sehr an diese Gesangstechniken gewöhnt bin. Aber ich wollte mich von diesen Stilen unbedingt etwas weiter weg bewegen", gesteht Lizz Wright. Für "Dreaming Wide Awake" erweitert sie ihr bisheriges stilistisches Beet zu einem Garten aus Jazz, Gospel, Blues, Soul, Rhythm'n'Blues, Pop und viel Singer/Songwritertum. In perfekter Balance pflanzt sie darin Melodien, deren elegante Ausstrahlung die Seele ähnlich angenehm streicheln wie Norah Jones' Tonfolgen.
Die zündende Konzept-Idee kommt Wright bei einer Taxifahrt durch ihren letzten Wohnort Atlanta, während sie im Radio Sarah McLachlan hört. "Es war ein unglaublicher Augenblick", erinnert sie sich. "Mir wurde schlagartig bewusst, dass dies genau die Sorte Musik war, die ich wirklich machen wollte."
Mit dieser stilistischen Idee im Rücken packt Lizz Wright neben drei eigenen Stücken vor allem Interpretationen auf das Album. Der durch die Beatles (und Herb Alpert & The Tijuana Brass) bekannt gewordene Opener "A Taste Of Honey" atmet den sonnengegerbten Blues, den auch eine Cassandra Wilson in sich aufsaugt und zurückhaltend wieder preis gibt. Nicht minder laid back schleppt sich Joe Henrys "Stop" (mit dem seine Schwägerin Madonna unter dem Titel "Don't Tell Me" einen Nr.1-Hit landete) aus den Boxen.
Im weiteren Verlauf freuen sich unter anderem Neil Young ("Old Man"), Diana Krall/Elvis Costello ("Narrow Daylight"), die Youngbloods ("Get Together"), Ella Jenkins ("Wake Up, Little Sparrow"), Frank Sinatra/Doc Daugherty ("I'm Confessin'") über durchweg hochklassige Interpretationen. "Nicht lachen, aber der Grund, dass es diesmal nur drei selbst komponierte Stücke sind, ist, dass ich sie auf der Gitarre geschrieben habe. Und ich hatte gerade erst angefangen, Gitarre zu lernen", legitimiert sie sympathisch und entwaffnend ehrlich das Repertoire.
Die von Lizz Wright gezogene Bilanz: "Ich habe festgestellt, dass ich ein Faible für Schlichtheit habe und eine sehr sanfte Person bin. 'Dreaming Wide Awake' hat mir gezeigt, dass es vollkommen in Ordnung ist, dies auch musikalisch zum Ausdruck zu bringen."
Meine Bilanz: Die gehaltvollen Kompositionen, die erhabene Melodieführung, ihr sonorer Alt und die schwüle Gesamtstimmung erinnern sehr angenehm an knisternde Stunden mit Cassandra Wilson und ihrem "Blue Light Til Dawn"-Album. Seit dieser Zeit habe ich wenige (stilistisch) vergleichbar erwachsene Alben gehört. Auch wenn die Songs von Lizz Wright sich stark an Singer/Songwriter-Qualitäten orientieren, quillt der Blues aus jeder Note. Allen Liebhaberinnen und Liebhabern von reifer Adult Contemporary-Mucke sei "Dreaming Wide Awake" ans Herz gelegt. Den Weg hinein finden die 13 Songs von ganz alleine.
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