laut.de-Kritik
Die Abgründe der eigenen Natur als Synthpop-Monolith.
Review von David HutzelJana Hunter, die Frontfrau der Lower Dens, will sich nicht mehr hinter ihren langen Haaren verstecken. Wo ihr selbige früher absichtlich ins Gesicht hingen und sie abschirmten, ist heute kurzer Militärschnitt angesagt. Die Sängerin hat sich geöffnet, genau wie sich auch die Lower Dens neu entdecken mussten. Nach dem letzten Album hat Gitarrist Will Adams die Band verlassen. Als Konsequenz treten auf "Escape From Evil" die Synthesizer noch mehr als beim Vorgänger "Nootropics" in den Vordergrund.
Der Drittling der Lower Dens ist eine tanzbare Synthpop-Platte geworden. "Escape From Evil" bezieht sich auf Earnest Becker und dessen gleichnamiges Buch, das die Natur des Menschen als grundsätzlich böse und egoistisch einstuft. Hunter wählte diesen Titel bewusst für dieses persönliche Album - blickt sie doch selbst retrospektiv in die Abgründe ihrer eigenen Natur.
Im Zentrum stehen ihre überwundene Drogensucht und die damit verbundenen Emotionen. Dieser eher konzeptuellen Herangehensweise fügt sich der Sound der Platte. Er fühlt sich an, als wäre er als schlauchförmige Höhle in ein kaltes, hartes Synth-Massiv getrieben, das die Lower Dens auf "Escape From Evil" komplett durchschreiten.
Doch es fällt stellenweise schwer, der Band in dieses melancholische Gewölbe zu folgen. Es gibt keine Songs, die besonders abfallen würden – auf der anderen Seite aber auch keine, die unverblümt herausstechen. Die Midtempo-Drumpatterns und Hunters stets beruhigende, tiefe Stimme pressen die Stücke zum unscheinbaren Monolithen.
Ab und an fügt sich eine Gitarre im Gewand eines Glockenspiels in die düstere Synth-Ursuppe ein ("Ondine") und lässt die Amerikaner dann kurzerhand klingen wie ein nachdenklicher Ableger der Foals. An anderer Stelle schmiegt sich "Non Grata" mit seinem geheimnisvollen Harmoniewechsel im Refrain und subtilem Disco-Bass an das Debüt der Glass Animals.
Drogengeschichten hin oder her – über weite Strecken fühlt sich "Escape From Evil" eher wie ein klebriges Salbeibonbon an als wie ein amtlicher Rauschzustand: viel Zucker, wenig Salbei – und die Phase des schäumende Enthusiasmus bleibt aus. In manchen Momenten wagen es die Musiker aus Baltimore dann wenigstens, ihrem Synthpop-Trott den Rücken zu kehren.
"I Am The Earth" rückt deshalb in den Mittelpunkt der Platte. Das Stück beginnt so schleppend wie geheimnisvoll, mit seichten Mariengesängen im Hintergrund. Hunter setzt irgendwann ein und klingt bedeutungsvoll wie die Mutter selbst, wenn sich ihr Stimmung und Überraschungsmoment bedingungslos unterwerfen.
Die Lower Dens kehren auf "Escape From Evil" den sanften Gitarrensphären des ersten Albums endgültig den Rücken. Ihr fast ausschließlich synthetisches Gewand steht dem träumerischen Schwelgen der Band ganz gut. Wären da nicht diese Momente des ziellosen Waberns, in denen die Lower Dens sich selbst und ihre Hörer verlieren. Wer sich von ihrem theatralischen Highway-Pop dennoch wieder einsammeln lassen möchte, der braucht Geduld.
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