laut.de-Kritik

Großartige Songs mit unsensibler Produktion.

Review von

Ihren größten Zauber entfaltete Lucinda Williams auf dem 1998er-Album "Car Wheels On A Gravel Road". Einem Country-Album mit einer klassischen Instrumentierung, das Lyrics und Musik in einen stimmigen Einklang bringt. Sie hat zu sich gefunden, so schien es zumindest. Mit den folgenden Alben "Essence" und "World Without Tears" begibt sie sich zusehends auf poppigeres und teilweise rockiges und bluesiges Terrain, dabei immer einen schwermütiges und süßliches Pathos an den Tag legend, das die Grenze des Erträglichen oft überschreitet.

Nun hat sie mit "West" nach vier Jahren ihr achtes Album veröffentlicht, das - soviel sei vorweggenommen - leider nicht an "Car Wheels On A Gravel Road" anknüpft, das aber die beiden letzten introspektiven Veröffentlichungen übertrifft. Der Titel "West" reflektiert Veränderungen in Williams' Leben: Umzug nach Los Angeles, der Tod der Mutter oder das Ende einer Beziehung. Ihre Markenzeichen sind nach wie vor die zumeist dunklen Texte und ihre unverkennbare, rauchige Stimme. Der Lebensschmerz ist der gleiche geblieben, aber der Ton hat sich verändert.

"Are You Alright?" ist ein gelungener Einstieg. Einer monotonen, sich wiederholenden Strophe folgt ein zurückhaltender Refrain, eingebettet in sanftes Gitarren-Picking mit Keyboard-Untermalung. Trotz aller Melancholie findet sie einen musikalischen Ausdruck, der mitfühlend, aber nicht erdrückend schwermütig ist. Ähnlich strukturiert sind "Mama You Sweet", das die Beziehung zu ihrer verstorbenen Mutter reflektiert, oder "Everything Has Changed", das ihre Einsamkeit thematisiert. "He can't rescue you / Can't pull the demons from your head / Can't lull you from your sleepy bed / He can't rescue you" singt sie beeindruckend gleichgültig im großartigen "Rescue". Ebenso schön ist das sachte dahin dämmernde "What If", dessen Stimmung sich zwischen Hoffnungslosigkeit und Optimismus bewegt. Das ist die große Stärke der Lucinda Williams.

Unglücklicherweise wartet das Album auch mit Songs auf, die ich der Künstlerin nicht verzeihen will, auch wenn das eher mit den Ambitionen des Produzenten Hal Willner und dessen klinischen und sterilen Arrangements zu tun hat, die Gesang und Instrumentierung eigentümlich voneinander distanzieren. In "Come On" lassen sich E-Gitarren und Streicher zu einer billigen Hardrock-Inszenierung hinreißen. Scorpions oder was? Das ist grauenhaft und hat mit Williams' Schaffen wenig zu tun.

Ebenso deplaziert mutet die jazzige, von Bill Frisell gespielte Gitarre in "Where Is My Love" an. Einem an sich guten Song wird so seine Essenz genommen. Schade. Die einen sprechen von gelungener Kontrapunktierung, ich von Unangemessenheit. Unsäglich wird es schließlich in "Wrap My Head Around That". Zu einem dumpfen Schlagzeug-Beat, gezupfter Gitarre und diversen Soundeffekten gibt Lucinda die Rapperin, und das ganze neun Minuten! Innovation hin oder her, in diesem Kontext funktioniert das nicht. Der fantastische ironische Text ändert daran leider auch nichts: "And what I thought I heard You say / And what you really said / And what I thought you thought I thought / Was actually in your Head". In "Funeral" und "West", der letzten Nummer, verlässt sie sich ganz auf ihre Stimme und die Melodie, was ihr wesentlich besser steht und für einen versöhnlichen Ausklang sorgt.

Es ist unbestritten, dass Lucinda Williams tolle Songs schreibt und eine fantastische Stimme besitzt, was sie auf "West" wieder eindrücklich unter Beweis stellt. Zweifellos hat das Werk einige Höhepunkte zu bieten. Dennoch bleibt der schale Beigeschmack bestehen, dass die Intensität und Authentizität, die einige ihrer Veröffentlichungen auszeichnen, der überambitionierten Produktion und unsensiblen Arrangements weichen mussten. Alles in allem ist es dennoch ein gelungenes Werk, das wohl nur für diejenigen eine Enttäuschung darstellt, die sich an Zeiten erinnern, da man bei Lucinda Williams-Platten noch nicht die Skip-Taste bedient hat.

Trackliste

  1. 1. Are You Alright?
  2. 2. Mama You Sweet
  3. 3. Learning How To Live
  4. 4. Fancy Funeral
  5. 5. Unsuffer Me
  6. 6. Everything Has Changed
  7. 7. Come On
  8. 8. Where Is My Love?
  9. 9. Rescue
  10. 10. What If
  11. 11. Wrap My Head Around That
  12. 12. Words
  13. 13. West

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