laut.de-Kritik

Eine der besten Soul-Platten des Jahrzehnts.

Review von

In den letzten Jahren formulierte R'n'B meistens Selbstfindungsthemen, feministische Forderungen oder Kritik an der Innenpolitik der USA, gerne eingehüllt in (Dance-) Pop. Macy Gray macht das auf "Ruby" ganz anders und liefert ein rhythmisch vielfältiges, locker bouncendes Album ab, das das Zeug zum Meilenstein hat. Gleichzeitig setzt es zur oftmals rhythmischen Eintönigkeit mancher Daptone-Produktionen einen Kontrapunkt.

Eine Bluesrock-E-Gitarre eröffnet "Buddha", danach changiert Gray zwischen R'n'B ("Over You"), EDM/Synthie-Pop ("White Man"), klassischem New Orleans-Jazz ("Tell Me"), Dance-Pop ("Sugar Daddy", "Witness"), Doo-Wop und Dixieland/Varieté ("Jealousy") und funkigem Novelty Song-Style ("Shinanigins"). "Cold World" knüpft derweil an ihr 1999er Debüt "On How Life Is" an.

"Ruby" erinnert dabei an das Dramenschema von Aristoteles: Es beginnt mit dem Gleichmut eines Buddha (die "Exposition"), danach steigert sich das Tempo, bis Gray in "When It Ends" den dramatischen Höhepunkt erreicht. "Shinanigins" und "But He Loves Me" stellen die retardierenden Momente dar, in denen sich entscheidet, ob Tragik oder Komik die Oberhand gewinnt und ob die Heldin ihre Herausforderungen meistert. Danach wendet sich das Blatt und "Witness" klingt befreit und locker.

Macy Grays jung klingende Stimme trägt hier sämtliche Stimmungen. Die beiden mit Abstand stärksten Songs ("When It Ends", "But He Loves Me") sind soulige Piano-Balladen, wie sie in den 70er Jahren von Donny Hathaway, Roberta Flack und Carole King als Genre etabliert und später von Anita Baker und Oleta Adams fortgeführt wurden. Das charismatische, gospel-getränkte "When It Ends" zeichnet sich durch eine fette Bassdrum, wunderschöne Synthie-Loops und hochkarätige Lyrics aus. Diese Intensität triggert bei mir im Langzeitgedächtnis irgendwie den Song "The Carpet Crawlers" von Genesis.

Im Song klagt die Ich-Erzählerin von ihrem zum Alkohol neigenden Partner und wie ihre Freunde ihr von der Beziehung abraten. Es sei aber nicht immer "that simple black and white", sondern manchmal eben "blue". Ein Cello setzt Akzente, während die Heldin sich im inneren Monolog windet: "Sometimes at night I break down and cry in the night, but he loves me." Irgendwie mit der unglücklichen Liebe arrangiert, dreht sich das Blatt, und sie bleibt ihm treu (privat ist die dreifache Mutter Macy übrigens geschieden).

Anders als zuletzt erscheint "Ruby" auf einem kleinen Jazz-Fusion-Label, das Gretchen Carhartt Valade gründete, ein Familienmitglied des bekannten Klamottenkonzerns. Die Label-Acts umkreisen stilistisch Jazzrock, Liebes-Soul und improvisierte Jazzgitarrenmusik.

Im Song "Tell Me" hört man sogar eine Dosis Billie Holiday heraus. Doch abgesehen davon bezieht sich Macy Gray wenig auf die US-Jazz-Musikfarbe des Labels. Geld dürfte bei dieser Produktion keine Rolle gespielt und die Chemie zwischen den Entscheidern und der Sängerin gestimmt haben.

Über die Jahre positionierte sich Macy Gray weltpolitisch, coverte andere Künstler, buhlte als Feature-Gast um Aufmerksamkeit (zuletzt bei Ariana Grande), nahm an einer Poker-TV-Show für Promis teil, tauchte in Filmen und auf Soundtracks auf oder versuchte sich an einem 3D-Sound-Album. Kurzum: Sie verlor sich in der Entertainment-Industrie. Mich freut es, dass sie nun wieder als Songwriterin präsent ist und auf "Ruby" sehr fokussiert Songs mit Ewigkeitsanspruch vorlegt.

Trackliste

  1. 1. Buddha (featuring Gary Clark Jr.)
  2. 2. Cold World
  3. 3. Over You
  4. 4. White Man
  5. 5. Tell Me
  6. 6. Sugar Daddy
  7. 7. When It Ends
  8. 8. Just Like Jenny
  9. 9. Jealousy
  10. 10. Shinanigins
  11. 11. But He Loves Me
  12. 12. Witness

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