laut.de-Kritik

Innere Zerrissenheit mit schöner Stimme dargeboten.

Review von

Dass es immer darauf ankommt, in welcher Verfassung und mit welcher Attitüde man ein Album hört, ist ja nichts Neues. "Besser Kann Ich Es Nicht Erklären" bringt die Bandbreite möglicher Reaktionen allerdings auf ein ganz anderes Level. Auf einer Gefühlsskala von -20°C bis Pipi in den Augen ist alles möglich.

Madeline Juno rekapituliert auf dem Großteil des Albums eine vergangene Beziehung, die recht unverhofft nachts per Handy beendet wurde. Den damit verbundenen Schmerz, die Selbstzweifel, Trauer und Wut verpackt die 26-Jährige meist in poppige Up-Beat- und manchmal in seichte und reduzierte Piano-Balladen. Sie gibt außerdem ihrer Depression und Angst einen Raum, indem sie nüchtern, aber treffend und greifbar darüber spricht, was sie umtreibt - umrahmt von einer poppig-cleanen Produktion.

Mit dem hallig-atmosphärischen Opener "Neukölln" eröffnet Madeline die Geschichte der Trennung: "Wieso übers Telefon und warum genau nachts um drei?". Während in der ersten Strophe eine zurückhaltende Akustikgitarre die klare Stimme untermalt, kommen ab dem geladenen Chorus Prinz Pi-Vibes hoch, wenn Madeline singt "Wenn ich von Liebe sprach, hab ich immer dich gemeint".

Die Piano-Ballade "Jedes Mal" beschreibt viele Wunden, die die Trennung hinterlassen hat - aber auch, dass es okay sei, wie es ist, und dass sie lernt, damit klarzukommen. Mit der Erkenntnis "Da ist nur ein Problem, das nicht weggeht, mit allem andern' komm ich klar / Es ist die Angst, das passiert mir jetzt Jedes Mal", gefolgt von "Ich wünsch dir nur das eine, dass du glücklich bist" wirken die vielen Dinge, die vorher als 'okay' betitelt wurden, plötzlich irgendwie nicht mehr so 'okay' und die Authentizität geht ein wenig flöten. Bis Madeline später zu melancholischen E-Gitarren und treibendem Pop-Beat mit NDW-Synthies ("Lass Mich Los") erkennt: "Und das Ding ist, ich bin mir sicher / Dass ich dich auch in zehn Jahr'n irgendwie noch lieb". Innere Zerrissenheit at its best.

Juno wechselt in der Verarbeitung ihres Herzschmerzes zwischen Vermissen, Selbstvorwürfen und dem Blick nach vorn. Nicht nur lyrisch ("36 Grad aber eiskalt"), sondern auch produktions-technisch erinnert "Tu Was Du Willst" an 2raumwohnung. "Du hast gesagt deine Ex war n' Psycho ohne Grund / Heute weiß ich, es war andersrum" - Aufgeladen mit breitem Beat, Synthies und vor allem Backing-Vocals. Eine große Stärke ist Madelines auf eine außergewöhnlich-schöne Art nasal-klingende Stimme, die in den beat-reduzierten Passagen im Vordergrund steht, wie zum Beispiel der halb geflüstert-gesprochenen Bridge.

Die letzten vier Tracks markieren einen holzig-bassigen "Plot Twist". Madeline träumt von einer Zukunft mit jemand Neuem ("Es Hat Sich Gelohnt"), der sie liebt. Sie schöpft eine Menge Kraft aus der neuen Beziehung, bevor sie ihrem elf Jahre jüngeren Ich einen Abriss der aktuellen Situation gibt und versichert, dass alles besser wird ("Du Fändest Es Schön"). Verpackt in treibende Gute-Laune-Beats, die wohl ein motivierendes Blick-Nach-Vorn-Gefühl am Ende des Albums hinterlassen sollen. Sie plätschern aber eher vor sich hin, nachdem Madeline auf den vorherigen zwei Dritteln des Albums deepen Herzschmerz, psychische Erkrankungen und Probleme seziert hat.

An vielen Stellen hat man das Gefühl, dass Juno einer gewissen Klischee-Pop-Vorlage entsprechen will (oder soll?), etwa bei dem Giesinger-Feature "Nur Kurz Glücklich", die klischeehaften Einwürfe in "Über Dich" oder dem ähnlichen Aufbau in einem Großteil der Songs: reduzierte Bridge und dann noch mal alles geben. Alles in allem überrascht das Album aber an einigen Stellen - besonders dort, wo Madeline sich auf clevere Art vom Schnittmuster löst.

Trackliste

  1. 1. Neukölln
  2. 2. Obsolet
  3. 3. Jedes Mal
  4. 4. Tu Was Du Willst
  5. 5. Über Dich
  6. 6. Lass Mich Los
  7. 7. November
  8. 8. Normal Fühlen
  9. 9. 99 Probleme
  10. 10. Sommer, Sonne, Depression
  11. 11. Nur Kurz Glücklich (ft. Max Giesinger)
  12. 12. Es Hat Sich Gelohnt
  13. 13. Plot Twist
  14. 14. Vermisse Gar Nichts
  15. 15. Du Fändest Es Schön

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