12. April 2018
"Talking Heads gehen mir nicht aus dem Kopf"
Interview geführt von Maximilian FritzVor kurzer Zeit hat Makeness sein Debütalbum "Loud Patterns" veröffentlicht. Im Telefongespräch umreißt er seine musikalische Prägung, spricht über Vorbilder und seinen multidimensionalen Zugang zum Produktionsprozess.
Auf dem Liebhaber-Label Secretly Canadian beheimatet, produziert Kyle Molleson aka Makeness schon seit mehreren Jahren hochwertige Tracks für den Dancefloor und die Bühne gleichermaßen. Auf die Sekunde genau kommt das vereinbarte Telefonat zustande, Makeness weilt im Rahmen eines Promotags in Berlin und hat zur Mittagszeit noch einen straffen Zeitplan vor sich. Trotzdem wirkt der schottische Newcomer relaxt und legt einen spürbaren Enthusiasmus an den Tag, wenn er über seine Vision von Musik und Vorbilder spricht.
Hi Kyle, kannst du mir für den Anfang ein wenig über deine Herkunft und dein Aufwachsen erzählen? Du stammst ja aus Schottland ...
Klar. Ich bin in Edinburgh geboren und dann auf die Äußeren Hebriden (Inseln an der Westküste Schottlands) gezogen und ging da bis zum zwölften Lebensjahr in die Schule. Meine Großmutter kommt von da und wenn ich zurückschaue, war es eine tolle Erfahrung. Wir waren nur zehn Leute in meiner Schule, es war eine sehr kleine Insel.
Und wie stand es dort um deine musikalische Sozialisierung?
Na ja, auch durch die Band meines Vaters kam ich sehr stark mit typisch schottischer, keltischer Musik in Kontakt. Als ich mit etwa zwölf dann nach Südengland zog, hörte ich zunehmend Indie- und Gitarrenmusik, und das hat dann wohl den Weg für das Interesse an Dancemusic gepflastert.
Und der nächste wichtige Ort in diesem Prozess war dann Leeds?
Ja, absolut!
Wie würdest du die Szene und die musikalischen Einflüsse beschreiben, die dich dort umgaben?
Also ich ging da hin, um Elektrotechnik zu studieren, hatte aber einen Kurs, der im Fachbereich für Musik stattfand. Darin ging es um technischere Aspekte der Musik, was mich sehr interessiert hat. Dadurch habe ich auch viele Leute getroffen, aber der einflussreichste Faktor in Leeds war schlicht, wie viel dort musikalisch abging. So viele Menschen gingen auf Partys, es gab so viele großartige DJs. Meine Lieblings-Location dort war ein Club namens "Cosmic Slop", den ein Kerl namens Tom betreibt, der mit seiner Wohltätigkeitsorganisation benachteiligten Kindern und Jugendlichen Kunst und Musik lehrt. Die Partys dienen also einem guten Zweck, der Club hat ein handgemachtes Soundsystem, das extra für die räumlichen Verhältnisse angefertigt wurde und wohl das beste ist, das ich je gehört habe und die gespielte Musik ist sehr eklektisch. Du hörst da alles von Techno bis hin zu einer alten Disco-Nummer oder etwas von D'Angelo. (lacht) Natürlich alles nacheinander, es ist ein sehr eklektischer Mix, trotzdem passt alles perfekt zusammen.
Ist dieser Eklektizismus dann auch deine hauptsächliche Einflussquelle beim Produzieren? Denn beim Hören deines Albums und deiner EPs fiel mir als einzige echte Konstante eigentlich das Unkonstante auf.
(Lacht) Ja, das stimmt schon so, denke ich. Dessen bin ich mir allerdings bewusst, ich halte es mit Bedacht so. Das ist auch einfach ein Teil meines Sounds, ich variiere gerne, fordere mich gern selbst mit Sachen heraus, die ich normalerweise wohl nicht machen würde. Nur um dann herauszufinden, dass mir das eigentlich doch gefällt.
Wie produzierst du denn generell? Dein Sound wirkt ja sehr organisch. Welche Instrumente benutzt du?
Ich nehme schon sehr viel analoges Equipment her. Ich habe ein paar alte Drum Machines und Synths. Der Klang kommt wohl auch daher, dass ich immer in einer Band war und deswegen das Arbeiten mit Songs und den zugehörigen Strukturen gewohnt bin. Das habe ich im Kopf, wenn ich elektronische Musik mache. Ich mag aber auch das Mechanische der Dancemusic sehr gerne. Das mische ich mit den Sounds von Live-Instrumenten wie der Gitarre, die ich auch benutze, um synthetische Klänge zu erzeugen. Die Reverbs auf dem Album sind beispielsweise fast ausnahmslos analog, was ich bevorzuge. Natürlich könnte man das auch viel einfacher haben, der Weg mit altem und analogem Equipment, mit der ein oder anderen Biegung ist aber Teil meines Sounds.
Das führt uns dann auch zu deinen Vorbildern, wenn man so sagen will. Auf der Seite deines Labels Secretly Canadian las ich, dass Caribous „Swim" eine große Inspirationsquelle für dich war und ich denke, dass ich das Album in einigen Aspekten deiner Musik wiedererkannt habe. Was sagst du dazu?
Ich erinnere mich daran, dass ich das Album damals gehört habe und und es für mich einfach in so eine Nische zwischen Dancemusic und Bandkontext gepasst hat. Ich sah sie dann in Leeds im Brudenell Social Club im Zuge der "Swim"-Tour und dachte mir ‚Das ist großartig!‘. Das hat mich dann zu weiteren Einflüssen geführt und mir die Augen geöffnet, wie man einerseits Dancemusic machen kann, diese aber organisch und 'echt' hält. Das ist mir wichtig, denn ich spiele lieber live auf der Bühne, obwohl ich DJing auch mag.
Legst du dann überhaupt noch auf oder spielst du nur noch live?
Ne, ich mache schon noch beides!
Alles klar, ich habe nämlich über Support-Gigs für Avalon Emerson und Midland gelesen, die ja in einem klaren DJ-Kontext stehen. Hast du da dann live gespielt?
Ja, habe ich tatsächlich! Seit einem Jahr oder so spielt mein Freund Dan die Drums, wir sind also nur zu zweit auf der Bühne. Das macht aber großen Spaß.
"Das Schreiben von Popsongs war extrem für mich."
Also habt ihr eine Art kleines Band-Setup?
(Lacht) Ja, so in der Art. Ich versuche natürlich immer, die Menge an Zeug zu minimieren, die wir rumschleppen müssen. Der Plan ist aber schon, über kurz oder lang eine größere Band zusammenzustellen. Eines meiner absoluten Lieblings-Setups ist das der Talking Heads auf ihrer "Stop Making Sense"-Tour 1983, von der es nur ein paar Live-Mitschnitte gibt. Das geht mir irgendwie nicht aus dem Kopf und es wäre cool, sowas mal zu machen.
Dann versuche ich mal, von den Talking Heads auf die 4-To-The Floor-Rhythmen zu kommen, die deine Musik auch auszeichnen. Wie haben dich beispielsweise Omar-S und Theo Parrish inspiriert?
Na ja, als ich mich erstmals für Dance-Music interessierte, ging es zuerst vor allem um Detroit-House und -Techno und wenn Theo Parrish in Leeds war, ging ich da ziemlich oft hin und war begeistert. Da fließen verschiedene Aspekte mit ein. Da ist beispielsweise diese Spärlichkeit, ich mag einfach schon den Klang einer alten Drum Machine. Es ist schon ziemlich grundlegend, andererseits aber auch richtig heftig. Klar sind da keine vielfältigen Elemente drin, trotzdem funktioniert es irgendwie aber absolut (lacht). Und das war dann eben etwas, das ich auch in meine Musik bringen wollte, obwohl ich ja eher dazu tendiere, zu viele Sachen reinzupacken als etwas wegzunehmen (lacht).
Dann noch eine kurze Frage aus reinem Eigeninteresse. Als ich dein Spotify-Profil angeschaut habe, sah ich, dass ich „Day Old Death“LINK bereits in meinen Favoriten gespeichert hatte. Den Track habe ich in einer Playlist von George FitzGerald entdeckt. Gibt es zwischen euch eine Connection?
(Lacht) Ich weiß nicht. Na ja, eigentlich schon, er hat mich gestern gefragt, ob ich mit ihm auf Tour gehen will. Er muss es aber von alleine gefunden haben oder über Freunde. Wir spielen jedenfalls in London, Glasgow, Leeds und Manchester.
Wie würdest du selbst eigentlich deinen Sound beschreiben, wenn du ein Genre nennen müsstest?
Ich war ja mal in einer Band, da bezeichnete es ein Kumpel als 'Old Post Groove Punk', was bescheuert ist (lacht). Aber ich finde es tatsächlich schwierig, Leuten zu erklären, wie meine Musik klingt. Doch irgendwie hat der Typ schon recht. Ich selbst würde in gewisser Weise gerne der Electronic Body Music (EBM) zugeordnet werden, etwas Krautrock, der gemischt ist mit ... ach, ich weiß es nicht! (lacht) Eigentlich spult man das ja nur für Journalisten ab.
Aus meiner Sicht wechselt es zwischen zwei Polen: Es gibt diese poppigeren Sachen wie "Stepping Out Sync", dann aber auch eine weitaus experimentellere Herangehensweise.
Ja, auf jeden Fall! Auf eine Art und Weise war das Schreiben der Pop-Sachen für mich aber extremer als das eher Experimentelle. Ich habe mich da wirklich herausgefordert, weil ich mich eigentlich wohler fühle, wenn ich ausgedehnte Techno-Tracks mit Gitarre und Krautrock-Zeug mache. (lacht) Etwas aber zu komprimieren und traditionelleren Pop zu machen, war etwas, das ich als sehr fordernd empfand. Deswegen dachte ich mir, ich versuch's mal und sehe, was rauskommt.
Würdest du deinen wohl bekanntesten Track "Carved" dann eher als Techno-Guitar-Post-Krautrock beschreiben?
Ja! (lacht) Während der Phase habe ich viel analogen Hardware-Techno gehört und deswegen auch viel solche Musik gemacht. Das ist auf jeden Fall auch eine große Seite meines Projekts. In diese Richtung wird wahrscheinlich noch der eine oder andere Track gehen.
Wenn ich richtig informiert bin, bist du auch Teil einer Band namens Glad Hand. Welchen musikalischen Zugang hast du da?
Na ja, das ist eine Band, die während meiner Universitätszeit entstanden ist. Wir machen eher Leftfield-Indie, der in die Richtung Portishead, Radiohead oder sogar Grizzly Bear geht. Trip Hop, Post Punk, sowas in der Art. Ich nehme aus dem Projekt auch viel mit, weil die andere Freunde in der Band sehr talentiert sind und wir auch in dem Kontext viel experimentieren.
Wir kommen ja immer wieder auf deinen experimentellen Ansatz zu sprechen. Was willst du eigentlich mit deiner Musik erreichen? Vor allem im Techno gibt es ja immer wieder dieses Spannungen zwischen Underground und Mainstream.
Ich sehe mich irgendwo an der Grenze zwischen Band- und elektronischer Tanzmusik. Das Makeness-Projekt passt für mich in den letzten Slot auf einem Festival, bevor der DJ beginnt. Andererseits würde ich aber auch gerne DJ-Sets um fünf Uhr morgens spielen (lacht). Das beschreibt meinen Crossover-Ansatz ganz gut, denke ich.
"Ich will eher noch weiter in den Underground!"
Wie wichtig ist dir denn der Underground-Aspekt? Versuchst du, da mit der Zeit rauszukommen?
Nein, nein! Ich denke, ich will eher noch weiter rein! Das ist mir extrem wichtig. Ich denke, je mehr Musik ich mache und höre, desto mehr finde ich heraus. Du löst beispielsweise zwei Dinge voneinander los und plötzlich entdeckst du eine komplett neue Szene. Ich denke, es gibt so viel tolles, unentdecktes Zeug. Ich will da mit meiner Musik auch reinpassen und deswegen ist mir das sehr wichtig.
Dann lass uns mal auf dein Album "Loud Patterns" eingehen. Neben dem bereits angesprochenen, poppigen "Stepping Out Of Sync" findet sich darauf mit "Rough Moss" auch eine Art Rave-Track wieder. "The Bass Rock" ist wiederum eher experimentell. Inwiefern spiegelt das Album deinen musikalischen Zugang und deine Einflüsse wieder?
Während du manche Sachen machst, siehst du oft nicht das große Ganze. Jetzt hatte ich aber ja etwas Zeit, um darauf zurückzuschauen. Da ist einfach viel drin, was ich an Musik liebe und ich habe versucht, verschiedene Songs drauf zu nehmen, die zum Beispiel mein Faible für gutes Songwriting einfangen. Das wären eben "Stepping Out Of Sync" oder "Who Am I To Follow Love". Auf der anderen Seite geht es aber auch ums Feiern und um stark verzerrte, kantige Sounds. Diese beiden Sachen draufzuhaben, gibt ziemlich gut wieder, was mich ausmacht. Es sind diese beiden Extreme, um die es geht. Für mich ist es auch ein Album der Extreme, von einem zum anderen, das aber hoffentlich trotzdem einen roten Faden behält.
Wie kamst du denn dazu, auf deinen Tracks zu singen? Ich habe gelesen, dass du das anfangs nicht machen wolltest. Wie hat sich das entwickelt?
Ich hatte davor noch nie wirklich gesungen oder Songs geschrieben. Ich habe immer nur Melodien entworfen und jemand anderen dafür angeworben oder die Parts durch Instrumentals ersetzt. Irgendwann musste ich dann aber einfach mal selbst singen, bin damit auch ein bisschen ins Fettnäpfchen getreten, aber ich musste es lernen.
Hast du dir für deinen Gesang auch Caribou als Vorbild genommen? Die kühlen Vocals erinnern ja schon an Dan Snaith.
Ja, weißt du, da ich das ja noch nie davor gemacht hatte, war ich anfangs mit meinem Stimmeinsatz schon etwas schüchtern. Ein Vorbild und einer meiner großen Helden ist aber auch Arthur Russell. An dem habe ich mich auch orientiert und ich dachte mir eben, ich könnte das auch mal probieren. Mit der Zeit werde ich dahingehend auch selbstbewusster und finde immer mehr zu meiner Stimme, sodass ich das Singen mittlerweile genieße.
Modifizierst du dann viele Sachen an den Aufnahmen oder ist das auf dem Album deine tatsächliche Singstimme?
Ein klein wenig ist da schon mit dem Computer gemacht, aber nicht so viel. Ich mag es, wenn Vocals nicht zu prozessiert daherkommen, es wirkt in angenehmer Weise einfach menschlicher. Am Anfang habe ich schon noch viel Reverb, Chorus und Distortion eingesetzt, was manchmal cool ist. Aber mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es viel besser klingt, wenn es 'nackter', echter ist. Auch wenn man sich manchmal fragt, ob das schon so passt.
Wie kam denn eigentlich die Verbindung mit deinem Label Secretly Canadian zustande? Bei einem Blick auf die anderen Künstler, die dort unter Vertrag stehen, scheinen ein starker Independent-Charakter und der omnipräsente Eklektizismus durch. Eine deiner Label-Kolleginnen ist beispielsweise Yoko Ono ...
(lacht) Ja, das ist ziemlich abgefahren!
... und auch sonst sind da alle Arten von Künstlern vertreten, die man sich vorstellen kann.
Absolut. Na ja, die kamen zu einer meiner früheren Shows und hielten seitdem Kontakt. Es fing damit an, dass ich ihnen Demos schickte und sie daraufhin sagten'Lass uns ein Album machen!' und ich dachte mir nur 'Wow'. Ich finde zwar, dass mein Sound etwas elektronischer ist als der anderer Künstler auf dem Label, meine aber trotzdem, dass es gut passt. Schließlich habe ich ja auch den ein oder anderen Song und komme auch aus so einer Leftfield-Indie-Sparte. Sie haben mir auch alle Freiheiten gelassen und ich konnte das Album ungestört aufnehmen und präsentieren und sie sagten einfach nur 'Ok, großartig!'. (lacht) Ich dachte ja immer, dass ein Label bei einem Album Mitspracherecht im kreativen Prozess haben und selber was durchdrücken will, aber sie haben mich einfach machen lassen, was ziemlich gut ist.
Abschließend würde mich noch interessieren, ob du in deinem Sound eine Verbindung zur traditionellen schottischen Folkmusik siehst? Du kommst ja aus einer musikalischen Familie, dein Großvater spielt ja zum Beispiel Dudelsack.
Ja, ich bin davon definitiv stark beeinflusst. Die Art, wie ich Musik schreibe kommt definitiv daher. Auch dass ich die Vocals einfach singe, ohne wirklich zu wissen, wie es geht. Diesen keltischen Einschlag will ich mir auf jeden Fall behalten, ohne aber irgendwie mit Folktronica oder dergleichen in Verbindung gebracht zu werden, da bin ich kein Fan von (lacht). Die traditionelle Musik will ich aber weiterhin entdecken und auf verschiedene Arten auch weiterhin in meiner Musik verarbeiten.
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Ralf Kabelka sein Sohn