laut.de-Kritik
Hommage an die Romantikerin mit einem Herz aus Eis.
Review von Michael SchuhAm 6. Mai ist Marlene Dietrichs 15. Todestag. Solch ein historisches Datum geht natürlich nicht an den wachen Augen des Tapete Records-Chefs Gunther Buskies vorbei, der sich nebenberuflich seit langem außerordentlich für verdiente deutsche Künstler des vergangenen Jahrhunderts einsetzt. Über sein Liebhaber-Label Bureau B. veröffentlichte er bereits seltene Glanzauftritte von Caterina Valente, Helmut Zacharias, Gitte Haenning und als bisheriges Galastück die 5-CD-Box von Hildegard Knef zu deren Ehrentag im Dezember 2005.
Mit Marlene Dietrich hat sich Buskies nun die größte Film-Diva ausgesucht, die Anfang der 60er Jahre als "schönste Großmutter der Welt" und Interpretin zahlreicher Chansons äußerst erfolgreich eine zweite Karriere einschlug. Daher ist die Entscheidung nur folgerichtig, sich auf Songs zu konzentrieren, die die Dietrich mit ihrem geliebten Orchesterchef Burt Bacharach aufgenommen hat, der diesen Höhenflug maßgeblich inszenierte und der die unsichere Perfektionistin als Spiritus Rector zu einem neuen Karrierehoch peitschte.
Etwas schade darf man es trotzdem finden, dass zum Jubiläum nicht eines der ebenfalls nicht auf CD vorliegenden, legendären Live-Konzerte jener Zeit neu aufgelegt wurde, etwa "Dietrich In Rio", die die frischgebackene Diseuse in voller Blüte zeigen und obendrein die gewisse Mystik einer Live-Aufnahme aus längst vergangenen Zeiten mitgeliefert hätten. Es kann aber auch sein, dass Buskies für solch ein edles Ansinnen noch drei weitere Jahre um die Veröffentlichungsrechte hätte buhlen müssen und zum Glück finden sich auch auf vorliegendem Album hauptsächlich live vorgetragene Stücke.
Gleich der Spät-20er Jahre-Jazzklassiker "Makin' Whoopee" kommt als pralles Orchesterstück daher und legt das über die Jahre immer selbstsicherer gewordene Organ der Dietrich frei. Hier muss man natürlich in einem Atemzug die Dienste Bacharachs lobend erwähnen, der noch 2005 ein Studioalbum unter Mitwirkung von u.a. Dr. Dre und Rufus Wainwright veröffentlichte. Mit ihm fand die knapp 60-Jährige Dietrich damals einen Dirigenten und musikalischen Leiter, der nicht einfach biedere Arrangement-Konventionen wiederkäute, sondern der stets voller Tatendrang an Umsetzungen feilte, deren Resultate den großen Melodien eines Bert Kaempfert in nichts nachstanden.
Vom Soldatenlied-Klassiker "Lili Marleen" mal abgesehen, finden sich allerdings kaum deutsche Lieder auf der Platte, die Marlene etwa bei ihrer skandalumrankten Deutschland-Tournee 1960 vortrug (z.B. "Ich Bin Von Kopf Bis Fuß Auf Liebe Eingestellt", "Ich Hab Noch Einen Koffer In Berlin", "Ich Bin Die Fesche Lola"). Fünfzehn Jahre nach Kriegsende wäre die Intonation amerikanischer Jazz- und Swing-Standards aus ihrem Munde wohl des Guten zu viel für die empfindsame deutsche Volksseele gewesen. Letztlich brachte Marlene den Pöbel trotzdem zur Weißglut, allerdings vor den Auftrittssälen und dies alleine durch ihre Präsenz als leuchtendes Beispiel einer deutschen Widerstandskämpferin im Dritten Reich.
Mit beinahe fünfzigjährigem Abstand zu den Aufnahmen und einem nostalgischen Zeitgeist geschuldet, lässt sich heute vielleicht mehr denn je die Klasse der Chanteuse Dietrich beurteilen. Ihre unnachahmliche vokale Kühle, die Liebeslieder wie "Kisses Sweeter Than Wine" oder "I Can't Give You Anything But Love" so besonders machen, ihre lebenslange Sehnsucht nach französischem Laissez-Faire und romantischer Melancholie, die sie ihren Interpretationen von Charles Trenet-Songs ("I Wish You Love") oder der Henri Salvador-Nummer einhauchte ("Cherche La Rose"), bleiben unerreicht. Nicht einmal in den traurigsten Songs kommt ihrem Vortrag die preußische Strenge und Disziplin abhanden, die zu ihrem Markenzeichen wurde.
Vor allen anderen belegt dies wohl "Das Lied Ist Aus (Frag Nicht, Warum Ich Gehe)", eine alte Robert Stolz-Komposition, die die Dietrich einmal mehr als große Romantikerin mit einem Herz aus Eis vorstellt. Ihren Platz in der Kulturgeschichte mag sie sich mit ihrer frühen Schauspielkunst erworben haben. Dass auch ihre spätere Gesangskarriere einige Highlights auf den Weg brachte, belegt diese Veröffentlichung.
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