laut.de-Kritik
Jeder weiß doch, dass das Gangstertum Fassade ist.
Review von Dani Fromm"Ich hab' Gangsterrap entwickelt. Ihr habt was? Ihr habt nix!" Klare Ansagen, die Massiv da rauslässt. Entwickelt hat sich dennoch - vorsichtig ausgedrückt - wenig. Noch immer beschwört Massiv wahlweise mit zur Faust geballter Stimme die Härte und Gefährlichkeit einer imaginären Straße, oder er ergeht sich in fast schon weinerlichen Tiraden über das Verlassen- ("Wenn Man Es Verliert", "Dich Blendet Geld, Mich Blendet Nichts") oder Ausgegrenzt-Werden ("Nicht Nur Deutsche Adler Können Fliegen").
Überflüssig zu sagen, dass ersteres ungleich mehr Spaßpotenzial birgt. Wenn Massiv einem mit ratterndem Maschinengewehr-Flow, rollendem Rrrr und überschnappender Stimme (gerne auch völlig unzusammenhängende) Wortbrocken vor die Füße kotzt, gehen zwar Sinn und Syntax über Bord. Es stimmt aber wenigstens das Gesamtbild.
"Dank mir pumpt die Straße aus dem iPad." In welchem Paralleluniversum der "Brennpunkt Innenstadt" liegen soll, dieses "Berlin in der Nacht", in dem man mal eben ein ganzes Magazin in den Schacht schiebt und Blei in den Horizont ballert, soll ruhig das Geheimnis des Pfälzer Schranks aus dem Wedding bleiben. Jeder weiß doch, dass das zur Schau getragene Gangstertum Fassade ist.
Ist ja auch nicht schlimm, so lange es funktioniert - jedenfalls deutlich weniger zwiespältig, als der Blick dahinter. Wenn Massiv versucht, statt dem "maskulinen Schwermetallbrecher" Gefühle raushängen zu lassen, wirkt er zwar um Welten authentischer, zugleich aber auch weit weniger mitreißend.
"Wer macht Hip Hop für die Kids? Ich." Trotz dieser Überzeugung wirken seine Predigten an die wohl größtenteils jugendliche Hörerschaft seltsam richtungslos. Zwar beteuert Massiv in "Schließ Deine Augen Und Vergiss", seinen Traum zu leben. Rechte Lebensfreude sprüht aus der melancholischen Nummer aber nicht.
"Bist du Gangster oder Banker?", fragt "Die Nacht Wird Zum Tag". So richtig erstrebenswert wirkt keiner der beiden Lebensentwürfe. Alternativen gibts offenbar nicht, jedenfalls keine, die Massiv ins Auge fallen würden. "Wir Drehen Uns Im Kreis".
Massiv inszeniert sich einerseits als Rolemodel, beschwert sich schier im gleichen Atemzug andererseits über zu viele Nachwuchs-Möchtegern-Stars, die keine Ahnung vom Rapgeschäft haben. Ein scharfes Bild dessen zeichnet er dann aber auch wieder nicht, beschränkt sich - einmal mehr - auf einen ungebrochen beleidigt klingenden Seitenhieb in Richtung Sony BMG.
Das alles schmerzt aber nicht halb so sehr wie der gründlich misslungene Versuch eines Liebeslieds: "Mit Dir Durch Die Ewigkeit" - schon der einfallslose Titel zöge einem die Socken aus, käme es nicht noch wesentlich dicker: "Nimms mir nicht übel, Engel, wenn ich dir die Flügel schneid'", säuselt Massiv in der Hookline - und meint es vermutlich noch nett - "damit du nicht mehr hoch in den Himmel fliegst."
Na, vielen Dank! Für jede Frau, die noch halbwegs bei Trost ist, wäre das allein einer der hundert Trennungsgründe, von denen Massiv in "Dich Blendet Geld, Mich Blendet Nichts" kein einziger einleuchten will. Ein bisschen enttäuschend hier, dass einem so hartgesottenen Straßenrapper außer der inflationär benutzten "Schlampe" offenbar keine Beleidigung in den Sinn kommen mag ...
Die Beats, größtenteils wieder einmal von Abaz verantwortet, bergen kaum Überraschungen. Es geht düster, wuchtig und martialisch zu. Klavier und Streicher sorgen bei Bedarf für die nachdenkliche Note, sonst wird kräftig durchgeladen, es rattern die Maschinengewehrsalven und jaulen die Sirenen. Ein wahres Abaz'sches Beat-Brett dieser Prägung trägt "Black Gun Beretta".
Das musikalische Fundament des ansonsten unhörbaren "Mit Dir Durch Die Ewigkeit" ist ebenfalls nicht zu verachten. Man hat zwar noch nie einen bekloppteren Produzentennamen als Beatzeps gehört. Wer immer sich dahinter verbirgt, versteht aber das Spiel mit Kontrasten: Volle Bässe, eine nervenzerfetzende Melodie und feine Saitenspielereien sorgen in Kombination für einen der wenigen Momente, in denen "Eine Kugel Reicht Nicht" von inzwischen sattsam bekannten Stereotypen-Klängen abweicht.
Vielleicht hätte der eine oder andere Gastpart mehr das doch etwas eintönige Bild ein wenig aufgehübscht. Möglicherweise hätte das Massiv sogar davon abgehalten, in gefühlt jedem zweiten Track aufs Neue breit zu treten, dass er ... Trommelwirbel! .... dereinst angeschossen worden ist. Das wissen wir langsam nämlich wirklich ganz genau.
30 Kommentare
It's the streets of Pirmasens, motherfuckers! Life is hard when you want them brand sneakers, and the only thing you get are those noname boots from the Pirmasenser shoe factory your father is working at...
Black Gun Beretta ist schon ein Brett. Feier ich.
Der Rest vom Album ist eher langweilig, da hat mir BGB2 bei weitem besser gefallen.
"Ich zerschmetta"
Einige Höhepunkte hat dat Ding schon zu bieten. Mich verlässt das Gefühl nicht, das seit Bushido's Erstling es kein Street/Ganstarap Album mehr schafft auf ganzer Länge zu überzeugen. Ich erkenne oft das Schema: zum einen die Bretter, zum anderen die Deepen, das wars. Im Prinzip würde eine Maxi/Single mit jeweils einem zwei Anspielstationen reichen um den Inhalt auf den Punkt zu bringen.
Trotzdem Massiv's bestes bis Jetzt.
Titeltrack und "Nicht Nur Deutsche Adler Können Fliegen" sind richtig gut.
@Dave G. (« trotzdem kann man doch mit musikalischem Sachverstand genreübergreifend die Wertungen zweier Alben in Beziehung setzen. »):
genau hier liegt der fehler im system deiner argumentation.
1, ist deine prämisse quasi musikalischer rassismus, weil anscheinend personenabhängig ("ich kenne nur zwei lieder und das besperochene werk nicht, aber bilde mir dennoch ein vorurteil")
2. vergisst du, dass wir viele verschiedene autoren sind. die durchaus eigene meinungen haben.
3. gibt es bzgl der maßstäbe doch auch immer die möglichkteit, den fixpunkt beim künstler selbst anzusetzen. da bekäme eine legende für ein verhältnismäßig durchschnittliches routinealbum drei points
und
ein massiv, der sich für seine verhältnisse echt entwickelt hat,
eben die gleiche menge.
....wer jetzt noch in der lage ist, punkte nicht abstrakt, sondern mit dem text in verbindung zu setzen, hat dann gewonnen.
endlich macht der mal spass.
phrasierung, rhythmusgefühl und tonalität sind ja immer noch schwere hürden f d musikalischen grobmotoriker.
aber geile pulp fiction ohne übertriebenes asi-geleier
und
mit richtig menschlichem gesicht und
in seiner systemkritik einfach nicht unrealistisch.
hätte ich ihm nie zugetraut. hut ab.
die melodien plus die geil jazzig bis gothisch industriell schimmernden arrangements halte ich für höchst gelungen. endlich ist er ein künstler geworden, der sich wenigstens der richtigen producer bedient, die ihn weiterbringen.
macht spass, lulu und massiv im wechsel....
"jazzig bis gothisch industriell schimmernden arrangements" :D:D und das über Massiv. die nächste Review kommt von Ulf!