8. November 2023

"Einfach ein bisschen weniger Hater sein!"

Interview geführt von

Irgendwie scheint Mia Morgan keine Pausen zu brauchen. Der Festivalsommer ist vorbei, die Tour zum Album "Fleisch" hat sie letztes Jahr schon absolviert, aktuell ist sie auf "Wiedergänger"-Tour (Termine siehe unten).

Im Gepäck hat die Musikerin aus Kassel neben schon releastem Material zwei neue Singles und auch den ein oder anderen neuen Song. Jetzt, da mit Twitter aka X nach Tumblr schon wieder ein soziales Netzwerk untergeht, kann es eigentlich nur helfen, sich mal mit Mia Morgan zu unterhalten. Immerhin war sie mal "Mia aus dem Internet", damals, bevor sie eine der spannendsten deutschsprachigen Sänger*innen wurde. Wir erreichen sie kurz vor Tourstart quasi direkt aus dem Proberaum, wo sie an den letzten Details für die Liveperformances auf der "Wiedergänger"-Tour probt.

Hi Mia, wie geht's dir?

Ach, ganz ok. Ich bin natürlich passend zu Tourbeginn ein bisschen erkältet, aber besser als während der Tour. Ich ruhe mich jetzt einfach während der Proben aus, bis ich dann singen muss. Ansonsten bin ich aufgeregt, aber vor allem freue ich mich.

Ist das eine Nervositätserkältung?

Ich hatte jetzt zum ersten Mal seit langem zwei Tage frei und da hat sich der Körper direkt gedacht, dass er runterfahren kann. Das Immunsystem hat natürlich mitgemacht. Dumm nur, dass mein Körper nicht wissen konnte, dass er in zwei Tagen schon wieder auf Tour muss.

Wie fühlst du dich im allgemeinen mit der Tour?

Ich bin schon nervös. Bei der Tour geht es im Gegensatz zu den Sommerfestivals in erster Linie um mich. Natürlich waren da auch Leute dabei, die wegen mir gekommen sind, aber bei der Tour weiß man, dass die ihr Geld ausgegeben haben, um dich zu sehen. Denen möchte man dann eine gute Zeit bieten, die bestmögliche Show. Dabei schwingt immer ne gewisse Nervosität mit, ob sie sich was anderes vorgestellt haben. Aber im Allgemeinen ist es eine sehr positive Aufregung.

Du warst ja vor dem Sommer im letzten Jahr schon auf Tour. Hast du das Gefühl, dass sich nach der erzwungenen Corona-Pause die Atmosphäre bei Konzerten verändert hat?

Bei mir selbst nicht. Es ist sogar schöner geworden. Bei vielen Leuten ist auch eine gewisse Dankbarkeit vorhanden, dass es wieder Konzerte gibt. Ich bekomme aber schon mit, dass eine Generation existiert, der eine gewisse Konzertsozialisierung fehlt. Gerade bei Großkonzerten ist die Etikette verloren gegangen, weil man nie die Chance hatte, die zu erlernen. Das hat man bei Taylor Swift und vor allem bei Death Grips gemerkt, wo die Band keine Lust mehr hatte zu spielen, weil sich das Publikum so danebenbenommen hat. Das erwarte ich bei meinen Shows jetzt aber nicht, die sind alle lieb und richtige Mäuse.

Auf Instagram hast du deinen Fans die Möglichkeit gegeben, dir zu schreiben und "Konzertbuddys" zu finden, also über das Internet Gemeinschaften zu bilden. Gleichzeitig scheint das im Internet immer weniger zu werden. Kann man wirklich noch über das Internet Gemeinschaften finden?

Schon. Ich versuche auch zu meinem eigenen Wohl, das Internet auf die Art und Weise zu nutzen, wie ich es früher genutzt habe. Also für Eskapismus, Spaß, um Freundschaften zu knüpfen, sich auf eine positive Weise selbst auszudrücken, ganz unabhängig von Likes. Ich kann da nur aus meiner eigenen Erfahrungen sprechen, aber ich finde das total schön, dass es eine Erweiterung des echten Lebens ist, und das nicht ersetzt. Ich halte ja auch Kontakt mit einigen Leuten, die immer wieder auf meine Konzerte kommen. Momentan bekomme ich das gut hin, das so zu handhaben. Hoffentlich sehen das die Leute, die sich da treffen, genau so.

Zurück zur Tour: Du hast mit "Wiedergänger" und "Mitten In Den Massen" dieses Jahr zwei neue Songs herausgebracht. Wie sieht deine Setlist aus?

Es ist auf jeden Fall nicht dieselbe Setlist wie bei der "Fleisch"-Tour. Wir spielen die neuen Sachen und Songs vom Album, die wir noch nicht gespielt haben. Dann gibt es noch zwei andere, unreleaste Songs, ein neues Cover und die Songs, während wir die Songs, die wir schon länger live spielen, ein bisschen abgeändert haben. Wir versuchen einfach, etwas Abwechslung reinzubringen.

"Die 'Fleisch'-Platte war wie ein Flickenteppich"

Wie unterscheidet sich für dich ein Festival-Set zu einer eigenen Show?

Bei einem Festival versucht man, Old-School-Leute von sich zu überzeugen, die einen noch gar nicht oder nur ein bisschen kennen. Da zeigen wir immer so ein "Best Of" mit Singles und Up-Tempo-Nummern, die den Leuten hoffentlich im Gedächtnis bleiben. Bei einer eigenen Show hat man mehr die Möglichkeit, sich künstlerisch auszutoben. Man kann experimentieren, ein Cover ausprobieren, das man gerne mag, mehr auf Übergänge setzen und auch mit dem Publikum interagieren. Wenn man beim Festival seine 45 Minuten überschreitet, muss man von der Bühne. Ich rede auch total gerne mit meinem Publikum und das ist bei einer eigenen Show besser möglich.

Die Atmosphäre ist also auch intimer?

Definitiv.

Du hast jetzt auch schon ein paar Shows mit deiner Band absolviert. Wie hat sich da das Zusammenspiel verändert?

Das hat sich richtig eingegroovt. Wir hatten auch nochmal Besetzungswechsel und -reduktion, um zu gucken, was sich am besten anfühlt. Die erste Tour war noch "Fun and Games", wie eine Klassenfahrt mit Freund*innen. Man konnte kaum glauben, dass da Leute stehen und zuhören. Das war wie ein Wachtraum. Jetzt sind wir aber so sehr drinnen, dass es sich wie der geilste Job auf Erden anfühlt. Wir haben unsere Routinen, wissen, was wir können und nicht können, man hat die anderen Persönlichkeiten gut genug kennengelernt, um auch in Tourbus-Situationen oder an Off-Days einzuschätzen, wie man gut miteinander ist. Das sind meine besten Freund*innen, wir haben die beste Zeit zusammen und ich fühle mich in der Konstellation einfach mega wohl.

Ich glaube, meine Fragen zur Tour sind abgearbeitet, nur um meine generelle Zerstreutheit zu erklären. In den "Wiedergänger"-Songs sahen manche eine neue stilistische Ausrichtung. Auch auf mich wirkte das alles ein bisschen poppiger als die Sachen auf "Fleisch". Könnte man das so sagen? Was war der Gedankenprozess bei den neuen Songs?

Ich habe einen anderen Bezug zu den neueren Songs. Alle Songs auf "Fleisch" sind schon älter, weil ich das Album damals nicht an einem Stück geschrieben und aufgenommen habe. Das Ganze war eher ein Flickenteppich, eine Art Compilation, die über zwei Jahre hinweg entstanden ist. Daher bin ich jetzt mehr an den neuen Songs dran und habe mehr Kontrolle darüber, wie sie klingen und wie ich sie haben will. Natürlich macht die Produktion da auch viel aus. Ich hab das Album mit Max Rieger aufgenommen, also jemand, der aus dem Post-Punk-Bereich kommt und einen sehr eigenen Sound hat, vor allem was Gitarren angeht. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Produktion.

"Mitten in den Massen" und "Wiedergänger" habe ich mit Lukas Korn aufgenommen, der zwar auch eine post-punkige Band hat, die sich aber schon mehr im Pop-Bereich bewegt. Da er auch in meiner Band spielt, wir viel miteinander abhängen und die gleiche Musik hören, war das ein bisschen natürlicher. Gerade "Wiedergänger" wollte ich so poppig wie möglich haben und ein bisschen weniger zugeschnitten auf die Hörgewohnheiten von einer deutschen Indie-Pop-Playlist. Es drückt schon mehr, wenn der Chorus reinkommt. Den Song haben wir bis auf die E-Gitarren komplett am Computer realisiert.

Wie ist denn generell dein Verhältnis zum deutschen Indie-Pop oder zur "Wilde Herzen"-Playlist auf Spotify? Du stichst da ja schon sehr heraus. "Fleisch" war ja gerade nicht die Weiterführung von "Waveboy" und diesem eingängigen New Wave-Sound.

Das kommt für mich ziemlich natürlich, ich habe da nie versucht etwas zu forcieren.

Das heißt, dass du mit deiner Musik wirklich dich selbst darstellen möchtest? Deine Musik soll abbilden was du auch selbst gerne hörst?

Ja, genau. Meine Musik ist natürlich unabdingbar auch das Ergebnis von dem, was ich konsumiere.

"TikTok hat einen furchtbar schlechten Einfluss auf die Musikindustrie"

Auch textlich fand ich, dass sich "Mitten in den Massen" ganz anders angefühlt hat als "Fleisch". Eher nach einem Teenager-Album, einer abgesteckten Welt. Als würde das eher die Teenagerjahre in Kassel repräsentieren, wo Konsequenzen noch nicht so ganz klar sind. "Mitten in den Massen" dagegen eher nach einer endlos offenen, beängstigenden Welt. Wie sehr sind deine Texte mit deinem wahren Leben verbunden?

Es ist natürlich im Vergleich zu meinem echten Leben alles immer ein bisschen über-, beziehungsweise untertrieben - zu meinem Schutz entfremdet. Manchmal hat man nur die Ahnung eines Gefühls und treibt das dann in einem Song auf die Spitze. Manchmal inspirieren einen auch die Geschichten von anderen Leuten. Ich glaube, dass das Gefühl, dass in "Mitten In Den Massen" beschrieben wird, etwas ist, dass alle Leute nachvollziehen können. Dass man irgendwo ist und denkt "Oh ja, jetzt geht mein Leben richtig los" und dann vielleicht merkt, dass das, was man die ganze Zeit wollte, gar nicht für einen gemacht ist und dass es vielleicht gar nicht darum geht, wo man ist, sondern mit wem man ist.

Ich glaube, dieses Gefühl ist unabhängig vom Alter. Das kann man mit 17, 25 oder auch noch mit 40 fühlen, wenn man vielleicht beruflich irgendwo anders hinzieht. Man malt sich immer aus, wie das Leben eigentlich sein sollte. Irgendwann merkt man dann, dass diese ganzen oberflächlichen Sachen nicht zählen, sondern nur wer an der eigenen Seite ist. Das ist bei "Mitten in den Massen" das Thema.

Es gibt dieses Zitat "Ich mache Musik für mein 14-jähriges Ich." Würdest du sagen, das trifft auch auf dich zu?

Ja, ein bisschen. Ich denke, das ist aber auch ganz natürlich. Bestenfalls machen alle Leute am Ende des Tages die Musik, die sie selber hören. Ich will genauso Musik für mein 14-jähriges Ich machen, wie für mein jetziges, 29-jähriges Ich. Also es soll mir natürlich auch immer selbst gefallen, aber ab dem Moment wo man auf Tour ist, kommt man natürlich nicht umhin, sich auch Gedanken darüber zu machen, wie es bei anderen Leuten ankommt. Spätestens seit "Fleisch" schwingt beim Songwriting der innere Voyeur mit und ich nehme immer mehr auch eine potentiell kritische Position ein. Irgendwann kann man sich davon einfach nicht mehr komplett frei machen. Ich bin gerade dabei, da eine gewisse Balance zu finden.

Wenn du einen Song live spielst, der sich vielleicht gerade noch in der Entstehungsphase befindet, inwiefern achtest du da auf die Reaktion des Publikums?

Ich habe seit Sommer einen unveröffentlichten Song im Set, der wahrscheinlich keine Single wird, obwohl der beim Publikum richtig gut ankam. Ich hatte das Gefühl, dass der vielleicht einfach keine Single werden sollte. Es ist also unterschiedlich. Manchmal reagiert das Publikum live richtig gut auf einen Song, ohne dass sich das in den Streamingzahlen, Verkäufen oder Views widerspiegeln würde. Manchmal ist das sehr schwierig auszumachen. Wenn man einem Publikum, das einen idealerweise ja mag, sagt: "Hier ist ein neuer Song, den kennt noch keiner", finden die den natürlich bestenfalls erstmal geil.

Wie anstrengend ist es, das "schwierige zweite Album" zu schreiben? Schwingt das in Prozessen bei dir auch mit?

Ich habe noch gar nicht aktiv angefangen, das zweite Album zu schreiben. Die neuen Songs sind nicht fürs zweite Album gedacht. Ich probiere gerade einfach ein bisschen was geht, versuche rauszufinden, worauf ich Bock habe. Es gibt ein paar Songs, die ich in der Hinterhand habe. Ich will aber auf keinen Fall, dass das zweite Album wie das erste entsteht. Es soll nicht zwischen Tür und Angel sein, ich will mich da wirklich für eine gewisse Zeit einschließen und nur darauf konzentrieren. Das Ziel ist dann ein zusammenhängendes, in sich kohärentes Stück. Die aktuellen Singles sind davon also losgelöst.

Also fast wie ein öffentliches Testlabor?

Das würde ich nicht unbedingt so sagen. Die Singles ergeben in sich schon Sinn und erzählen eine Geschichte. Es ist mehr so, dass ich einfach Bock habe, Musik zu machen, mich aber noch nicht bereit für Album Nr. 2 fühle.

Das ist aber etwas, was auch nur in diesem Spotify-Zeitalter möglich ist, oder? Das scheint mir eine neue Form von Release zu sein, dass man nicht immer auf ein Album hinarbeitet.

Ja, natürlich schaut man, was gerade so läuft. Ich stand dem Ganzen sehr lange kritisch gegenüber, aber aktuell bin ich recht dankbar dafür, weil so die Stakes nicht so high sind. Es ist in Ordnung, wenn man eine Single rausbringt, die nicht die besten Streaming-Zahlen einheimst. Es ist okay, wenn man Sachen einfach für sich selbst macht. Damit kommt auch wieder eine gewisse künstlerische Freiheit.

Wie bist du denn zu dem Punkt gekommen? Wo hat sich da etwas für dich verändert?

Einfach ein bisschen weniger Hater sein und akzeptieren, dass Sachen sich ändern. Man kann natürlich die ganze Zeit über diese Veränderungen meckern, aber letztendlich kann man nichts machen. Am Ende des Tages läuft es halt wie es läuft. Teilweise stehe ich dem Ganzen immer noch kritisch gegenüber. Meiner Meinung nach hat zum Beispiel TikTok einen furchtbar schlechten Einfluss auf die Musikindustrie. Da wird man als Person, die schon länger Musik macht, manchmal ein bisschen zum Gatekeepen verleitet. Es frustriert auch, wenn TikTok-Creator*innen auf einmal schnellen Erfolg haben. Deshalb schaue ich auf mich und mache was sich gut anfühlt: Eben sich auszuprobieren und das Ganze ein bisschen DIY-mäßig zu gestalten.

Bei "Wiedergänger" musste ich immer wieder an "Haustier Im Hotel" denken, vor allem in der Beschreibung einer Beziehungsdynamik. Aber eigentlich bildet "Haustier im Hotel" ja eine Fantasie ab, mit all seinen BDSM-Bezügen. Mir ist es aber schwer gefallen, das so zu erkennen und ich bin da drübergestolpert. Das hatte ich jetzt auch wieder ein bisschen. Hast du das Gefühl, dass es deinem Publikum auch manchmal so geht?

"Wiedergänger" ist der erste deutsche Song, den ich je geschrieben habe. Seit 2017 habe ich den Text nicht verändert und im Kern geht es um eine toxische Beziehung und emotionale Misshandlung. Man will dieser Person sagen: "Ich hätte lieber, dass du mir in die Fresse schlägst, damit könnte ich besser umgehen als mit diesem emotionalen Abuse." Es geht also nicht darum, wirklich irgendwelche Sachen zu machen. "Haustier Im Hotel" ist mehr mit einem gewissen Augenzwinkern. Ich hatte einfach die Schnauze voll von diesem Narrativ in Literatur, Film und Pop von der schüchternen Frau, dem CEO im Anzug und alles ist super weird. Dem wollte ich einfach etwas entgegensetzen mit einer weiblichen Perspektive, die einfach Bock hat, sich auszuprobieren. Also irgendwo behandeln die Songs schon ähnliche Themen, aber eben einmal aus einer sehr negativen, einmal aus einer positiven Perspektive. Um zur Frage zurückzukommen: Ich weiß natürlich nicht, was bei meinem Publikum zuhause abgeht, mir ist nur wichtig, dass sie sich im sicheren Rahmen ausprobieren.

Mia Morgan auf Tournee:

08.11. Würzburg, Cairo
09.11. Bern, ISC Club
10.11. Mannheim, Forum
11.11. Siegen, Club Vortex
12.11. Düsseldorf, Zakk
13.11. Münster, Gleis 22
15.11. Berlin, Lido

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