laut.de-Kritik

Das pochende Herz dieses Albums ist der Bass.

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"Steig ein und ich nehm dich ein kleines Stückchen auf meinem Weg mit - ich zeig dir, was es hier zu sehen gibt." Auf dieses Angebot haben sie uns ja nun lange warten lassen: Mel, Moe und Savas. Bereits 2010 hieß es, 20 Songs des gemeinsam geplanten Albums seien fertig. Zwei Jahre später: da waren es nur noch elf und "MMS" wird als Solodebüt des Sängers Moe Mitchell angekündigt. Fakt ist aber: die Texte sind von Savas und Franky Kubrick, sämtliche Produktionen sind von Melbeatz, Moe liefert mit Soul und Flow den Rest: "MMS" ist definitiv das ursprünglich geplante Gesamtkunstwerk.

Letztlich ist das mit dem Album hier eine ganz einfache Sache: die ersten paar Takte stehen exemplarisch für den Rest. Entweder man springt hier in Sekundenschnelle auf, lässt sich von Mels Beats bis zum Ende des Albums tragen, löst sich zwischenzeitlich kurz mal auf in der Gewalt dieser Produktionen und findet sich am Ende neu sortiert und beglückt wieder - oder eben nicht. Im letzteren Fall hat derjenige aber wohl kein Herz in der Brust, das durch die deepen, pochenden Bässe in Schwingung versetzt werden könnte. "Mein Herz! Kein Plan - was ist in mich gefahrn?"

"MMS" wird die Lager spalten: die einen werden es als bestes R'n'B-Album feiern, das Deutschland momentan zu bieten hat, die anderen werden es bei den ersten Klängen als Schmonzette in die nächste vorurteilsbehaftete Schublade verbannen. Von letzteren wird es nicht wenige geben, denn wir Deutschen haben es ja bekanntlich nicht ganz leicht damit, wenn Liebe, Sex und Zärtlichkeit in solch konzentrierter, manchmal auch plakativer Gestalt auf uns zu gerannt kommen. Dieselben Leute, die einen Usher, Drake oder Chris Brown feiern, laufen schreiend davon, wenn kein englischsprachiger Slang die gefühlsduseligen Inhalte in Watte packt. Nicht umsonst hat es der R'n'B in Deutschland so schwer.

Und gerade deshalb verdient dieses Album soviel Respekt: "MMS" ist in seiner Melange aus Soul, R'n'B und Hip Hop-Elementen, die sich vor allem in den von Savas geschriebenen Parts und den wuchtigen Beats finden lassen, ein mutiges Stück Musik. "Ich geh über Kohlen, ohne schützende Sohlen."

Eine Nummer wie "Feuer Und Flamme" z.B. ist so ziemlich das Beste, was dieses Land hier aktuell an R'n'B vorzuweisen hat. Auf souligem Beat kommt der pure Sex daher: "Wenn du mich berührst wird mir so uhh, alles beginnt zu brennen, meine Haut verglüht gleich unter deinen Händen. Lösch mich nich, es is so guuut." Mit unglaublich smoothem Flow, der sofort erkennen lässt, dass hier der King of Rap am Werk war, zieht Moe ganz Deutschland den Stock aus dem Arsch: "Streichholz, Kerosin – los, zünd mich an, ich brenne vor Leidenschaft lichterloh. Du bist so unerträglich heiß, ich komm ins Schwitzen und mein Kopf pocht – du bist die Sonne in meinem Kosmos."

Während Franky Kubrick für eingängige Balladen wie "Alles An Dir" oder "Meine Stadt" verantwortlich ist, tragen Moes Uptempo-Parts auch auf einem Track wie "Gangster" klar Savas' Handschrift: "Du laberst laufend über banalen Scheiß, raubst mir den letzten Nerv, sieh her: ich lauf schon auf dem Zahn zum Fleisch." Warum es nötig ist, hier in der Hook wieder Plastikeffekte auf die Stimme zu klatschen, die doch eigentlich ohne viel schöner ist, und was das mit Leidenschaft zu tun hat? Nun - da bin ich überfragt. "Keiner außer uns kann es verstehn..." Aber Nummern wie "Gangster", "MMS" und "Feuer Und Flamme" legen soviel Rhythmus an den Tag, eingängige Nummern wie "Alles An Dir" und "Herz in Ketten" soviel Ohrwurmpotenzial, dass man auch den Autotune schnell wieder verzeiht.

Das Herz dieses Albums aber ist der Bass. Ob nun Unwetter suggerierende Drums und Regentropfen-Akzente auf "Regen", kristallene Pianoloops, die auf "MMS" im Allegro dahinplätschern, synthetisches Cybergepiepse auf "Roboter" oder marschierende Drums auf "Joe Black" - mit gewohnt schnörkellosen, atmosphärischen Produktionen unterstreicht Melbeatz die Inhalte der Songs und hämmert einem diese mit wuchtigen Bässen in die Seele. "Herz in Ketten": Die deepen Produktionen dieses Albums nehmen einen vom ersten Takt an gefangen und lassen einen nicht mehr los. Da gibt's kein Entkommen.

Textlich muss man leider sagen, fehlt es dem Album allgemein etwas an Raffinesse. Moe präsentiert hier ein Konzentrat an Lovesongs (inklusive der Liebeserklärung "Meine Stadt" an seine Heimat Bremerhaven oder der Hommage an die reinigende Wirkung des "Regen"), erweitert um das Thema Tod in "Joe Black" (Lieben und Sterben sind aber ja spätestens seit Freud eng miteinander verzahnt). R'n'B reduziert sich inhaltlich bekanntlich selber gern und das ist auch okay. Dennoch hätte ich von einem alten Hasen wie Franky Kubrick und dem "King of Rap" erwartet, dass sie die gängigen Themen an der ein oder anderen Stelle etwas cleverer umsetzen. Ein Frank Ocean schafft das ja schließlich auch.

"Roboter" z.B. arrangiert die eigentliche Aussage: Du bist so unnahbar geil, "Baby, du bist nicht aus Fleisch und Blut" eher unglücklich: "Girl ich glaub, du wurdest zusammen geschraubt, du bist unzerbrechlich – kein Herz, nur Stahl und Metall – ich weiß nicht, ob du echt bist. Denn du bist zu perfekt wie ein Roboter, du bist super sexy mein Roboter ... " Vielleicht muss man hier "MMS" einfach als "Mensch-Maschine-Schnittstelle" lesen, dann klappt's eventuell, oder man muss seine helle Freude an überspitztem Assoziationssport haben, aber: Roboter sind sexy? Das Bild ist schon etwas bemüht.

Davon abgesehen ist "MMS" ein für Deutschland progressives R'n'B-Album erster Sahne. Und an alle, die schon schreiend davonlaufen wollen, bevor sie sich das Ding überhaupt zu Gemüte geführt haben: bloß keine Scheu vor großen Gefühlen! Ein Tipp: dreht den Swag so laut wie möglich auf. Diese Bässe! Ganz ehrlich? "Homie, du weißt nicht wie mein Herz pumpt!"

Trackliste

  1. 1. Alles An Dir
  2. 2. MMS
  3. 3. Feuer & Flamme
  4. 4. Meine Stadt
  5. 5. Gangster
  6. 6. Regen
  7. 7. Roboter
  8. 8. Herz In Ketten
  9. 9. Es Tut Mir Leid
  10. 10. Stern
  11. 11. Joe Black

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