laut.de-Kritik

Komplizierte Hits.

Review von

Es ist wahrscheinlich noch zu früh, um über potentielle Alben des Jahres zu sprechen. Verhext wäre es aber schon, würde das dritte Werk der Monika Roscher Bigband dabei in ein paar Monaten keine Rolle spielen. Das in München beheimatete Ensemble verbindet auf "Witchy Activities And The Maple Death" kompositorische Klasse mit gefühlsgetriebener Spielfreude. Trotz hoher Komplexität und musikalischem Anspruch bleiben Eingängigkeit und Herz nie auf der Strecke.

Damit gehen Monika Roscher und ihre bis zu 20 Mitmusiker:innen den auf den beiden nicht minder großartigen Vorgängern "Failure In Wonderland" (2012) und "Of Monsters And Birds" (2016) eingeschlagenen Pfad weiter: mitten durchs Dickicht. Sämtliche hörbaren Einflüsse aufzuzählen wäre müßig. Im Zauberbräu landen Elemente aus unterschiedlichsten Ecken des musikalischen Spektrums, von Mariachi bis Post Metal, mit hintergründigen Ambient-Electronics, Drum'n'Bass-Breaks und Wurzeln im Jazz. Dreamy Vocals öffnen die Tür zum Indiepop, manch chaotische Passage würde man gerne einer Dillinger Escape Plan-Crowd vorspielen. Zu "Creatures Of Dawn" lässt sich (wenigstens zu Beginn) Walzer tanzen.

Was auf dem Papier nach ziemlichem Durcheinander klingt, meliert auf "Witchy Activities And The Maple Death" zu einem erstaunlich fokussierten Ergebnis. Keine Komponente wird vernachlässigt. Rhythmik, Melodik, Harmonik und Dynamik der zehn Stücke wirken bis ins kleinste Detail durchdacht – inklusive des Bewusstseins dafür, wie wichtig es ist, den Kopf manchmal einfach auszuschalten und sich treiben zu lassen. Zahlreiche Improvisationseinlagen, aber auch unmittelbar in den Körper fahrende Riffs und Melodien zeugen davon.

Was das konkret bedeutet, demonstriert direkt der Opener "8 Prinzessinnen". Von Morsecodes inspiriert etablieren Blechblasinstrumente und Percussion zunächst das rhythmische Fundament, behutsam schiebt Roscher erste melodische Motive ins Soundbild, die im Verlauf des Stücks weiter ausgebaut werden. Diese ersten anderthalb Minuten haben etwas Tastendes, machen neugierig auf mehr. Schließlich surrt ein wie von György Ligeti ersonnener Tonschwarm heran, der Groove rastet ein und man steckt mittendrin im Hexenzirkel. Trotz Taktwechseln und im ganzen Stereopanorama aufglimmender Einwürfe kristallisieren sich klare Hooks heraus. Sie fangen den Track selbst nach wahnwitzigen Solopassagen von Saxophon, Gitarre und Posaune wieder sicher auf.

Roscher schreibt komplizierte Hits. Dass sich das Rezept dafür jedes Mal ändert, gehört zum Prinzip. Bei der in sechs Teile gegliederten Suite "Witches Brew" erzählt die Bigband eine Geschichte über zwölfeinhalb Minuten hinweg, zieht in einen bunten Strudel von Klangfarben und Emotionen. Wesentlich kompakter fällt "Queen Of Spades" aus, das mit denkbar simplem Hauptmotiv zur Hymne mutiert und dabei erhaben, ermutigend, aggressiv und gemein zugleich klingt.

"Direct Connection" beginnt heimelig, sanft, schwelgt in Nostalgie, mündet nach mehreren experimentellen Breaks aber in Instrumentenauflauf. Wie Sirenen lockt die Band mit süßen Weisen und versenkt sie in reißenden Fluten. Umgekehrt strebt "A Taste Of The Apocalypse" nach anfangs tragischem Feeling im Verlauf der Komposition in immer beschwingtere Gefilde.

Bei "The Leading Expert Of Loneliness" manövriert Roscher geschickt am Selbstzitat entlang (Anspieltipp dazu: "Wüste" vom Debüt). "Firebird" entwickelt sie um einen Streicher-Loop herum. Das schelmisch verschlafene "Starlight Nightcrash" krönt sie mit einem Gitarrensolo. "Creatures Of Dawn" prägt Bruder Ferdinand entscheidend am Kontrabass. Und dann ist da noch "Unbewegte Sternenmeere", der erste Song der Monika Roscher Bigband mit deutschem Text, über den sich plötzlich Schnittstellen zu Sophie Hunger offenbaren.

Es gibt wenig Musik, die auf ähnlichem Komplexitätslevel derart packend konzipiert und umgesetzt ist wie "Witchy Activities And The Maple Death". Opulente Mindblow-Momente reihen sich an quirlige Feinheiten, Akribie und Präzision gehen Hand in Hand mit Intuition und völliger Freiheit, die gerne ins Durchgeknallte driften darf. Die Monika Roscher Bigband vereint Miles Davis und Meshuggah, Zappa und Zorn, Julius Eastman und The Dear Hunter ... und noch viel mehr.

Trackliste

  1. 1. 8 Prinzessinnen
  2. 2. Firebird
  3. 3. Witches Brew: The Summoning
  4. 4. Witches Brew: Moon Is Melting
  5. 5. Witches Brew: The Brew
  6. 6. Witches Brew: The Woods
  7. 7. Witches Brew: Dance Of The Sleepy Spirits
  8. 8. Witches Brew: Return Of The Witches
  9. 9. Creatures Of Dawn
  10. 10. Queen Of Spades
  11. 11. Starlight Nightcrash
  12. 12. A Taste Of The Apocalypse
  13. 13. The Leading Expert Of Loneliness
  14. 14. Direct Connection
  15. 15. Unbewegte Sternenmeere

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8 Kommentare mit 6 Antworten

  • Vor 11 Monaten

    Saustarkes Teil. Definitiv AdJ-Kandidat.

  • Vor 11 Monaten

    Die Vocals ziehen das Ganze schon arg runter. Musikalisch ist das wirklich sehr beachtlich, und könnte sogar im Ausland reüssieren. Ist halt echt schade, dass Gesang hier kein nennenswerter Teil der Kultur ist, und Monika Roscher in Ermangelung von Mut und Ausdruck einen auf gewollt kühl macht. Das klappte bei Nico noch gut, aber diese exzellenten Arrangements schreien danach, daß hier Sänger dramatisch einen draufsetzen.

  • Vor 11 Monaten

    Wirklich innovative Musik aus Deutschland hört man nicht besonders häufig. Danke für den Tipp!

    • Vor 11 Monaten

      "Wirklich innovative Musik aus Deutschland hört man nicht besonders häufig."

      Solche Aussagen kommen meist von Leuten, die zu faul sind, sich mal ordentlich umzuhören. Es kommt am laufenden Band hervorragender Shit raus, aus Deutschland wie anderswo. :rolleyes:

    • Vor 11 Monaten

      Ich glaube nicht, Schwing.

      Aber ich bin auch eine Chancenhure, und würde ne gute Band aus Deutschland aufgrund des Seltenheitsfaktors besonders abfeiern.