laut.de-Kritik

So gefühlvoll hat noch niemand zu den Waffen gerufen.

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Es fühlt sich nicht richtig an, Mustafas Debütalbum "When Smoke Rises" zu rezensieren: acht Stücke, musikalisch am besten dem Genre Folk zuzuordnen, mit denen der Songwriter und Lyriker Abschied von verstorbenen Freunden nimmt und ihre Erinnerung am Leben hält. "When Smoke Rises" ist ein sequenzierter Trauerprozess in Audioform - wie soll man einen Trauerprozess bewerten?

Es hilft, dass es an der Musik handwerklich nichts auszusetzen gibt. Mustafa trägt zwar den Beinamen 'The Poet', sieht sich selbst aber als Songwriter. Seine Fähigkeiten als solcher stellt er seit der Veröffentlichung seiner ersten Single "Stay Alive" im März 2020 eindrucksvoll unter Beweis. Es folgen mit "Air Forces", "Ali" und "The Hearse" weitere Puzzleteile, die mit ein wenig Hintergrundwissen um Mustafas Biografie nun auf "When Smoke Rises" ein vollständiges Bild ergeben.

Mustafa Ahmed ist als Sohn sudanesischer Einwanderer in einem sozialen Wohnbauviertel namens Regent Park in Toronto aufgewachsen: ein lebhafter und bunter Ort, an dem an jeder Ecke eine andere Sprache zu hören ist. Ein Ort, der Kids wie Mustafa träumen und große Pläne schmieden lässt. Ein Ort, der sie genauso schnell wieder auf den steinharten Boden der Tatsachen zurückholt. Mit seiner Poesie erweckt Mustafa bereits im Alter von zwölf Jahren das Interesse der lokalen und später nationalen Presse. Seine Gedichte und Spoken Word-Darbietungen handeln von der sozialen Ungerechtigkeit, von der Armut und von der Gewalt, die ihn umgeben. Mustafas Freunde sind in Bandenkriege verwickelt. Einer von ihnen, der Rapper Smoke Dawg, ist auf dem Albumcover zu sehen. Im Juni 2018 wird er am helllichten Tage vor einem Nachtclub erschossen. Es ist nicht das erste Mal, dass Mustafa um eine ihm nahestehende Person trauert.

"Es hat Jahre gedauert, den Mut aufzubringen, diesen Weg einzuschlagen und die richtigen Worte zu finden", schreibt er in seinem Begleittext zur Veröffentlichung des Albums. Es muss ihn innerlich zerrissen haben, seine eigenen Ansprüche daran zu erfüllen, dem Erbe seiner Freunde gerecht zu werden: "It felt impossible to reimagine & beautify the violence of my friends' departures from earth, still I tried."

Mit "When Smoke Rises" vermittelt Mustafa die Trauer, das Vermissen, die Wut, die Leere, all das, was seit Jahren in ihm vorgeht, auf authentische Weise. Er singt aus seiner eigenen Perspektive, also aus der Perspektive des Freundes, klingt dabei aber häufig eher wie eine Mutter, so viel Wärme bringt er dem Adressaten und Hörer entgegen. Bei den Adressaten handelt es sich um seine Freunde: "Ali", der 2017 von zehn Kugeln getroffen und getötet wird. Ano, Smoke Dawg, "jede Person, die dem losen Griff dieser Hood entglitten ist"". Immer wieder lässt er mit kurzen über das gesamte Album verteilten Einspielern deren Stimmen erklingen.

"Pride in your hand, a price on your head, you can never let them win / Just put down that bottle, tell me your sorrows, I care about you, fam", singt er ebenso verständnis- wie liebevoll auf "Stay Alive". Es lohnt sich nicht, um jeden Millimeter dieser Straßen zu kämpfen. "None of them will be yours or mine", darum bleib lieber zuhause: "Don't crease your Air Forces / Just stay inside tonight / You know what's happening outside" ("Air Forces"). Doch die Warnungen sind umsonst, es ist bereits zu spät: "There's no more to say / And you'll be up the grave / There's only so much words to feel / The silence in this place" ("Seperate").

Es ist nachvollziehbar, dass auf die Trauer die Wut folgt, wenn einem geliebte Menschen gewaltsam entrissen werden. "The Hearse" ruft zur Vergeltung auf: "They gon' pay the price in blood and that's on everything I know". Mustafa, ein gläubiger Moslem, wirkt wie ein friedliebender, ruhiger und gefasster Mensch, der weiß, dass sich die Spirale der Gewalt mit dem Ausüben von Rache nicht durchbrechen lässt, aber das Gefühl ist trotzdem da: "Full speed on any street, I won't take a break to you / My patience and my peace, I feel all the rage for you". Und es frisst ihn innerlich auf: "I stare at myself in the mirror for hours / I've held it all in but I can't go much longer / And it's time" ("Capo"). Zeit wofür? Zeit, Vergeltung zu üben? Zeit, zu erinnern? Zeit, loszulassen? Heilt die Zeit alle Wunden?

Fest steht nur, dass es Zeit braucht. Wer um einen geliebten Menschen trauert, der weiß, dass dieses Gefühl nicht von heute auf morgen verschwindet: "Now it's only me that needs to save himself / Feel like I can't be here while you're in that realm / Oh I need time, I need time to mourn you". Die gemeinsamen Erinnerungen, die Gespräche und die Gespräche, die noch ausstanden. Mit der Zeit drängen sich Fragen auf: "What About Heaven", "What about your blessing / what about your presence?", "what if you're not forgiven?". Am Ende bleibt nichts übrig als der Wunsch auf ein Wiedersehen, wenigstens im Traum ("Come Back").

All diese Erinnerungen, Tribute und Einblicke in seine Seele mit der Öffentlichkeit zu teilen, muss eine schwere Entscheidung gewesen sein. Zum Glück hatte er Hilfe dabei, diesen Schritt zu gehen und seinen Trauerprozess in ein Album zu transformieren. Frank Dukes ("Green Light" von Lorde, "Chanel" von Frank Ocean, "Diamonds Dancing" von Drake und Future) und Simon Hessman waren an der Produktion von fast allen Songs beteiligt. James Blake hat bei "Stay Alive" und "Come Back" (Klavier und Vocals) ausgeholfen. Jamie xx ist als Co-Produzent von "The Hearse" aufgeführt. Star der Show ist zwar Mustafas sanfte, fesselnde und einfühlsame Stimme, aber die Produktion - mal gezupfte akustische Gitarrenklänge, mal hypnotisierende Klaviermelodien, mal gesampelte sudanesische Stammesgesänge - tut ihr Übriges.

Mustafa schreibt meist ruhige Folk-Balladen, die nichts weiter benötigen als 0die Begleitung von zwei oder drei akustischen Instrumenten und sein weiches Timbre, auf "Capo" wunderschön mit Samphas klagender Stimme und auf "Come Back" stimmig mit James Blakes Falsett harmonierend. Nur "The Hearse" bricht mit dieser Formel: ein spektakuläres und paradoxes Stück, ein zurückhaltender Banger, ein leiser Protestsong. So gefühlvoll und soft hat noch niemand zu den Waffen gerufen. Der getrommelte Puls dieses Stückes und Mustafas Melodien sind so kraftvoll, dass "The Hearse" ohne Zweifel eine ganze Konzerthalle, ein Stadion oder gleich den ganzen Regent Park zum Singen wie aus einer Kehle bringen könnte.

Mit seinem Debütalbum bietet Mustafa keine Analyse des Problems, keine Lösungen für die Gewalt auf den Straßen, für den Kampf gegen Bandenkriminalität und gegen soziale Ungerechtigkeiten. Er bietet auch kein Vorbild, das man jungen Heranwachsenden in ähnlichen Problemvierteln bedenkenlos vorhalten kann. Aber das muss er auch überhaupt nicht. "When Smoke Rises" ist nicht mehr und nicht weniger als Mustafas persönlicher Trauerprozess, "sometimes flawed but always true".

Trackliste

  1. 1. Stay Alive
  2. 2. Air Forces
  3. 3. Seperate
  4. 4. The Hearse
  5. 5. Capo (feat. Sampha)
  6. 6. Ali
  7. 7. What About Heaven
  8. 8. Come Back

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