14. Mai 2021

"Ich will nicht mehr den harten Jungen vorgaukeln"

Interview geführt von

Myles Kennedy hat nicht nur Hardrock und Metal im Blut, sondern frönt auch gerne den Wurzeln amerikanischer Liedkunst. "The Ides Of March" nennt sich sein zweites Soloalbum. Zupackender als auf seinem Debüt garniert er seine Songs mit Country, Blues und Singer/Songwriter-Elementen.

Die transatlantische Verbindung entpuppt sich als solide Ausgangsbasis, um in ein gemeinsames Gespräch zu kommen. Myles Kennedy sitzt stilecht flankiert von Gitarren und allerlei Musik-Memorabilia in seinem Arbeitszimmer und bittet zum Interview. Dass der gelernte Gitarrist nur über Umwege zum Fronter-Dasein gefunden hat, erzählt er in charismatischer, wie pointierter Weise in der kommenden halben Stunde.

Du wirst häufig mit Rock- und Metalsounds in Verbindung gebracht. Aber es gibt eine ganze Palette mehr an Einflüssen, die dich auszeichnen. Ich denke an Jazz, Blues, Country oder die Stilistiken, die man im Great American Songbook findet. Kannst du uns einen kleinen Einblick in deine Playlist geben?

Oh, meine Playlist ist ein ziemlicher unübersichtlicher Haufen. Was ständig bei mir läuft, ist Jazz, Miles Davis, Coltrane, all die Klassiker. Ella Fitzgerald steht richtig hoch im Kurs. Wenn du mich nach meiner All-Time-Sängerin fragen würdest, fiel die Antwort mit Ella Fitzgerald einfach aus.

Auch neues Zeug dreht sich bei mir häufig, nimm die neue Gojira, die natürlich die harte Seite von mir anspricht. Eine weitere Künstlerin, die ich für mich entdeckt habe, ist die unglaublich berührende Noura Mint Seymali, eine Sängerin aus Mauretanien, die Tradition und Rockmusik verbindet. Sonst höre ich noch Earth, Wind & Fire und Steely Dan.

Die Bezeichnung back to roots kommt mir bei deinen Soloalben immer wieder in den Sinn. Dies betrifft sowohl deine eigenen Wurzeln als Musiker als auch die Kultur, in der du aufgewachsen bist. Das geht deutlich über den Horizont von Alter Bridge und Slash, feat Myles Kennedy And The Conspirators hinaus.

Mit Blick auf die Soloarbeit hast du Recht. Es ist bei mir halt ein wenig komplizierter. Wie du gerade erfahren hast, höre ich eine ganze Reihe unterschiedlicher Genres. Ich benutzte gerne die Bezeichnung Schizophonic für das akustische Stile-Hopping. Zu meinen Teenie-Zeiten bin voll auf Metal abgefahren. Mit Siebzehn entdeckte ich Fusion. Von dort zog es mich in den Jazz, habe aber auch um Country keinen Bogen gemacht.

Wir haben alle unsere Lieblingsspeise. Selbst wenn du Sushi-Liebhaber bist, ziehst du dir die Speise nicht jeden Tag rein. Du braucht Abwechslung und benötigst Entdeckungsreisen. Das ist in der Musik nicht anders. Die Solo-Schiene ist meine Gelegenheit aus der Umgebung mit Slash und Alter Bridge auszubrechen und mein eigenes Kunsthandwerk umzusetzen.

Mir gefällt der Essensvergleich. Daniel Gildenlöw, Frontmann der schwedischen Prog-Band Pain Of Salvation vergleicht seine Musik mit indischem Chutney, zuckersüß und zugleich höllisch scharf.

(Lacht) Der Vergleich ist cool.

Du hast bekanntlich Musik studiert. Wenn man sich anschaut, in welchen Bands du vor dem Erfolg mit Slash und Alter Bridge gespielt hast, sind das Citizen Swing und The Mayfield Four. In welcher Weise bewegst du dich nun wieder zu diesen frühen Einflüssen zurück?

Mit Citizen Swing lernte ich viel darüber, was es heißt, Sänger und Songwriter zu sein. Die ersten Demo-Aufnahmen sind alles andere als glorreich, denn es war vieles im Entstehen. Bei The Mayfield Four war das Verständnis für den Song wesentlich präsenter. Als Sänger lag noch ein weiter Weg vor mir.

Du hörst die Orientierungsmarken wie Jeff Buckley und Radiohead. Es war einfach offensichtlich, dass ich noch nicht herausgefunden habe, wer ich bin. Das ist Teil des Prozesses. Selbst mit dem damaligen Major-Deal dauerte es, bis ich vierzig Jahre geworden bin, bis sich eine Ahnung herausschälte, wer ich wirklich bin.

Auf der ersten Hälfte der Platte stehen die direkten, Rock-basierten Songs. Auf der zweiten Seite präsentierst du deine experimentelle Seite und gehst musikhistorisch weit zurück.

Du hast Recht. Nimm den Opener "Get Along", der wahrscheinlich zupackendste Titel der Platte. Mit "Love Rains Down" schwingt das Pendel zu Akustik-Gitarren basierten Stücken. "Wanderlust" gehört auch in diese Kategorie. "Moonshot" spielt mit Country-Anleihen, als Instrument verwende ich eine Lap-Steel und bediene mich melodisch an der Major Pentatonik-Skala.

Die Song-Reihenfolge ist emminent wichtig, du benötigst die Aha-Momente, die deine Aufmerksamkeit packen. Gleichzeitig muss man auf Albumlänge einer gewissen Entwicklung Rechnung tragen. Nimm Led Zeppelin, eines meiner größten Vorbilder. Deren Alben sind vielschichtige Songcollectionen, in denen so viel Neues passiert. Den Hörer zu leiten und zu überraschen, dieses Konzept begrüße ich sehr.

"Songwriting ist natürlich das Wesentliche"

Mit Blick auf den Titeltrack "The Ides Of March" pflanzt das Gitarren-Picking zu Beginn unmerklich Referenzen ins Ohr, sowohl in Richtung des Progressive Rock in den Siebzigern, als auch in Richtung Led Zeppelin und da speziell "Stairway To Heaven". Zudem verfolgst du einen ähnlichen Spannungsbogen. Davon abgesehen lebt gerade die Strophe durch den Latin-Rhythmus und die jazzigen Akkordwechsel. Das epische Ende setzt diesem brillant komponierten Song die Krone auf. Es dürfte einige Zeit in Anspruch genommen haben, dieses Stück Musik aus der Taufe zu heben.

Das war in der Tat der am schwierigsten umzusetzende Song. Einige Songs habe ich in einigen Stunden zu Papier gebracht, dieser hingegen nahm sechs Monate in Anspruch. Dieser Latin-Touch in der Strophe markierte den Beginn des Schreibprozesses. Die Melodie ereilte mich wohl im Schlaf. Nach dem Aufwachen drehte sie eine Endlosschleife in meinem Kopf. Nachdem ich den Part festgehalten hatte, musste ich eine andere Perspektive einnehmen und nahm Abstand davon, obwohl ich es sehr mochte. Es sollte perfekt werden und in irgendeiner Form auf der Platte landen.

Das Ende kostete mich sämtliche Nerven. Alles was ich bis dato versucht hatte, führte nicht zum Ziel. Erst nach einem halben Jahr zündete eine neue Melodie, die ich zu diesem majestätischen Ende mit optimisten Unterton wachsen lassen konnte. Danach war klar, die Nummer ist fertig. Es macht matürlich schon einen Unterschied in der Bewertung, ob mich ein Song nun zwei Stunden meines Lebens gekostet hat oder direkt ein halbes Jahr (grinst).

Die Gitarrenparts sind auch dieses Mal sehr ausgefeilt. Zudem greifst du auf diverse Saiteninstrumente zurück. Die Soli lassen sich hingegen an einer Hand abzählen. Mir scheint, es sei dir wichtiger, dass sich die Nachwelt an Myles Kennedy als Songwriter denn als Gitarren-Held erinnert.

(Lacht) Songwriting ist natürlich das Wesentliche. Das bringt mich auf eine schöne Story. Es gibt davon ein ziemlich peinliches Online-Video. Ich nahm an einem Gitarren-Wettbewerb teil, habe aber auch gesungen. Das Ganze liegt dreißig Jahre zurück. Ich sehe ziemlich albern aus und doch habe ich richtig gut abgeschnitten. Danach hing ich mit meinem Kumpel bei einer Pizza ab und ich erinnere mich, dass ich meinte, dass als Gitarrist hiermit das Ende der Fahnenstange erreicht ist.

Dennoch fühlte es sich nicht wie das gesamte Bild an. Von diesem Zeitpunkt an, lag mein Hauptaugenmerk darauf, Songs zu schreiben. Dieser Moment war sehr entscheidend. Dies entwickelt sich dann sukzessive weiter über Citizen Swing und Mayfield Four. Im Songwriting steckt mittlerweile der größte zeitliche Anteil am Musikmachen.

Als Frontman einer Rockband strahlt man Selbstbewusstsein aus und muss cool rüberkommen. Der Singer/Songwriter steht eher für Reflexion und Nachdenklichkeit. Wie verbindest du diesen scheinbaren Gegensatz und in welchem Spektrum verortest du dich eher?

Dies ist eine brillante Frage. Mein Naturell fällt eher introvertiert und nachdenklich aus, weswegen ich mich als Singer/Songwriter verorte. Meine ersten Schritte in der Frontman-Rolle waren richtig hart. Das fühlte sich nicht natürlich an. Meine Mutter und mein Stiefvater verfolgten einige Shows, in denen ich den Rockstar mimte und fanden, dass ich nicht ich selbst gewesen sei. Das hat mich sehr mitgenommen. Wenn jemand eng stehendes sagt: "Mein Sohn, denk dran, wer du bist." Dann bleibt einem erst einmal die Spucke weg (Lacht).

Ich muss auf der einen Seite Arbeit abliefern und authentisch sein. Wie geht das zusammen? All die früheren Videos als Wannabe-Fronter auf irgendwelchen Festivals kann ich mir nicht mehr angucken. Zudem überspiele ich damit mein Lampenfieber. Meine Verbindung zu den 50.000 Menschen auf einem Festival ist einfach,ihnen eine gute Zeit zu bescheren und nicht etwas vom harten Jungen vorzugaukeln. Das verkörpert für mich das Frontman-Dasein.

"Die alten Blues-Aufnahmen sind der Killer"

Gibt es neben deiner Rhythmusgruppe bestehend aus Zia Uddin, Ex-Mayfield Flour Schlagzeuger, und Bassist und Business-Partner Tim Tournier weitere Gäste auf der Platte zu hören?

Das war es fast. Hinzu kommt noch Michael "Elvis" Baskette als Produzent. Es ist der gleiche Cast wie auf "Year Of The Tiger". Es gab einige Gedankenspiele zugegebenermaßen, aber schlussendlich stand die Entscheidung, es im gleichen Kontext wie beim ersten Mal zu belassen.

Meiner Meinung nach klingt der Song "Wanderlust Begins" stark nach einem Duett. Häufig hört man die Lead-Vocals mit einigen stark im Mix zurückgefahrenen Backing-Vocals. Hier hingegen gibt es zwei gleichberechtigte Melodien, die wie Johnny Cash und June Carter Cash harmonieren. Möglicherweise spielt in diese Interpretation auch der von dir erwähnte Country-Bezug hinein. Natürlich ist der Song auch so ziemlich stark, aber für mich schreit die Umsetzung nach einem Duett.

Hmm, über die Ergänzung um eine weibliche Stimme könnte man nachdenken.

Die Lyrics auf deiner ersten Solo-Veröffentlichung waren sehr nachdenklich gehalten. Die Auseinandersetzung mit dem frühen Verlust deines Vaters in deiner Kindheit gelang mitreißend und prägend für das Konzept. Sind die Texte auf "The Ides Of March" optimistischer und hoffnungsvoller?

Der aktuelle Zustand, indem sich unsere Welt befindet, schlägt sich stark in der textlichen Gestaltung nieder. Inmitten unserer Tour mit Alter Bridge wurde der Lockdown ausgerufen. Es besteht eine große Unsicherheit und es ist noch unklar, wohin uns das alles führt. Es gibt optimistische Untertöne, aber der Bezug zu den dunklen Perspektiven der Zeiten, in denen wir uns befinden, ist allgegenwärtig. Wenn ich ein schweres Thema bearbeite, das einen herunterzieht, versuche ich, als Gegengewicht Optimismus und Hoffnung zu platzieren. Wenn die negativen Anteile überwiegen, ist das nicht zielführend.

Viele Songs schreibe ich aus dem Antrieb heraus, mich daran zu erinneren, dass sich die Dinge zum Besseren wenden werden, aber auch ich selbst ein besseres Mensch sein kann. Das größte Kompliment, dass mir ein Hörer machen kann, ist, dass es ihn selbst durch eine schwere Zeit geleitet hat und im Guten bestärkt hat.

"Tell It Like It Is" hat diesen funkensprühenden und positiven "Rockin All Over The World"-Vibe. Aber natürlich bedingen sich Musik und Text gleichermaßen. "Moonshot" ist ein weiteres tolles Stück Musik. Wobei hier die Lyrics besonders hervorzuheben sind. Du singst Zeilen wie: "Just a matter of time, follow your dreams as well and maybe it is the last chance that you can capture". Spricht da auch eine Lebensphilosophie heraus?

Dies war einer der ersten Tracks, die für das Album entstanden sind. Der Songwritingprozess ging zudem schnell von statten. Er ist also eine Übung, um wieder in die Songarbeit hereinzukommen. Der Unsicherheit, wann wir wieder auf Tour gehen können, entspringt die erste Zeile: "I remember when, We were suiting up again, Before the end of time." Ich hatte meine Freunde und Bandmitglieder vor Augen, wie wir in unseren Umkleiden hocken und darauf warten, die Bühne entern zu können.

Die Idee dahinter ist, dass wir vieles für selbstverständlich halten und meinen, es existiere für immer. Im Chorus gehe ich dann wieder auf die optimistische Perspektive zurück, wie ich sie bereits beschrieben habe, wenn ich singe: "And though its a moonshot, We cant stop, Until we get back to the start."

Du hast im Vorfeld einige der Tracks deines Albums als reine Akustik-Versionen präsentiert. Natürlich ist es derzeit schwierig abzuschätzen, wann es wieder möglich sein wird, mit der gesamten Band auf Tour zu gehen. Liegt es im Bereich des Möglichen, ein Streaming-Event aufzuziehen, allein als Singer/Songwriter und den neuen Songs dadurch Raum zu geben?

Wir versuchen gerade auszuloten, was geht. Derzeit ist ein Ende noch nicht abzusehen, insofern ist diese Option in Betracht zu ziehen. Meine größte Angst bei Streaming-Events ist, dass mein Internet abkracht. Hier zu Hause ist es schrecklich. Ich denke, als Ausweichmöglichkeit bietet sich ein Studio oder eine andere Location an. Ich erinnere mich an eine Streaming-Show vor einem Jahr, organisiert vom Magazin American Songwriter. Das hat richtig viel Spaß bereitet, vor allem dadurch, dass die ganze Welt zuschauen konnte.

Wenn man sich den letzten Track "Worried Mind" anhört, dann ist das ein großartiger Blues-basierter Song mit einem fantastischen Solo als Jam in der Mitte. Hört man sich diese Leistung an der Gitarre an, dann bin ich mir sicher, dass die Welt sich an dich als Gitarrenhelden erinnert. Mit Blick auf das Zitat, das Willie Dixon zugeschrieben wird: "Blues is the roots, everything else is the fruit." Was denkst du darüber?

Natürlich hat Dixon Recht. Blues ist die Wurzel. Alles was ich anpacke, startet bei dieser großartigen Bewegung. Und es klingt unglaublich, wohin uns das Ganze geführt hat. Kannst du dir vorstellen, mit Robert Johnson oder all den Cracks zusammenzuspielen? Und mit Blick auf das, was Led Zeppelin auf die Beine gestellt haben, sich vorzustellen, dass das was man angestoßen hat, diese Früchte getragen hat. All die alten Aufnahmen sind der Killer und toppen meines Erachtens die Black Sabbath-Sachen in Punkto Attitüde und Düsternis.

Kannst du uns einen kleinen Einblick geben in deine kommenden Aktivitäten?

Mit Alter Bridge gehen wir hoffentlich bald ins Studio. Der Plan sieht Anfang nächsten Jahres vor. Auch mit Slash And The Conspirators gibt es einiges an Material. Mit diesen großen Bands steht und fällt ein Release mit der Aussicht wieder sicher touren zu können. Aber wir bleiben mal optimistisch, dass dies nächstes Jahr über die Bühne gehen kann.

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