Porträt

laut.de-Biographie

Miles Davis

"Ich habe vier oder fünf mal die Musik revolutioniert. Und warum sind Sie hier?" So staucht er einmal eine weiße Bankiersfrau zusammen, die sich gewundert hatte, warum er beim Bankett des US-Präsidenten eingeladen sei.

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Tatsächlich prägt Miles Davis über 40 Jahre, von der Zeit des Bebops bis in die neunziger Jahre, verschiedene Stilepochen des Jazz maßgeblich durch musikalische Neuerungen. Seine sparsamen, introvertierten Improvisationen setzen jeden Ton überaus bewusst und beeinflussen, gepaart mit einem glasklaren Klang ohne Vibrato unter häufiger Verwendung eines Dämpfers, Generationen von Trompetern. Neben seinen eigenen musikalischen Fähigkeiten zeigt er immer ein feines Gespür für die Qualitäten seiner Nebenleute. Viele berühmte Jazzer wie John Coltrane, Cannonball Adderley, Tony Williams, Herbie Hancock, Joe Zawinul oder Chick Corea entwickeln ihre musikalische Persönlichkeit in einer von Davis Bands, bevor sie ihren eigenen Weg gehen.

Miles Davis (Miles Dewey Davis III) wird am 25.Mai 1926 in Alton, Illinois, geboren. Ein Jahr später zieht seine Familie in den Süden nach East St. Louis, eine Kleinstadt am Ostufer des Mississippi. Die Familie Miles hat sich innerhalb von zwei Generationen nach Abschaffung der Sklaverei etabliert und ein Vermögen erarbeitet. Der Vater von Miles ist Zahnarzt und Großgrundbesitzer. Zu seinem dreizehnten Geburtstag bekommt Miles eine Trompete geschenkt. Er macht schnell Fortschritte und zwei Jahre später ist er schon in der lokalen Jazz-Szene aktiv, u.a. in der Band von Clark Terry. Durch einen Zufall lernt er die beiden Pioniere des Bebops, Charlie Parker und Dizzy Gillespie, kennen. Die beiden haben ein Engagement bei der Billy Eckstine Band. Während eines Gastspiels in St. Louis suchen sie überraschend noch einen Trompeter und Miles wird für zwei Wochen eingestellt.

Um sich intensiver mit der Musik auseinandersetzen zu können, beschließt Davis nach New York zu gehen, da sich dort das Zentrum des Bebops befindet. Seine Eltern sind nicht sehr begeistert, dass sich ihr Sohn so sehr für die Musik der schwarzen Unterschicht interessiert. Daher handelt Miles einen Kompromiss aus. Er studiert an der Juilliard School Of Music in New York klassische Musik und hat so die Möglichkeit, abends in die Jazzclubs zu gehen. Die Folge ist ein Doppelleben, wobei die nächtlichen Jams dem jungen Trompeter viel wichtiger sind. Anfang 1945 macht er bei seiner ersten Schallplattenaufnahme in der Band von Herbie Fields mit. Gegen Ende des selben Jahres spielt er regelmäßig bei Auftritten in der Band von Charlie Parker, am 26. November 1945 folgt die erste Aufnahmesession mit Bird. Der unreife Davis fühlt sich noch sehr unsicher, ist oft überfordert von den höllischen Tempi und versucht nur einigermaßen mitzukommen. Zu Beginn lehnt sich sein Spiel den virtuosen Improvisationen von Parker und Gillespie an, doch sehr schnell fängt er an, seinen lyrischen Stil zu entwickeln, der einen Gegenpol zu dem von den beiden anderen abgelieferten Feuerwerk darstellt. Bereits 1948 ist Davis zu einer international bekannten Größe geworden und teilt sich mit Dizzy Gillespie die Auszeichnung von verschiedenen Musikmagazinen als bester Jazztrompeter.

In dieser Zeit gerät der Bebop in eine Sackgasse. Die Virtuosität ist nicht weiter auf die Spitze zu treiben, daher orientiert sich Davis mit dem Komponisten und Arrangeur Gil Evans in eine andere musikalische Richtung. Sie gründen ein Nonett, das sich zwar finanziell nicht trägt, in den Jahren 1949 und 1950 aber drei Aufnahmesession abhält, deren Stücke als Singles erscheinen und erst im Jahr 1957 als LP mit dem Namen "Birth Of The Cool" veröffentlicht werden. Der Stil ist der Vorreiter der coolen West-Coast-Jazz-Schule. In dieser Band ist Davis Bandleader und emanzipiert sich dadurch von seinem Förderer Charlie Parker. Auch aus Parkers Band steigt Davis aus, da dieser aufgrund seiner psychischen Probleme und seiner Drogensucht unzuverlässig ist.

In der Folgezeit findet Davis keine Arbeit, obwohl er ein international anerkannter Trompeter ist. Im eigenen Land zählt er noch nicht viel. Nach einiger Zeit beginnt auch er, Heroin zu nehmen. Anfang 1954 ist Miles Davis fast nicht in der Lage, Trompete zu spielen. Doch dann führt er einen kalten Entzug ohne weitere Hilfe durch. Nach dieser Krise hat er bis 1960 eine äußerst kreative Phase, in der er Jazzgeschichte schreibt. Zunächst führt er mit Percy Heath (b), Horace Silver (p), Art Blakey (d) und Kenny Clark (d) drei von Bob Weinstock finanzierte Aufnahme-Sessions durch. Davis scheint seinen Stil des bewussten Setzens der Töne gefunden zu haben: eine Mischung aus lyrischem und swingendem Spiel. Dieser wird durch starken rhythmischen Drive der Band unterstützt. Es entstehen die Klassiker "Walkin'" und "Blue and Boogie". Im Laufe des Jahres entstehen noch weitere Aufnahmen, bei denen unter anderen Thelonious Monk und Sonny Rollins mitwirken.

1955 gründete Davis sein erstes eigenes Quintett mit Philly Joe Jones (d), Paul Chambers (b), Red Garland (p) und John Coltrane (sax). 1958 nimmt er noch den Saxophonisten Cannonball Adderley dazu. Es besteht somit ein Gegensatz in den Improvisationen der drei Solisten: Miles Davis ruhiger Stil, Coltranes überschäumende Solis, die sich weit von den jeweiligen Akkorden entfernen und Cannonballs bluesorientierte Spielweise. Auf der Suche nach mehr solistischer Freiheit, die einen nicht mehr so sehr in das Korsett der Akkordfolgen zwängt, entwickelt die Band, deren Besetzung im Laufe der Zeit immer wieder wechselt, den Modalen Jazz, dem als Grundlage ein oder zwei Tonleitern dienen ("So What"). Höhepunkt dieser stilistischen Phase ist mit "Kind Of Blue" Davis populärste Platte, die auch zu den wichtigsten Aufnahmen des Jazz überhaupt gehört.

In dieser Zeit macht er auch zwei Platten mit Gil Evans und seinem Jazz-Kammerorchester: "Porgy and Bess" und "Sketches of Spain". Beide bestechen durch die hervorragende und intensive Spielweise von Davis, die Kommunikation mit einem gesamten Jazz-Orchester und die ungewöhnlichen Arrangements von Gil Evans. Beide Platten verkaufen sich sehr gut. Zu Beginn der Sechziger Jahre erreicht Davis den Gipfel des Erfolges. Die Aufnahmen der letzten Jahre gehören zu den wichtigsten des Jazz, bei den Leserpools der Musikmagazine übertrifft er Louis Armstrong und Dizzy Gillespie und mittlerweile verdient er sehr viel Geld. Doch die Aura, die ihn umgibt, speist sich nicht nur aus seinen musikalischen Leistungen, sondern auch aus seinem Verhalten. Bei Auftritten reagiert er nie auf das Publikum, Applaus ist ihm scheinbar egal, oft verlässt er mitten im Set die Bühne, ohne wiederzukehren, und er spricht selten mit seinen Musikern.

Miles Davis - Birth Of The Cool
Miles Davis Birth Of The Cool
Verstörend ehrliches Porträt, das nichts beschönigt.
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In der ersten Hälfte der 60er Jahre befindet Davis sich wieder in einer kreativen Krise. Sein bisheriger Stil scheint ausgereizt. Mit der Entwicklung des Free Jazz kann er nichts anfangen und so macht er sich auf die Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Die künstlerische Unsicherheit geht einher mit gesundheitlichen Problemen. In dieser Zeit entstehen einige schlechtere Alben, bei denen er nach neuen musikalischen Wegen sucht. 1963 gründet er wieder eine Band, mit der er in unerforschte musikalische Regionen vorstößt. Herbie Hancock (p), Ron Carter (b) und Tony Williams (d) bilden die neue Rhythmusgruppe, die von vielen als die Beste des Jazz bezeichnet wird. Später stößt noch Wayne Shorter (sax) hinzu. Das Neue an der Stilistik dieser Rhythmusgruppe ist deren Emanzipation. Sie beschränkt sich nicht mehr auf das Begleiten des Solisten, sondern sie improvisiert selber und kommuniziert so intensiv mit ihm. Dazu entwickelt Davis einen formalen Aufbau der Stücke, der als "Time - No Changes" bezeichnet wird. Hier ist nur der Rhythmus festgelegt, nicht aber die Akkordfolge. Wenn sich der Solist von der ursprünglichen harmonischen Grundlage wegbewegt, folgt ihm die Band. Dieser musikalische Abschnitt beginnt 1965 mit "ESP" und endet 1968 mit "Filles de Kilimanjaro".

Wieder ist ein stilistischer Wechsel an der Zeit. Das abstrakte Spiel mit seinen komplizierten Strukturen stößt an seine Grenzen. Dazu kommt ein Abfall der Popularität von Davis, da die jüngere Generation sich mehr und mehr für Rockmusik und die Verwendung elektronischer Instrumente begeistert. Wieder nimmt Davis diese neuen Ausdrucksmöglichkeiten in seine Musik auf. Bei dem Album "In A Silent Way" setzt er Keyboards ein und Bassist und Schlagzeuger beschränken sich auf das Spielen von durchgehenden binären Rhythmen. Der Stilwandel hat auch einen Wechsel in der Besetzung zur Folge: Chick Corea (key), Dave Holland (b), Joe Zawinul (key) und John McLaughlin (git) steigen ein. Die nächsten Platte "Bitches Brew" vollendet die musikalische Metamorphose. Die Kombination von Rockrhythmen mit ausschweifenden Improvisationen, die in den Sessions stundenlang dauern und auf den Veröffentlichungen auf 20 Minuten zusammen geschnitten werden, bezeichnet man heute als Jazzrock oder Fusion.

Davis packt zu Beginn der siebziger Jahre immer mehr Stilelemente in diese Improvisationen. Indische und afrikanische Musik mit ihren typischen Instrumenten bezieht er in seine Musik ein. Das Publikum und auch frühere Bandkollegen können ihm dabei immer weniger folgen und die Verkaufszahlen gehen zurück. Schließlich befindet er sich auch selber wieder in einer musikalischen Sackgasse. Diese Phase geht wieder mit physischen Leiden einher. 1975 erkrankt er so schwer, dass er zeitweise keine Musik mehr machen kann. Miles hat eine Lungenentzündung, zum wiederholten Male Knoten auf den Stimmbändern und muss sich ein künstliches Hüftgelenk einsetzen lassen.

Erst 1980 nimmt er wieder eine Platte auf: "The Man With The Horn". In den 80er Jahren wird sein Stil immer eingängiger. Die Verbindung von Jazz und Rock bleibt bestehen, doch sind die harmonischen Strukturen jetzt konventionell. Ein Höhepunkt dieser Phase ist sicherlich "Tutu" (1986). Die CD produziert Miles Davis zusammen mit Marcus Miller unter großzügigem Einsatz des Sequenzers. 1991 überrascht er das Publikum in Montreux mit Stücken aus den 50er Jahren, begleitet von einer von Quincy Jones geleiteten Big Band. "Doo-Bop" (VÖ: 1992) ist sein letztes Studioalbum, das wie "Amandla" (1989) stilistisch "Tutu" ähnelt. Am 28. September 1991 stirbt Miles in Santa Monica, Kalifornien an einer Lungenentzündung. Er hinterlässt über 100 Stunden Musikaufnahmen, die eine einzigartige musikalische Entwicklung und Miles Davis' gewaltigen Einfluss auf die heutige populäre Musik dokumentieren.

Mit "Rubberband" erscheint 2019 posthum ein Werk mit Aufnahmen aus dem Jahre 1985, die eigentlich als Studioalbum gedacht waren, die er aber nie zu Lebzeiten fertiggestellt hatte. Sein damaliges Produzentenduo Randy Hall und Zane Giles bringt es mit Hilfe von Davis' Neffen Vince Wilburn, Jr. schließlich zur Vollendung. Anfang 2020 rekapituliert Regisseur Stanley Nelson mit "Birth Of The Cool" das ereignisreiche Leben des Musikers zwischen Genie und Wahnsinn in rasanten Bildern. Dabei kommen Freunde, Nachbarn, Nachkommen, Ex-Freundinnen und eine Menge Musikerkollegen wie Wayne Shorter, Herbie Hancock oder Marcus Miller zu Wort.

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Miles Davis - Rubberband: Album-Cover
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  • Redaktionswertung: 3 Punkte

2019 Rubberband

Kritik von Ulf Kubanke

Das verlorene Album - zwischen Brillanz und Peinlichkeit (0 Kommentare)

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