laut.de-Kritik

Verstörend schöne Nick Cave-Interpretationen einer 14-Jährigen.

Review von

Ein Mädchen steht in einem Papageienkostüm vor der Bühne und singt jeden Song mit - eine surreale Erfahrung, die die Flaming Lips bei mehreren Auftritten während einer Kanada-Tour 2018 machten. Bei einem Festival trafen sie sich schließlich persönlich, die alteingesessenen Indie-Rocker aus Oklahoma und die damals gerade mal 12-jährige Nell Smith mit ihrem Vater Jude. Frontmann Wayne Coyne blieb mit der Familie in Kontakt, während Nell lernte, Gitarre zu spielen und erste eigene Stücke zu schreiben.

Zwei Jahre später wurde aus einer geplanten Reise zum Bandsitz nach Oklahoma nichts. Wegen eines Stromausfalls, wie das Label berichtet. Also kam Coyne auf die verwegene Idee, per E-Mail ein Coveralbum mit Nick Cave-Stücken aufzunehmen. Dass Nell noch nie etwas von Cave gehört hatte, machte das Projekt aus Coynes Sicht nur noch reizvoller.

Die erste Interpretation war gleich ein Volltreffer. "Girl In Amber" ist eines von Caves ergreifensten Stücken - darin verarbeitet er den Tod seines 15-jährigen Sohns Arthur und die Trauer seiner Frau. Als erste Singleauskopplung im August 2021 veröffentlicht, zeigte sich Cave beeindruckt. "Es war für mich immer schwierig, mich von diesem besonderen Lied zu lösen und es mit der nötigen Distanz zu singen, ich habe mich einfach zu sehr in die Worte verstrickt. Nell zeigt ein bemerkenswertes Verständnis für den Song, eine Emotionslosigkeit, die sowohl schön als auch beunruhigend wirkt. Ich liebe ihn einfach. Ich bin ein Fan", schrieb er in seinem Blog The Red Hand Files.

Emotionslosigkeit, oder wie auch immer man Caves Ausdruck "sense of dispassion" übersetzen mag, trifft es vielleicht nicht ganz, doch Smiths ruhige, sachliche, mit Hall angereicherte, dennoch beachtenswerte Stimme verleiht Caves Material tatsächlich eine neue Nuance. Ebenso wichtig ist der Beitrag der Flaming Lips, die sich wie eine zurückhaltende Version von Caves Begleitband The Bad Seeds anhören, auch wenn sie gelegentlich die Lautstärke aufdrehen (etwa in "O Children").

Von den Arrangements her erweist sich Coyne als Meister, doch grenzt es an Perversion, ein Kind "Kindness Of Strangers" singen zu lassen, in dem die arme Mary Bellows zum ersten Mal das Meer sieht und gleich danach einen gewaltsamen Tod findet ("they found her the next day, cuffed to the bed, a rag in her mouth and a bullet in her head"). Oder den "Weeping Song" ("A song in which to weep, while we rock ourselves to sleep"). Oder "Red Right Hand", in dem ein mysteriöser, in schwarz gekleideter Mann mit einer roten rechten Hand erst Hoffnung, dann Tod bringt.

"Red Right Hand", aus dem auch die Zeile stammt, die diesem Album seinen Namen gibt, ist mit seiner scheppernden, an die Rolling Stones erinnernden Gitarre das vielleicht beste Stück. Zumal es Smith mit einer Leidenschaft singt, die sie sonst nicht zeigt. Offenbar hat sie im Laufe der Aufnahmen immer mehr Vertrauen in ihre Stimme gefunden, wie auch das abschließende "We Know Who You Are" zeigt, das sie zu wabernden Keyboardklängen verträumt und einlullend interpretiert.

Ein stellenweise verstörendes, dennoch überraschend schönes Album, mit dem alle Beteiligten zufrieden sind. "Es ist immer toll, junge, kreative Menschen zu treffen. Bei Nell konnten wir sehen, dass sie auf einer Reise ist und dachten, es würde Spaß machen, sie für eine Weile zu begleiten und zu sehen, ob wir die Dinge in Gang bringen können. Es war eine gute Möglichkeit, mit ihr in Kontakt zu treten und ihre coole Einstellung zum Musikmachen umzusetzen", so Coyne. "Ich kann es immer noch nicht richtig glauben. Es war eine wirklich steile Lernkurve, aber Wayne hat mich so ermutigt, als ich mit ein paar Songs zu kämpfen hatte, dass ich weitergemacht habe", so Nell.

Vielleicht klappt es ja doch noch mit dem eigenen Material. Wäre spannend. Bis dahin lohnt es sich, dieses Album anzuhören, das bedauerlicherweise nur digital und auf Kassette erscheint.

Trackliste

  1. 1. Girl In Amber
  2. 2. Weeping Song
  3. 3. Into My Arms
  4. 4. O Children
  5. 5. The Kindness Of Strangers
  6. 6. No More Shall We Part
  7. 7. Red Right Hand
  8. 8. The Ship Song
  9. 9. We Know Who You Are

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