Der Untertitel erklärt, worum es geht: Die Musikjournalistin vom Magazin Vibe porträtiert "100+ Women who made Hip Hop".

New York (dani) - Hip Hop ist eine Männerdomäne. Das war schon immer so. So bekommen wir es erzählt, seit Anbeginn der Rap-Historie. Wer sich mit Hip Hop befasst, kann seine Gründerväter herunterbeten: Herc. Flash. Bambaataa. Fragt man nach den Müttern: Fehlanzeige. Es ist so verdammt gut, dass Clover Hope gekommen ist, um mit dem Mythos des maskulinen Genres gründlich aufzuräumen. Einfach, indem sie die Geschichtsschreibung ergänzt.

Eine deutschsprachige Übersetzung ihres Buchs "The Motherlode" gibt es noch nicht, das englische Original erschien im Frühjahr bei Abrams & Chronicle Books (283 Seiten, Paperback 18,95 Euro). Der Untertitel fasst zusammen, worum es geht: um "100+ Women who made Hip Hop". Er zeigt zugleich noch zweierlei mehr: Die Doppeldeutigkeit scheint durchaus beabsichtigt. Hope porträtiert Frauen, die Hip Hop machen, die aber auch Hip Hop zu dem gemacht haben, das er heute ist: eine weltweite Bewegung, eins der erfolgreichsten Musikgenres von allen, Mainstream.

100 sind nicht genug

In dem winzigen "+" steckt die ganze Unmöglichkeit, sich bei der Auswahl auf einhundert Frauen zu beschränken. Weil es schlicht zu viele gibt - und immer schon gegeben hat. Wer (bisher) lediglich mit der gängigen Erzählweise vertraut war, den könnte möglicherweise überraschen: Clover Hope hat keinerlei Problem damit, ihr gesetztes Kontingent von einhundert Rapperinnen zu erfüllen, und sie muss sich dafür auch keineswegs auf die jüngere Genre-Geschichte konzentrieren, in der Frauen - endlich! - sichtbarer und erfolgreicher werden, zwei sich wahrscheinlich gegenseitig befeuernde Prozesse.

Im Gegenteil: Megan Thee Stallion, Noname, Lizzo, Tierra Whack, Saweetie und wie sie alle heißen, die in letzter Zeit verdientermaßen Aufmerksamkeit generierten, kriegen zwar ihre Shout-Outs, aber keine eigenen Kapitel gewidmet. Die "neuesten" Playerinnen im Game, die Hope ausführlicher abhandelt, heißen Nicki Minaj und Cardi B. Mit denen haben wir aber bereits das Ende dieses Buches erreicht - und zuvor eine solche Flut an Frauen vorgestellt oder ins Gedächtnis zurückgerufen bekommen, dass man nur noch mitleidig und ein bisschen müde lächeln mag, wenn immer noch einer mit dem Begriff "Männerdomäne" gerannt kommt.

Von Debbie D zu Cardi B

Der Weg von den Pionierinnen Debbie D, Pebbleee Poo und MC Sha-Rock zu Cardi B führt über Salt-N-Pepa, MC Lyte, Foxy Brown, Eve und x weitere Stationen. Künstlerinnen wie Lil Kim, Missy Elliott oder Lauryn Hill bekommen selbstverständlich ihren Platz, aber auch diejenigen, die einem bei der Frage nach weiblichen MCs vielleicht nicht unmittelbar einfallen, obwohl ihr Einfluss nicht von der Hand zu weisen ist: Trina, Queen of the South, etwa. Oder TLCs Left Eye. Oder Bahamadia, Lady Of Rage, Boss ... Der Gedanke "Stimmt! Die gab es ja auch!" wird bei der Lektüre zum ständigen Begleiter.

Dazwischen platziert Clover Hope zudem reichlich Rapperinnen, bei denen einem gar nicht wirklich bewusst war, dass man sie ebenfalls längst kannte. Wie Oaktown's 357, Vita, oder, oder, oder! Die aufgeführten Künstlerinnen, von denen ich tatsächlich noch nie gehört hatte, lassen sich locker an einer Hand abzählen - was eigentlich nur den Haupteindruck unterstreicht, den dieses Buch hinterlässt: Hip Hop ist seit Anbeginn seiner Zeit voll von talentierten, einflussreichen, fuckin' dopen Frauen. Es ist eine einzige Schande, dass Industrie und Geschichtsschreibung diesem Umstand in der Vergangenheit so wenig Rechnung getragen haben.

Häppchenweise konsumierbar

Nun, dieses Buch leistet einen schlicht fantastischen Beitrag dazu, dies zu ändern. In kurze Kapitel gegliedert, die jeweils einer Künstlerin gewidmet sind, lässt sich "The Motherlode" bestens häppchenweise konsumieren. Pro-Tipp allerdings: Legt dieses Buch besser nicht aufs Klo. Dort "eben schnell noch ein Kapitel" lesen, und dann noch eins, noch eins und noch eins, führt beidseitig zu eingeschlafenen Oberschenkeln, wenn man dann nach eineinhalb Stunden endlich wieder vom Lokus herunterfindet.

Ein Füllhorn voller Partywissen

Zu jeder Rapperin gibt es eingangs einen Faktenabriss, der zusammenfasst, "who she is", ergänzt um Trackempfehlungen. Die nicht sofort nachzuhören erscheint wie ein Ding der Unmöglichkeit. Alle paar Kapitel schiebt Clover Hope zudem eine Seite ein, in der sie zahllose weitere Künstlerinnen unterbringt, für die kein eigenes Porträt abfiel. Aus Platzgründen, nicht etwa, weil sie es nicht ebenfalls verdient gehabt hätten. In diesen "Shout-Outs" tummeln sich dann Gangsta Boo, Rah Digga, Jean Grae oder Monie Love.

Eine Seite listet weibliche Rap-Duos oder -Gruppen, eine andere die frühesten, eine weitere Seite weiße Rapperinnen, oder solche, die zwischendurch ihren Künstlerinnenamen gewechselt haben. Clover Hope versorgt ihre Leser*innen mit "Factoids" oder auch - nach Themen sortiert - mit Songzeilen von Rapperinnen: Dieses Buch ist ein Füllhorn voller Partywissen, gar nicht einmal so nutzlos, weil bestens geeignet dafür, es dem nächsten, der einem was von der "men's world" zu erzählen versucht, um die Ohren zu ballern.

Die grafische Gestaltung setzt dem Genuss die Krone auf: Rachelle Baker zeichnet (Haha! Ja!!) für die farbenprächtigen Illustrationen verantwortlich. Sie fängt Charakter und Attitude der jeweils Porträtierten perfekt ein und macht "The Motherlode" auch optisch zu einem einzigen Vergnügen.

Nice for a girl

Autorin Clover Hope hat mit diesem Buch ein wahrhaft gelungenes Debüt hingelegt. Eine Anfängerin ist sie dennoch nicht: Seit 2005 arbeitet sie als Musikjournalistin. Zu ihren Stationen gehörten Billboard und das XXL Magazine, sie schrieb außerdem für die Vogue, Harper's Bazaar, GQ, die New York Times, Essence oder die Village Voice. Ihre journalistische Heimat jedoch ist das Vibe-Magazin, das Quincy Jones 1992 ins Leben rief.

Im Vorwort skizziert Hope eine Situation, wie sie wahrscheinlich jede Frau kennt, die sich in Hip Hop-Kontexten bewegt:

"Meine letzte Anekdote verdanken wir Ludacris, mit dem ich 2008 für eine XXL-Coverstory darüber gesprochen habe, wie er die Balance zwischen Rap-Stardom und Schauspielerei findet. Wir haben uns über sein Album unterhalten, darüber, wie es ist, als Rapper unterbewertet zu sein, und am Ende des Interviews gab er zu, dass auch er falsche Vorstellungen habe: 'Ich urteile nie über jemanden', sagte er. 'Aber meine Klischeevorstellungen und mein Instikt flüsstern mir unterbewusst ständig ein: ... was weiß dieses Mädchen eigentlich wirklich über Hip Hop? Und ich bin sicher, dass das vielen Leuten so geht.' (Ja.) Er fuhr fort: 'Aber als ich mich mit dir unterhalten habe, habe ich gemerkt, was für ein großer Hip Hop-Fan du bist', sagte er. 'Und das kann ich respektieren.' Er sagte mir: Ich schlug mich ganz gut - für ein Mädchen."

The Future? Is female.

Aber das ändert sich nun ja hoffentlich bald, wenn auch langsam. The Future? Is female. So wie es die Gegenwart ist - und die Vergangenheit war.

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