Tanz-Challenges und Internet-Memes: Viele belächeln oder verachten Songs, die via TikTok erfolgreich wurden. Mit Recht?
www (ynk) - TikTok dominiert die Charts. Nach über Jahrzehnte entstandenen Strukturen in der Musikindustrie, dem gewohnten Gang von Presse, Radio und Labels, pachtet nun eine Web-Video-Plattform die Viralität für sich. Mit zehnsekündigen Tanzvideos. Ein Gros der aktuell populären Songs wuchsen nicht konventionell, sondern wurden über TikTok-Memes nach oben gespült. Was Vine, Triller und Musical.ly nur in manchen Fällen geschafft haben, passiert auf Billboard inzwischen dreimal wöchentlich. Wie Ashnikko uns im Interview erzählte: TikTok ist so einflussreich, dass Sänger beginnen, Songs spezifisch für Erfolg auf der App zu konzipieren. Klingt erst einmal wie das Ende der Welt.
Ich werde nun eine Lanze brechen, was ich später vielleicht bereue, aber: Die Songs, die von TikTok profitieren, sind meistens gar nicht so schlecht. Die Plattform, auch wenn sie selbst ziemlich uninteressant sein mag, hat einen positiven Einfluss auf die Musikbranche. Sie demokratisiert und fördert (meistens) Songs, die das auch verdient haben.
Das verwirrt, denn Musik, die bislang von Plattformen wie Vine, Triller, Musical.ly oder Worldstar und der Klingelton-Ära profitiert hat, war im Schnitt ziemlich schrecklich. Langweilige Tänze, uninteressante Gimmicks, unausgegorene Songs. Der Track-Record für TikTok dagegen ist solide. Es wird also Zeit für eine quantitative Betrachtung. Ich habe nach den ikonischen TikTok-Hits gegraben und versucht, zu bewerten, was sie jeweils können. Was ist ihr Appeal für die App, was ihr Appeal als Song, und wo kann man sie zwischen Eintagsfliegen und künftigen Klassikern einordnen?
Aber fragen wir uns vorher: Was genau macht TikTok mit Musik? Ich kann den Beißreflex verstehen, meine ersten Berührungspunkte mit der App kamen auch nicht ohne Fremdscham-Gänsehaut aus. Es ist eben eine Plattform für Teenager, auf der sich im wahren Social-Media-Stil recht ungefiltert entlädt, was diese Gruppe cool und witzig findet. Aber Teenager, so sehr Tweens sie auch hassen mögen, sind ein ziemlich gutes Publikum für Musik. Sie gehen intuitiv, unverkopft und unvoreingenommen damit um. Was funktioniert, funktioniert – und was nicht funktioniert, funktioniert nicht. Deswegen hören die alle nicht Tool und Mozart, sondern Travis Scott und Tame Impala.
TikTok intensiviert diesen Zugang. TikTok trennt die Musik vom Narrativ, den Sound vom Genre und die Melodien vom Künstler. Es ist Roland Barthes "Tod des Autors", auf die Praxis umgemünzt: Wo nur ein Snippet des Songs ohne Titel und Kontext überleben muss, muss der Inhalt überzeugen. Auf TikTok überzeugen Inhalte vor allem über drei Dinge: Eingängigkeit, Tanzbarkeit und Meme-Faktor, letzteres kann man, etwas breiter gefasst, als Persönlichkeit oder Sound-Design bezeichnen. Man sage, was man will, aber es gibt schlechtere Kriterien, um nach Singles zu fischen. Oder? Folgt mir in mein Wurmloch der TikTok-Hit-Reviews und findet selbst heraus, ob dieser neue Selektionsprozess der Popmusik euch besser oder schlechter gefällt als Radio, Musikjournalismus oder Spotify-Playlists.
3 Kommentare mit einer Antwort, davon 2 auf Unterseiten
war tiktok die app, wo die 9-13 jährige meitli bei entsprechender positiver verstärkung durch die "community" ihre tänze auch leicht bekleidet aufführen? oder war das musical.ly?
Raider heißt jetzt Twix - und Musical.ly heißt jetzt Tik Tok!
Das ist die App, die dafür sorgt, dass kein Mädel zwischen 9 und 15 mehr als drei Sekunden still und ohne irgendwie zu tanzen sitzen kann.