Raps queerer Superstar trampelt durch den Garten religiöser Empfindlichkeiten: Er posiert als Noah, Moses und Jesus am Kreuz. Alles nur Marketing?

Cloud 9 (dani) - Don't call it a comeback. Unter "Wiederauferstehung" macht Lil Nas X es nicht. "Last year was a quiet year", stellt er in seiner neuen Single das Offensichtliche fest. Aber jetzt: "Bitch, I'm back like J Christ." Schon im Dezember hat er seine Fangemeinde wissen lassen, er sei in seine "christliche Ära" eingetreten. Der hoch gegriffene Vergleich, die Selbstinszenierung als Heiland, kommt also so wenig aus dem Nichts wie die unzähligen biblischen Motive im wahrhaft bildgewaltigen Video:

Leider, muss man sagen, halten weder der Track noch die Lyrics mit der Opulenz der Optik mit. Inhaltlich ist außer der Comeback-Meldung und der Jesus-Analogie wenig zu holen. Musikalisch gerät die Nummer, obgleich noch nicht einmal drei Minuten lang, doch arg repetitiv und überraschungsarm. Das Video dazu allerdings: Allmächt, das hat es gewaltig in sich. Einleitend bezeugen wir den Aufstieg einer ganzen Reihe Promi-Look-a-Likes in engelsgleichen weißen Gewändern über den Stairway to Heaven in ebendiesen. Dort wartet nicht nur ein moonwalkender Michael Jackson, sondern vor allem ein mit Heiligenschein und Sex-Halsband aufgebrezelter Lil Nas X. Haare, Nägel, Make-up: alles on fleek, versteht sich.

Ein kurzer Sturz einige Etagen tiefer, um ein Basketball-Match mit dem Teufel auszutragen: okay. Welches Schuhwerk der Gehörnte dabei trägt, sollte klar sein. Cheerleader in knappen Röckchen: ebenfalls am Start. Hernach posiert Lil Nas X mit dem Opferlamm, als Moses, gibt, als Gottes Zorn in Form sintflutartiger Regenfälle hernieder prasselt, an Bord der Arche einen ausgesprochen schmucken Noah, nachdem er sich zuvor schon nageln ließ. Ans Kreuz, natürlich, "like J Christ", wie er ja im Text sagt.

Dem Satan missfällt das

Klar, dass dieser Streifzug durch das Bilderbuch der Bilderbücher und insbesondere Lil Nas X' Eigendarstellung als Schmerzensmann christliche Fundamentalisten auf Knopfdruck in die Schnappatmung treibt. Genau so ist sein Spiel mit religiösen Motiven ja wohl auch gedacht gewesen, und das Konzept geht natürlich auf. Fox News, christliche Rapper, Moralapostel und Sittenwächter kreischen längst im Chor: "Blasphemie!", verlangen eine Entschuldigung und prophezeien Lil Nas X, er werde im Höllenfeuer schmoren. Nichts anderes stand zu erwarten. Immerhin befinden sie sich mit ihrer Enttäuschung in prominenter Gesellschaft:

Unter Marketing-Gesichtspunkten also: erneut alles richtig gemacht. Die Frage bleibt, ob Lil Nas X tatsächlich nur auf den Aufschrei spekuliert, oder oder ob unter der Provokation nicht doch tiefere Verletzungen schwären. Leicht vorstellbar wärs: Die Kirche rollt den queeren Schäfchen in ihrer Herde ja nicht gerade den roten Teppich aus. Dass das eine oder andere davon, wenn es lange genug drangsaliert wurde, zurückschlägt und einmal rücksichtslos quer durch den Garten religiöser Empfindlichkeiten marodiert: keine große Überraschung. Erst recht nicht, wenn es sich auszahlt.

Nicht alles ist Getrolle

Viel mehr würde mich angesichts seiner immer wiederkehrenden Beschäftigung mit der Thematik wundern, wenn Lil Nas X kein gläubiger Christ wäre. Er schreibt es ja auch selbst: "Nicht alles ist Getrolle." Der Brief, dem er diesen Kommentar mitgegeben hat und der seine Immatrikulation an der Liberty University von (wo auch sonst?) Virginia im Fach Bibelkunde belegen soll, aber wohl schon: Jerry Falwell, Gründer der christlichen Privathochschule, der das Schreiben in seiner Eigenschaft als Präsident angeblich unterzeichnet hat, bekleidet dieses Amt schon seit 2020 nicht mehr.

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