Beatsteaks, Foo Fighters, Crack Ignaz, AnnenMayKantereit, The XX, Wanda, Roosevelt und Perry Farrell in Berlin.
Berlin (mab) - Regen war angesagt. Verkehrschaos war angesagt. Und beides trat ein. Nicht gerade die besten Voraussetzungen, als das Lollapalooza zum dritten Mal in Berlin seine Tore öffnet.
Nach Tempelhof und Treptower Park verschlägt es die Besucher dieses Jahr in die Pampa zur Rennbahn Hoppegarten – jedenfalls die, die rechtzeitig losfahren. Denn die S-Bahnen sind überfüllt, müssen sogar öfter Leute wieder ausspucken, und die Alternativroute U-Bahn birgt das Problem von anschließend bis zu 90 Minuten Wartezeit auf den Shuttlebus.
Wanda, Crack Ignaz, Roosevelt ...
Tatsächlich ist das Gelände um die Mittagszeit noch recht luftig besetzt. Es nieselt leise vor sich hin, als der König der Alpen mit seinem Diener Nummer 1, LGoony, auf die Alternative Stage tritt. Ein paar Swagger versuchen das Beste aus der lahmen Show zu machen, letztendlich ist das Hervorstechendste daran jedoch Crack Ignaz' neongrünes Shirt. Das bessere Anti-Regen-Mittel ist da definitiv Roosevelt, der auf der Hauptbühne seinen Synthie-Groove auspackt. Das überzeugt auch drei aus Israel angereiste Jungs, die hauptsächlich wegen Hardwell und Marshmello am Acker stehen. Was sie zum Zeitpunkt noch nicht wissen: Letzterer sagte kurzfristig wegen der Hurrikan Irma in den USA ab.
Wanda sind nur aus Wien angereist und entsprechend pünktlich auf der Main Stage. Fronter Marco hat man zwar schon agiler erlebt, dafür grinst Ray Weber so fröhlich wie immer. Zum ersten Mal an diesem Tag wird es richtig voll, Leute mit Pappschildern tauchen auf und feiern auch den psychedelischen Jam, den die Österreicher ins Set einbauen. Für Mitsingspielchen sind die glitzerbestückten Lolla-Lover allerdings noch nicht zu gebrauchen. Auch George Ezra hat im Anschluss trotz großer Hörerschar damit wenig Glück.
Der Siegeszug von Marteria und den Beatsteaks
Zum Ausrasten braucht es eben doch jemanden vom Kaliber der Beatsteaks. Das Konzert der Schnitzel gerät zum Siegeszug, der Lautstärkepegel im Publikum steigt merklich an, Crowdsurfer kommen geschwommen. So ist Sänger Arnim letztendlich an den beiden besten Shows des Tages beteiligt.
Direkt nach Ende des Beatsteaks-Sets rennt er rüber zur Main Stage 2 und hilft Marteria dabei, die "Aliens" zu rufen. Nicht der einzige Gast: Nach ein paar Songs krächzt plötzlich Casper dem Lollapalooza im Code Orange-Shirt entgegen, was "Alles Verboten" ist. Verboten sind laut Richtlinien zum Beispiel Moshpits. Marteria fordert gleich mehrere davon – und die Leute leisten ihm selbst in den Randregionen Folge.
Ein Bad in der Menge
Spätestens als das Kiffer-Alter Ego Marsimoto erscheint und das Lollapalooza in eine Grüne Hölle verwandelt, ist klar, wer heute "El Presidente" ist. Am Ende badet Marten Laciny minutenlang in der Menge, nachdem er noch höchstselbst den größten Moshpit des Tages gestartet hat. Die Veranstalter drehen ihm zwar während des Schulterzugs den Saft ab, die Leute feiern trotzdem weiter. Auf Kommando Hände in die Höh' funktioniert auch ohne Ton.
Die formalen Headliner Mumford & Sons veranlassen dann zwar zahlreiche Pärchen zum Schmusen und ziehen mit ihrem schicken Folk-Pop viele Menschen an, viele pilgern aber auch schon gen S-Bahn. Die verpassen zwar durch die Menge ziehende Leuchtakrobaten, allerdings auch das befürchtete Abreisechaos. Mal sehen, wie viele sich im Wald verstecken, um sich heute den Hinweg zu sparen.
Chaos am Samstag, Sonne am Sonntag
Denn für so manchen will der Abend gefühlt kein Ende mehr nehmen. Zwischenzeitlich riegeln die Behörden den S-Bahnhof Hoppegarten ab, da sie um die Sicherheit der Wartenden fürchten. Dem Tagesspiegel zufolge gab es 40 Verletzte bzw. Kollabierte. "Unser Hotel ist 25 Kilometer entfernt – wären wir gelaufen, wären wir wohl genauso schnell gewesen", hört man sagen. Vier Stunden Nachhauseweg waren anscheinend keine Seltenheit. Am nächsten Tag entschuldigen sich die Veranstalter beim Publikum und versprechen für den Abend Besserung.
Die Zeichen dafür stehen schon morgens gut: Der Sonntag macht seinem Namen alle Ehre und präsentiert statt Regenwolken strahlenden Sonnenschein am blauen Himmel. Außerdem füllt sich das Gelände merklich früher als am Vortag. Schon bei den Techno-Bläsern Meute geht einiges, Alice Merton bringt um 13 Uhr bereits große Teile ihrer Hörerschaft mächtig in Bewegung. Nicht wegen der von ihr entfachten Stimmung, sondern auch musikalisch entpuppt sich die Deutsch-Britin, die drei Tage später ihren 24. Geburtstag feiern wird, als Überraschung des Festivals. Diese Dame, die aussieht wie Ellen Page und klingt wie die rockige Version Lordes, sollte man sich merken.
Kunstblut und Croissant
Bonaparte hätte im Anschluss das Potenzial, noch eins draufzulegen – wenn er denn nur mit seinem Publikum interagieren würde. Die erste Hälfte seines Sets fällt dies komplett flach, seine regelmäßig aufkreuzenden Freakshow-Schergen halten einen zumindest bei der Stange. Schließlich wagt sich der Zeremonienmeister doch daran, vom Publikum zu fordern, geht sogar auf Tuchfühlung – und schwupps: Alle machen mit. Freak No. 1 surft später halbnackt im Black Swan-Schlauchboot über Hände, ihr Kollege strippt, kippt sich Kunstblut über den Leib und spuckt Croissants in die Menge. Kurz darauf trifft man ihn gut gelaunt bei Metronomy.
Am Spätnachmittag herrscht Mädelsüberschuss vor den Hauptbühnen. Erst treten AnnenMayKantereit an. Die sind sichtlich überwältigt von der Kulisse, die sich ihnen bietet – nach eigener Aussage ist der Lolla-Gig ihr bisher größter überhaupt. Speziell Gitarrist Christopher Annen ist bestens gelaunt. Insgesamt zehrt die Gruppe aber wie immer von Henning Mays Grinsen und Stimme. Damit erreichen sie die Leute noch bis weit hinter den zweiten Wellenbrecher.
Pandalove mit Cro
Einige – erneut hauptsächlich Damen – bekommen die Show der Pocahontas-Crew aber nur am Rande mit. Schließlich verspricht die Running Order Cro für Main Stage 2. Wo gestern noch Marsimoto/Marteria "Eine Kleine Bühne" besang, hängt sich der Pandamann Kanye-like kurzerhand eine ins Setup rein. Liegend, schwebend begrüßt er so seine Fans, während die Band unter ihm aufspielt. Cro hat seine Anhänger im Griff und zeigt sich äußerst nahbar. Ständig ist er unterwegs, jede Bühnenseite bekommt gleich viel Maske ab. Steht er beim einen Song auf dem links aufgebauten Pfeiler, hockt er beim nächsten auf dem rechten. Und obwohl die Angst vor Demaskierung wie üblich zur Verbannung der Fotografen aus dem Bühnengraben führt, hindert sie Carlo Waibel nicht daran, eine kurze Runde Händeschütteln einzulegen.
Zwar sind die Epik-Rockshow der Foo Fighters und die pure Magie von The XX noch mal ganz andere Kaliber, doch Cros Tanz mit Bühnen und Fans war sicherlich einer der befriedigendsten Auftritte. Dazu fängt er den vorherrschenden Spirit des Berliner Lollapalooza recht gut ein. Nicht zu kompliziert, nicht zu anstrengend, einfach eine gute Zeit haben. Den meisten hier scheint es vor allem ums Ausspannen zu gehen. Typisches Festivalklientel sieht – wie bei einer Stadtveranstaltung nicht anders zu erwarten – anders aus. Viele kommen wegen ein oder zwei Bands, den Rest nimmt man gerne mit.
"Ich kann euch nicht hören"
Auch deswegen haftet dem ganzen Event ein sehr relaxter Vibe an – jedenfalls, wenns nicht gerade um Züge oder Busse geht. Das Lollapalooza gleicht einer riesigen, generationenübergreifenden Ferienfreizeit. Was dafür bisweilen fehlt, ist, die Leidenschaft, wenn es darum geht, eine gute Bühnenshow dank guter Fanreaktion in eine sehr gute zu transformieren. Selbst Dave Grohl gibts irgendwann auf, "Ich kann euch nicht hören" zu rufen. Ob den Gastauftritt von Lollapalooza-Gründer Perry Farrell im Foo Fighters-Set viele zu schätzen wissen, sei außerdem dahingestellt.
Vielleicht sind gerade deshalb The XX live so überragend: Ob man zu ihrer Musik nun tanzt, schmust, schwelgt oder einfach nur stocksteif dasteht und zuhört, spielt keine Rolle. Es gibt was zu Gucken, der Sound ist super, die Songs je nach Hörervorliebe schön, experimentell, vielseitig, elegant oder verträumt. Wunderbar ausgeglichen läuft es sich sodann mit "Angels" im Ohr zur S-Bahn.
Und siehe da: Das Chaos bleibt diesmal aus. Der Ordnung halber sperrt die Polizei punktuell, doch bereits gegen halb eins – also nur eine Stunde nachdem The XX sich verabschiedet haben, ist der Bahnsteig quasi leer. Zuvor informierten die Veranstalter über Infoscreens und Megafon über die Abreisemöglichkeiten, sodass sich diesmal alles deutlich besser verteilte. Lollapalooza, geht doch. Bis nächstes Jahr!
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