Reggae-Ikone, Dub-Erfinder, Bob-Marley-Entdecker, Riddim-Schamane: Der unvergleichliche Lee Perry ist in seiner Heimat Jamaika gestorben.
Konstanz (mis) - Der legendäre Reggae-Produzent und Dub-Erfinder Lee 'Scratch' Perry ist tot. Er starb im Alter von 85 Jahren in einem Krankenhaus in Lucea auf Jamaika, berichtet der Jamaican Observer. Zur Todesursache wurden keine Angaben gemacht.
Der 1936 in ärmliche Verhältnisse hineingeborene Rainford Hugh Perry gilt als Ikone des Reggae, der die Musik seiner Heimat im Zuge grenzensprengender Dub-Exkursionen revolutionierte, die wiederum eine Strahlkraft bis in die Genres Rock und Hip-Hop ausübten. Seine ersten musikalischen Gehversuche macht Perry Mitte der 50er Jahre. In seiner Funktion als Talentscout, Telefonist, Laufbursche, Plattenverkäufer und Songwriter wird bald der renommierte Platten-Produzent Clement 'Coxsone' Dodd auf ihn aufmerksam und holt in zunächst zu seinem Downbeat Sound System, später dann auf sein Studio One-Label, wo bald auch der ehemalige Hobbyboxer Prince Buster reüssiert. Schon 1959 zieht es Lee Perry auf die Bühne, "Old For New" ist seine erste Single.
1965 kommt es zum großen Knall, Perry und Dodd überwerfen sich. Wie zur damaligen Zeit üblich, fühlt sich Perry als Künstler unterbezahlt. Seine Rache ist der an Dodd gerichtete Song "I Am The Upsetter" ("Ich bin der Aufreger"), den er mit dem unbekannten Produzenten Joe Gibbs aufnimmt. Die Liaison ist nicht von langer Dauer. Nach einigen weiteren Hits trennt sich das Duo und Perry vertieft sich in die Geheimnisse der Produktionstechnik. Zu dieser Zeit ist er einer der ersten, der die schnellen Ska-Rhythmen herunterschraubt, und mit seinen 'riddims' den Weg zum Roots Reggae ebnet.
1968 gründet er The Upsetters sowie das gleichnamige Label, sein Höhenflug beginnt. Mit funky Instrumentals wie "Clint Eastwood" und "Return Of Django" tourt die Gruppe als erster jamaikanischer Reggae-Act in England. Parallel kommt es zur Zusammmenarbeit von Perry und dem Dreigespann The Wailers, deren pulsierender Offbeat Mitte der 60er Jahre die ganze Insel in Brand steckt. Seine Arbeit auf Songs wie "Duppy Conqueror", "Fussing And Fighting", "Lively Up Yourself" und "Small Axe" mit Bob Marley, Peter Tosh und Bernie Livingstone verändern das Gesicht des Reggae grundlegend und ebnen den Weg für Marleys spätere Solo-Erfolge. Auch diese Liaison ist nicht von langer Dauer, 1973 unterschreiben Marley und Co. einen Superstar-Vertrag bei Island Records. Der Grundstein für die weltweite Faszination des Reggae ist hier bereits gelegt.
Legendär wurden Lee Perrys Aufnahmen aus den Black Ark Studios, die in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre entstehen ("Revolution Dub"). Sein großes Verdienst: er entdeckt das Mischpult als Instrument, schichtet Tonspuren übereinander, nimmt lange vor Sampling Naturgeräusche auf, spult Tapes rückwärts ab und bläst Ganja-Rauch in seine Aufnahmegeräte, um den Sound einzigartig zu machen. "Drink your drink, smoke your weed, think your think, funk your funk": Was er im gehobenen Alter kurz in einer Songzeile ausdrückt, führte seinerzeit fast zur Katastrophe: Neben seinen kosmischen Riddims ist auch Perrys Drogenkarriere auf einem All-Time-High. Irgendwann sind Aufnahmen nicht mehr möglich, seine Frau Pauline verlässt ihn mitsamt den drei Kindern. Augenzeugen wollen ihn damals Münzgeld vertilgend, Tape-Reinigungsflüssigkeit trinkend und Bananenstauden anbetend im Studio-Garten vorgefunden haben. Sein Studio brennt kurz darauf vollständig ab, offizielle Begründung ist ein elektronischer Kurzschluss. Der Mythos, das Feuer selbst gelegt zu haben, verfolgt ihn über Jahrzehnte hinweg.
In den 80ern lebt der irre Soundmagier zum größten Teil in England, tritt mit The Clash auf und trifft mit dem Dub-Modernisierer Neil Frasier aka The Mad Professor einen Seelenverwandten. 1989 heiratet er erneut und zieht in die Schweiz. Das Paar lebt mit zwei Kindern am Zürichsee und zuletzt in Einsiedeln. Dort nimmt er weiter Tracks in seinem Studio auf, das 2015 ebenfalls abbrennt, obwohl Perry Alkohol und Drogen längst nicht mehr anrührt. Es heißt, er habe eine Kerze brennen lassen. Zu später Berühmtheit gelangt seine Max Romeo-Version von "Chase The Devil", deren Refrain 1992 in The Prodigys Techno-Hit "Out Of Space" wieder belebt wird. Nach längerer Pause spielt Perry auf Bitte der Beastie Boys 1997 wieder Konzerte in den USA. Er hat auch einen Gastauftritt auf deren Studioalbum "Hello Nasty".
Für seine Platte "Jamaican E.T." erhält er 2003 den Grammy für das beste Reggae-Album. 2008 treten auf "Scratch Came, Scratch Saw, Scratch Conquered" als Gäste Keith Richards und George Clinton in Erscheinung. 2015 erscheint die sehenswerte Dokumentation "Visions Of Paradise", für die Regisseur Volker Schaner den Musiker 15 Jahre lang begleitete. Im Mai 2019 veröffentlicht er auf Adrian Sherwoods renommiertem On-U Sound-Label das nach ihm benannte Album "Rainford". Laut Sherwood das "intimste Album, das Lee je gemacht hat".
3 Kommentare mit 2 Antworten
R.I.P. LSP
Wahrlich eine Ikone. R.I.P.
Alter Schwede. Danke für den Text, übrigens! Die meisten Banausen halten ihn noch immer für einen bekifften Opa. Seine Bedeutung für die gesamte moderne Musik ist zu wenigen Menschen bekannt!
Ruhe in Frieden!
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
"Mit funky Instrumentals wie "Clint Eastwood" und "Return Of Django"..."
Hat anscheinend sogar die VIP/Fussballer/Film-Tracktitel, die heute zum guten Ton der (Deutsch)Trap-Szene gehören, erfunden!