laut.de-Kritik
Der Upsetter ruft zur Buße auf!
Review von Dominik KautzAltersmüdigkeit ist ganz bestimmt kein Attribut für den nur 1,50 kleinen Musikgiganten Lee 'Scratch' Perry. "Here I come to dub the nation" lautet die musikalische Vision des in Manchester, Jamaika geborenen und heute in der Nähe des Zürichsees wohnenden Wahlschweizers.
Mit "Rainford" hat der mittlerweile 83 Lenze zählende Mighty Upsetter jetzt über Adrian Sherwoods renommiertes On-U Sound Label erneut eine Platte auf den Teller gebracht - und klingt dabei mit seinen Hall- und Echo-Orgien so frisch wie lange nicht. Dass er auf diesem Album zudem mit einer stärker ausgeprägten persönlichen Note aufwartet, deutet bereits der Titel an. Rainford ist der bürgerliche Vorname des 1936 geborenen Perrys.
Der Opener "Cricket On The Moon" beginnt mit den verheißungsvollen und dringlichen Worten "People Repent" ("Menschen, tut Buße"). "Moon Cricket" (dt.: Mondgrille) ist ein Begriff, der sich auf Sklaven Baumwoll-Plantagen des 19. Jahrhunderts bezieht, die des Nachts singen – häufig war den Ausgebeuteten die Musikausübung während der Zwangsarbeit unter Androhung von Strafen verboten. Musikalisch ist der Song ein klassischer Old-School Reggae Tune, der gewürzt ist mit Feldaufnahmen und dem Sound eines Wah-Pedals. In die gleiche entspannt-klassische Kerbe schlägt der mit weiblichem Gesang und Saxophon aufgepeppte Nachfolger "Run Evil Spirit". Besser und relaxter hätte der Upsetter kaum in seine neue Platte starten können. Groovy!
Die Single des Albums "Let It Rain" ist mit seinen Dancehall Anleihen der auffälligste Song des Albums. Begleitet von den schwermütigen und für ihn ungewöhnlichen Cello-Klägen ist Perry hier unter dem Motto "I Wish, I Wish / I Wish It Would Rain / Rain In My Brain" auf der ausufernden Suche nach Regen. Dass das Alter an Lee 'Ich-nutze-gerne-CDs-als-Kleidungsstücke' Perry nicht spurlos vorüber geht, hört man seiner mittlerweile doch etwas brüchig wirkenden Stimme gerade in diesem Song an.
Makumba ist eine religiös-synkretische Strömung, die sich aus afrikanischen Volkstraditionen und dem katholisch geprägten Glauben einiger brasilianischer Gruppierungen zusammensetzt. Hexenglaube, Fetische, schwarze Magie und die enge Verbindung zum Totenreich spielen im Makumba eine wichtige Rolle, die im Song ebenfalls thematisiert wird. Von psychotisch-irrem Weinen unterlegt, singt Perry in "Makumba Rock": "I Want My Mummy / I Want My Daddy". Die sich durch den Song ziehende Begleitung mit Hörnern gibt dem schnellsten Track auf dem Album eine besonders getragene Note und geht mit seinem wunderbaren tonalen Wahnsinn sofort über in Fleisch und Blut.
"Children Of The Light" geht klangtechnisch wieder zurück in Richtung getragene und langsamere Old-School-Sounds mit ausgeprägtem Bläserteil sowie sehr präsenten Percussions und Gitarren. In stimmlicher Hinsicht bringt der omnipräsente weibliche Gesang einen hervorragenden Kontrast zu Perrys Gesang. Ganz nebenbei ist "Children Of The Light" mit seiner Melodika auch als Hommage an Perrys Weggefährten Augustus Pablo zu verstehen, der ebenfalls ein wichtiger Pionier des Dub ist. Pablo machte die Melodika zu seinem musikalischen Markenzeichen und popularisierte seit seinem 1974er Debütalbum "This Is ... Augustus Pablo" innerhalb dieses Genres.
In der abschließenden "Autobiography Of The Upsetter" lädt Perry zu einer Reise durch Stationen seiner eigenen Lebensgeschichte von seiner Geburt und seinem Aufwachsen bis hin zur Arbeit mit Bob Marley ("Bob Marley come to me / and say my cup is overflow / ... / and i don't know what to do / Can you help me Mr. Perry? / Yes I can / I give him 'Punky Reggae Party'") und dem flammenden Ende seines Black Ark-Studios. Selbstredend, dass der Song in durch und durch klassischem Mid-Tempo Dub gehalten ist.
Die Tracks auf "Rainford" hat der Upsetter in Kollaboration mit seinem als Produzent fungierenden Kompagnon (und in der Reggae-Geschichte nicht minder wichtigen) Adrian Sherwood aufgenommen. Die beiden hatten bereits mehrfach, u.a. 1987 für "Time Boom X De Devil Dead" und 1990 für "From The Secret Laboratory" erfolgreich zusammengearbeitet.
Die Aufnahmen für die aktuelle Scheibe fanden auf Jamaica sowie in Brasilien und London statt und zogen sich insgesamt über einen Zeitraum von zwei Jahren. "Es ist das intimste Album, das Lee je gemacht hat, aber gleichzeitig sind die musikalischen Ideen sehr frisch" sagte Produzent Adrian Sherwood über die Platte. Daran hat aber Sherwood mit seinem herausragenden Gespür für Sounds und Grooves einen gewichtigen Anteil. "Rainford" ist ein exzellentes Album geworden, auf dem das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.
1 Kommentar
Da werde ich mal ein Ohr riskieren!