laut.de-Kritik
Furioser Ritt durch ein halbes Jahrhundert.
Review von Ulf KubankeRom am 14. und 15. Juni 2018: Nicht irgendein Abend, nicht irgendein Konzert. Sogar die verwöhntesten Geschmäcker lassen im Angesicht solch eleganter Klänge alle Skepsis fahren. Paolo Conte beehrt die Hauptstadt zur Feier seiner einzigartigen Karriere, die vor einem halben Jahrhundert begann. "Live in Caracalla: 50 Years Of Azzurro" dokumentiert dieses denkwürdige Ereignis.
Vorliegende Platte fasst den Doppelgig zu einem großen, fünf Dekaden umspannenden Konzerterlebnis zusammen. Als Ergänzung packt der Maestro das neue "Lavavetri" in Studiofassung hinzu. Nicht nur deshalb kann man dieses Livealbum ausdrücklich auch jenen empfehlen, die bereits sämtliche Mitschnitte besitzen.
Das liegt besonders daran, wie unschlagbar Don Paolo mit seinen Mitmusikern eins wird. Egal ob Bigband, opulentes Orchester, intimes Kammerensemble oder Band-Line-Up: Sämtliche Instrumente agieren ausnahmslos perfekt und vermitteln trotz komplexer Arrangements die konstante Atmosphäre frischer Spontaneität und großer Emotionen.
Der Klassiker "Come Di" von 1984 erstrahlt als große Swingnummer auf den Spuren Benny Goodmans. Besonders die Bläser legen in mitreißend los, während Nunzio Barbieris elektrische Gitarre auf den Pfaden Wes Montgomerys wandelt. "Gioca D'Azzardo" - "Glücksspiel" - wird zum perfekten Anspieltipp für Einsteiger: Edel wie der Nachname des Ausnahmesongwriters schimmert das Lied silbrigem Mondlicht gleich. Während Conte, der auch als Texter Ehrfurcht erregt, in bittersüßer Melancholie badet, bilden die Instrumente jede einzelne Zeile ab.
Sobald er auf demselben poetischen Level wie Cohen oder Waits davon spricht, wie in der Liebe bestimmte Worte zu weinen scheinen und die Tränen so salzig schmecken wie das Meer, tauchen nacheinander Geige, Saxophon und Flöte auf: Die Instrumente verkörpern jede romantische Silbe, während die Rhythmusabteilung stoisch dahingleitet.
Contes unnachahmlicher Sprechgesang pendelt im Verlauf zwischen bärbeißigem Geschichtenerzähler, Humorist und anmutigem Dichter. Auch mit 81 ist sein Timing so zuverlässig wie ein Uhrwerk. Besonders charmant: Typischerweise grummelt und räuspert er zwischendurch Teile von Strophen oder Refrains. Das gelingt im dermaßen geschickt, dass alle "Dadidas" und "Hmmhmms" als Ausrufezeichen der Zeilen fungieren.
Natürlich sind auch die beiden Überhits vertreten. "Azzurro" schrieb er seinerzeit für Adriano Celentano. Obwohl der Gassenhauer um die Welt ging, etablierte sich unter Fans besonders die einladende Spritzigkeit in "Via Con Me" als ewige Visitenkarte. Und ausgerechnet dieser Brecher bildet die einzige kleine Schwäche. Conte lässt alle Fröhlichkeit vermissen und enthält dem Stück sein Temperament zugunsten blutarmer Routine vor.
Doch auf den letzten Metern wetzt er diese Scharte wieder aus: 13 umwerfende Minuten lang zelebriert er den "Diavolo Rosso", seinen roten Teufel. Das besungene pralle Leben nutzt das Orchester zum großen Schaulaufen. Luca Velottis steuert eine lachende Klezmer-Klarinette bei. Massimo Pizziantis Bandoneon legt dazu los wie ein flirrender Tango Nuevo. Die Ekstase beider Solisten klingt, als duellierten sich Giora Feidman und Astor Piazzolla. Wer am Ende dieser Wahnsinnskonzerte nicht von Il Conte angefixt ist, kann nur nur tot sein.
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