laut.de-Kritik

Schwyzerdütsch ist eine sehr poetische Song-Sprache.

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Er ging als Speerspitze des deutschsprachigen Reggae und kehrt nach zehn Jahren Auszeit mit einer eigenwilligen Bluesrock-Barockpop-Soul-Rezeptur zurück: Phenomden aus dem Großraum Zürich. Sein Album "Streunendi Hünd" lässt sich als eines der most underrated albums in den Annalen von 2021 verbuchen. Wie schon in seiner ersten Karrierephase 2004 bis '11 lässt sich der Eidgenosse in punkto Innovation nicht lumpen und ging an sein Comeback mit einer Art blankem Zettel ran: Keine runterzujodelnde Pflichtbausteine, alles offen.

Ein zu erfüllender Bauplan lugt nirgends hervor, sodass eine Genre-Zuordnung schwer fällt. Hauptsache, etwas Anrührendes schwingt mit. Man lausche zum Beispiel dem Bläser-Arrangement und dem Text über Glückssuche und Scheitern in "Chatzegold". Rasta-Business? Diese Kategorie hat ausgedient. Eher zieren Versatzstücke des Motown-Soul als roter Faden die meisten Stücke, besonders vortrefflich in "Das Isch Liebi"). Mal knarzt der Rhythm'n'Blues-Verstärker erdig, während die Harmonika jault, wie beim Augenzwinkernden "Min Name Isch Johnny". Beim Intro wähnt man sich sogar kurz in Punkrock-Gestaden.

Der flexible Dennis 'Phenomden' Furrer tauchte 2004 im Umfeld deutscher Riddims' Culture-Hauptakteure auf, veröffentlicht 2008 das lyrisch hochinteressante und feinfühlige Album "Gangdalang", ein Meisterwerk schwyzerdütscher Poesie, gefolgt von "Eiland". Danach war Sense.

Im Schatten der langen Seeed-Pause dankte Nosliw ab, viele weitere Protagonisten verschwanden für sehr lange Zeit oder für immer von der Bildfläche. Es geht jetzt bei Phenomden auch gar nicht darum, etwas von der damaligen Vision des Hip Hop-flavoured Rastasounds wieder aufzukochen.

"Streunendi Hünd" ist etwas Neues, dabei aber auch nostalgisch. "Cool Breeze" pflegt einen entspannten Insel-Vibe und kommentiert die "kliene Usziet" (kleine Auszeit). Ein bisschen Rocksteady-Flair trottet unverkennbar über den Weg. Im Wesentlichen hören wir geschliffenen Orgel-Soul mit Saxophon-Motiven, gemalt in wärmsten Farben. Das könnte so auch von der aktuellen Joy Denalane-LP stammen.

Spannend zeigen sich die mehrmaligen Kreuzungen aus Hardrock-/New Wave-Schlagzeug, 70er Soul-Nostalgie und Reggae-Rest-Elementen. "Mit Ihre (The Kingston Job)" knüpft an Isaac Hayes aber irgendwie auch an Billy Idol und Bands wie Loverboy und XTC an, Jamaikas Hauptstadt lässt trotzdem dezent grüßen. Auch bei "Arm Im Wind" singt - oder besser sing-jayt - Phenomden zwar von einem neuen Tag in Kingston; Dream-Soul mit psychedelischer Mellowness und Neo-Bossa Nova-Gitarre trifft das Unterfangen aber besser als jede karibische Bezeichnung, während das Orgel-Outro im cheesy Jazzrock der Doobie Brothers zu wildern scheint. "Fahre Jahre bis die Sunnä sinkt im Weschte", mit diesen Worten rauscht die Nummer in einer gepflegten Geräusch-Collage vorüber.

Viel Länge brauchen die Kompositionen nicht, um starke Bilder an die Wand zu malen. Selbst für ausgewalzte Instrumentalpassagen bleibt Platz. "Ich Gseh Di" führt ein Panoptikum aus Filmmusikzitaten auf, textlich von "diene Augen, die braune Perli" über brokatgemusterte Orchester-Akkordteppiche, die dick aufgetragener kaum mehr Kitsch bündeln könnten. Und doch hat der Glitzer-Sound aus bräsig resonierenden Bläsern und schrill klimperndem Piano Pfiff und Schwung.

Der einzige klare rhythmische Offbeat-Bezug ertönt in "10 Sache" mit Hinweis auf BBC-DJ David Rodigan und mit "viel Liebe in mir" (die berühmte One Love), wobei gerade hier die Drum/Bass-Schepperschärfe eher auf Electroclash referiert. Dass überhaupt die ganze Platte so analog und Seventies-verliebt treu zu echten Instrumenten groovt, ist die eigentliche Sensation. So wirkt "Streunendi Hünd" mit seiner analogen Soundästhetik ein bisschen trotzig.

Trackliste

  1. 1. Loosi Kanone
  2. 2. Streunendi Hünd
  3. 3. 10 Sache
  4. 4. Das Isch Liebi
  5. 5. Roomz Skit
  6. 6. Min Name Isch Johnny
  7. 7. Chatzegold
  8. 8. Cool Breeze
  9. 9. Mit Ihre (The Kingston Job)
  10. 10. MS Brown Skit
  11. 11. Arm Im Wind
  12. 12. Ich Gseh Di

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