laut.de-Kritik
Das Paradies für Soul-Nerds liegt in der Nähe von Paris.
Review von Philipp Kause15 Jahre ist es her, da gründeten zwei Soul-Lovers in Seine Saint-Denis, nordöstlich von Paris, ein Refugium für ein Sammelsurium vom Aussterben bedrohter Spezies aus der Musikgattung Soul. Northern Soul, Blaxploitation-Soundtracks, Funksoul, Acidjazz, Chicano- Deep- und Garage-Soul usw. Ein Dutzend Bands agieren heute auf dem Label QSounds. Sie tragen alle dieselbe Handschrift. Denn die beiden Firmeninhaber musizieren in den jeweiligen Gruppen mit, so auch bei den Principles Of Joy. Dieses Prinzip schauten sich Ludovic Bors, Tastenspieler, und Chris Thomas von den 1960ern, den Funk Brothers bei Motown und Booker T and the MGs bei Stax ab. Dabei sozialisierten sich Chris und Ludovic beide ursprünglich als Producer in den Hip Hop- und House-Szenen der Stadt der Liebe.
"It's Soul That Counts" lautet der programmatische Albumtitel auf dem schönen Cover-Artwork. Der Slogan ist nicht zu hoch gegriffen, die Musik ahmt die Traditionen aus Chicago, Detroit und Memphis nicht schematisch nach, wie man das inzwischen oft findet, sondern versinkt in ihren Blue Notes und Backbeats voller Eleganz und Selbstverständlichkeit. Retro-Soul wächst hier über die schmalen Ausschnitte der Musikrichtung weit hinaus, während sich etablierte Akteure wie Benny Sings, Michael Kiwanuka oder Mayer Hawthorne mit kleinen Fenstern in der großen Galerie der souligen Genre-Winkel und Farbschattierungen bescheiden.
Für die Principles Of Joy, kurz POJ, steht hiermit ihr dritter Longplayer an. Für Frontfrau Rachel Yarabou ist es hingegen die erste Platte mit der Band und überhaupt ihre erste Produktion mit Reichweite. Die talentgetränkte Kehle verkörpert 'ihre' Texte sehr überzeugend, kurioser Weise sind es aber gar nicht ihre eigenen. So wie bei Motown einst üblich, beschäftigt die Band eine externe Songautorin, lässt sich die Themen vorschlagen. Auch die Karrieren von Diana Ross, Martha Reeves oder Marvin Gaye starteten ja mal in so einem Arbeitsmodus. "What Did You Mean" tänzelt auch klangästhetisch stilsicher in die Fußstapfen der Motown-Vocal Groups, beispielsweise The Supremes.
Mit typischen Northern Soul-Akkordverläufen fällt das melodramatische "Soulmate" auf, einschließlich konturierender Geigenstriche auf die Takt-Eins. Es drückt diese Stimmung aus, wenn etwas so unbewältigbar schön ist, dass einem die Tränen der Rührung ins Gesicht schießen. Ein weiteres Highlight, "True Life", beweist Rhythm-and-Blues-Kompetenz. Rachel punktet mit kraftvollem Engagement in den funky Steigerungen des Stücks. "Your Thing Is A Drag" verknüpft Wah Wah-Gitarren-Vibration mit schroffem Blues-Design und dem Sixties-Soul-Grundton der Platte. Und wer den Retro-Sound des Daptone-Labels um 2010 herum aufmerksam verfolgt hat, wird mit "Ablaze" ein kleines Déjà-Vu erleben.
"Tale Of The Ghetto" übernimmt die historisch alte Rolle des Message-Soul. "Dieses dreckige Leben auf der Straße war das einzige, was ich kannte. Wie ich von dort ausbreche, verstand ich nicht." - "How I break out from here / I didn't have a clou". Im Märchen aus dem 'Ghetto', den Vororten, die in Frankreich 'Banlieue' heißen, erscheint eines Tages ein Streif der Hoffnung und des Exits über den Hochhäusern, den 'HLM', wie Sozialwohnungs-Klötze im Französischen genannt werden. Eine neu gewonnene Freundin motiviert den Ich-Erzähler es raus zu schaffen - Rachel sagt uns, sie mime in diesem Song einen Mann. Die Freundin führt ihn an die Welt 'draußen' heran, durchbricht einen Teufelskreis. Das Lied über das Leben als Kampf und über individuelle Resilienz glänzt in einem funkelnden Arrangement voller Stax-Ästhetik: Electro-Orgel, markante Hi-Hats, engelsgleiche Background-Vocals.
"Die Themen, die wir behandeln, sind sehr reichhaltig", gibt Rachel uns im Interview zu bedenken. "Die Texte stammen von Christelle Amoussou. Sie ist die Songwriterin von Principles Of Joy. Was sie schreibt, ist ziemlich persönlich. Gleichermaßen ist es auch universell: "Tale Of The Ghetto" etwa bezieht sich nicht nur aufs 'Universum' Straße, sondern auch auf Vorstellungen von Maskulinität. Mit den Thematiken und mit unseren Arrangements streben wir eine starke eigene Identität an und wollen uns vom Mainstream abgrenzen."
Der Zehnminüter "No Justice No Peace" leuchtet schon aus formalen Gründen als Kernstück des Albums heraus. Und ein bisschen als Black Lives Matter-Soundtrack! "Es ist schwierig, sich bei "No Justice No Peace" der politischen Dimension zu entziehen. Die findet sich nicht nur im Text. Sie liegt schon im Arrangement. Das ruft Aufmerksamkeit hervor, signalisiert Kampf durch ihre Dramatisierung", bringt Rachel Yarabou Licht ins dichte Klanggestrüpp. "Ich habe keine Erfahrung darin, Protestlieder zu singen und bin immer noch dabei, mir selber das Stück für die Bühne anzueignen", verrät uns die Sängerin. "Das ist ein starker, recht fordernder und politischer Song mit mehreren Ebenen: Wachsende Ungleichheit, Gerechtigkeit, Liebe. Den muss man mit Emotion und Nachdruck vortragen."
Passend dazu hat man manchmal den Eindruck, dass Inspirationen aus Ethiojazz und ghanaischem Highlife einfließen, aber auch alte 70er-Soundtracks wie "Superfly" und Acidjazz-Projekte wie z.B. die Brand New Heavies. Der Track hat ein sehr langes Intro. "No Justice No Peace" dehnt einen tollen Spannungsbogen, der sich kein bisschen abnutzt und zum Dranbleiben verleitet. Muss man als Soul-Hörer:in ausprobiert haben!
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